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Da sind wir jetzt, in unserem persönlichen Finale dieser Pandemie, das keines ist, denn sie ist noch nicht aus. Und wir haben jetzt Ferien, mit denen wir etwas anfangen müssen, weil es weitergehen soll, dieses Sammeln von guten Momenten.

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Es ist nicht zu fassen. Die Osterferien 2021 sind da. Die, die eigentlich schon für "am Ende des Tunnels" angesetzt waren. Als Auferstehungsbegebenheit, mit Schritten in die Normalität. Und es werden die sein, die übergehen ins Distance-Learning, wohl bis Ende April. Da sitzen wir nun, nach diesem reduzierten Jahr, aufgefordert, uns zusammenzureißen, jetzt aber wirklich. Als Cool-down-Phase, als Wellenbrecher, weil das ist dann der Game-Changer. So war’s zu lesen. Und die nächsten Wochen sind entscheidend. Die Familienbesuche sind abgesagt. Kein Wegfahren. Die Frage ist, wieso es so unendlich schwierig zu sein scheint, aus diesen Tagen etwas zu machen. Es geht uns doch gut. Wir haben zu essen und ein Dach überm Kopf. Wir wohnen nahe genug am Stadtrand, sodass wir die Natur nutzen können, zum Auftanken, zur Ablenkung.

Es war wohl ein langes Jahr, eines wie ein langweiliger, stressiger Brei. Und es ist etwas passiert. Gefühlsmäßig war zunächst alles eins. Die Ferien, die Schule, Arbeit, Wochenende. Kein Unterschied. Selten hat man die Gelegenheit gehabt, die eigene Familie so gut kennenzulernen. Ob man wollte oder nicht. Mein jüngerer Sohn feierte zum zweiten Mal Geburtstag in einem Lockdown. Er hat sich ausgerechnet, dass zwanzig Prozent der Geburtstagsfeiern seines Lebens der Pandemie zum Opfer gefallen sind. Keines der drei eingeladenen Kinder durfte kommen. Trotz Tests. Die Zahlen, man müsse verstehen.

Corona-News-Detox

Aber es gibt auch eine richtig gute Nachricht: Die Kinder können nun fließend Englisch, Youtube sei Dank. Und ich habe auch dazugelernt. Hie und da einen Tag ohne Nachrichten eingelegt. Corona-News-Detox heißt das. Viel vorgelesen, das bindet, solange das noch geht. Dabei draufgekommen, dass Erich Kästner eine Sprache hat, die bei den Kindern heute Erklärungsbedarf hat. Gelernt, selbstlos Kuchen zu backen, ohne zu kosten, denn es gibt bereits einen kompletten Kleiderkasten mit Sachen, die nicht mehr passen. Ich kann zwei Monate volle Kanne durcharbeiten, mit nur sechs Stunden Schlaf pro Nacht. Bekommt aber meiner Ausstrahlung nicht sonderlich.

Wir sind achtsam geworden. Wir wissen nun, wie viele Fliesen das Badezimmer hat. 405. Ein kleines Astloch im Parkettboden hat die Form eines Herzens. Wir haben ausgemistet und so manchen Blödsinn wieder angeschafft. Haben begonnen, wirklich akribisch den Müll zu trennen, weil einfach auch Zeit war für derlei Dinge. Lustlos zu "Fit mit Philipp" geturnt. Irgendwann haben wir auch das gelassen, die Kinder haben festgestellt, dieser Philipp hätte irgendwie traurige Augen. Stimmt, habe ich mir gedacht, der mag wahrscheinlich auch nicht mehr.

Wir haben die Urlaubsfotos der letzten Jahre sortiert, sind jeden Urlaub noch einmal durchgegangen, haben uns Geschichten darüber erzählt, wieder und wieder. Es war lustig und auch wehmütig. Wir haben uns weitergebildet, sind jetzt Krakenspezialisten, weil "My Octopus Teacher" mehrmals angeschaut werden musste. Sind Experten in Naturphänomenen, wir müssen einmal die tanzenden Nordlichter sehen, haben wir uns fix vorgenommen. Aber irgendwann hat man sogar genug feuerspeiende isländische Vulkane im Livestream beobachtet. Den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu verbringen geht halt auch nicht, da werden die Kinder aggressiv. Ich hab’s ausprobiert und bitter bereut.

Seit zwei Wochen traurig

Es muss so Anfang Februar gewesen sein, da haben die Kinder aufgehört, von der Schule zu erzählen. Geschichten darüber, was wer gesagt hat, was passiert ist. Was sie gelernt haben. Sie haben keine Fragen mehr mit nach Hause gebracht. Aber von der einen Schulkollegin erzählt, die nicht mehr in die Schule kommen will, weil es ihr nicht gutgeht. Sie sprechen nicht mehr darüber, wann das alles wieder anders sein wird. Oder ob jemals. Sie haben keine Lust darauf, im Moment, dass wir uns das Lied des Tages vorspielen.

Und seit zwei Wochen sind wir traurig. Denn der Opa der Kinder ist an Corona gestorben, der Vater von ihrem Papa. Das, wovor wir Angst gehabt haben, dass es passieren könnte. Was uns nur getestet und mit Maske einander hat besuchen lassen, ist eingetreten. Er hätte geimpft sein sollen, längst. Und jeder Tag, der möglich gewesen wäre, den hätte er noch gerne gelebt. Zwei Tage nach seinem Tod kam ein Aufruf an ihn per Mail, dass er sich zur Impfung anmelden soll. Wie ein grausiger Witz. Ob es leichter wäre, wenn man wüsste, wem genau man die Schuld geben könnte?

Ein letzter Funke

Da sind wir jetzt, in unserem persönlichen Finale dieser Pandemie, das keines ist, denn sie ist noch nicht aus. Und wir haben jetzt Ferien, mit denen wir etwas anfangen müssen, weil es weitergehen soll, dieses Sammeln von guten Momenten. Wir beobachten uns, wir Erwachsenen die Kinder, die Kinder uns. Sind noch alle gesund? Ich hörte die Kinder überlegen, ob sie sich auf das Begräbnis vom Opa freuen sollten, weil das ist das Einzige, was sie erleben werden, so außertourlich.

Ich habe die Kinder gebeten, einen Ferienplan zu machen. Alles, was sie gern tun wollen. Sie müssen nichts machen, worauf sie keine Lust haben. Wir könnten ja ins Museum gehen, solange es noch geht. Den klugen Oktopus im Haus des Meeres besuchen. Einen Altarm der Donau entlangradeln, vielleicht sogar eine Mutprobe machen und ins eiskalte Wasser springen. Ausnahmsweise den letzten "Harry Potter"-Teil lesen, obwohl der eigentlich noch viel zu arg ist. Aber wenn wir zusammen sind, kann ja nichts passieren. Auf ihrem Zettel steht: 9.00 Snack, 11.00 Snack, 12.00 Mittagessen, 13.00 Snack, 16.00 Snack, dann Abendessen und Snacks. Ich bin ihrer Meinung. Ein guter Plan. Vielleicht aber spiele ich ihnen doch noch einmal ein Lied vor. "Sometimes It Snows in April" von Prince. Um den Funken kämpfe ich noch. (Heidi List, 28.3.2021)