Der Kuss zwischen Ellie und ihrer Freundin Dina kam nur für jene Spieler überraschend, die das Spin-Off "Left Behind" nicht gespielt haben.

Foto: Sony

Im Text befinden sich inhaltliche Spoiler zum Spiel "The Last of Us 2".


Immer wieder schlägt Abby mit einem Golfschläger auf einen anderen Hauptcharakter ein. Es sind explizite Szenen, die Spielerinnen und Spieler von "The Last Of Us 2" aufrütteln – nicht nur aufgrund der ausufernden Gewaltdarstellungen. Das Opfer ist ihnen ans Herz gewachsen, sie fühlen mit. Das Videospiel startet mit diesem Schockmoment. Der beliebte Hauptcharakter wird brutal ermordet – von einem weiblichen Charakter, der gerade erst eingeführt wurde. Die Schauspielerin, die den Charakter Abby verkörpert, Laura Baily, bekam nach Veröffentlichung des zweiten Teils Morddrohungen, die sie auf Twitter teilte.

Das Entwicklerstudio Naughty Dog, verantwortlich für "The Last Of Us 2", sorgte im vergangenen Jahr für ein Erdbeben in der Gaming-Szene. Nicht nur mit der bereits angesprochenen Szene. Die aus dem Vorgänger-Spiel bekannte Ellie, eine junge Frau, wird in Teil zwei zudem als lesbisch geoutet, nachdem dies im DLC "Left Behind" zumindest angedeutet wurde.

Nebenschauplätze

Prominent platzierte LGBT-Charaktere (lesbian, gay, bisexual, transgender) sucht man in der digitalen Unterhaltung noch immer mit der Lupe. Oftmals handelt es sich lediglich um Nebenfiguren, die entweder besonders schrill oder nur mit wenig Hintergrund ausgestattet inszeniert wurden. Zumindest in Rollenspielen darf man mittlerweile sowohl als männlicher als auch als weiblicher Charakter auftreten und auch gleichgeschlechtliche Beziehungen führen. Diese sind jedoch immer nur Nebenschauplatz und haben keinen Einfluss auf die Geschichte. Nur selten brechen Entwickler aus diesem engen Korsett aus, etwa bei "Life is Strange" oder eben "The Last of Us".

Auch in "Life is Strange" wird die Thematik der gleichgeschlechtlichen Beziehung aufgegriffen.
Foto: Dontnod

Offenbar ist es für die Gaming-Blockbuster-Industrie noch immer schwierig, Erzählungen abseits vom weißen, männlichen Superhelden zu schreiben. Das hat auch mit finanziellem Risiko zu tun, weiß Neil Druckmann, Co-President bei Naughty Dog, dessen Spiele von Sony vertrieben werden. "Von der Norm abzuweichen erzeugt Diskussionen. Bei großen Spielen geht es um viel Geld. Wir wollen Gehälter zahlen, neue Spiele machen. Marketing funktioniert oft so, dass man schaut, was in der Vergangenheit funktioniert hat und versucht es zu reproduzieren. Etwas Neues auszuprobieren birgt immer ein Risiko."

Ein Risiko, das Viele noch immer nicht eingehen wollen. Ein Grund könnte die geringe Diversität an der Spitze vieler Gaming-Firmen sein. Auch die Studio-Bosse sind in der Regel weiß und männlich. Im Hintergrund bewegt sich allerdings etwas. Eine Studie in England erhob 2020, dass die Spieleentwicklung zunehmend diverser wird. Bereits 28 Prozent der Belegschaft in den Studios ist weiblich, zwei Prozent gaben an nichtbinär zu sein. 21 Prozent bezeichnen sich als LGBTQ+, was ein extrem hoher Wert ist, da laut Statistik in England in der Gesamtbevölkerung lediglich drei bis sieben Prozent zu dieser Gruppe zählen.

Auch bei Naughty Dog hat sich das Team in den vergangenen Jahren in Richtung Diversität entwickelt, was laut dem Studio-Chef für neue Erzählweisen "unabdingbar" sei. Ein Beispiel ist der Trans-Charakter Lev in "The Last Of Us 2", der eine Idee eines Mitarbeiters war. "Wir hatten im Plot zwei Jugendliche, die vor einer Sekte flüchten, und wir brauchten einen Grund, warum sie das taten. Es sollte persönlich und wichtig sein, und so haben wir diesen Hintergrund ins Spiel eingebaut." Die Erzählung soll dabei Informationen über die Charaktere verraten, ohne dabei aufgesetzt zu wirken, wie das so oft in Spielen der Fall sei. Nimmt man sich die Zeit, so erreiche man laut Druckmann erzählerische Ebenen, die man sonst nicht erreichen würde.

Das Problem dabei: Weichen Entwickler von eingetretenen Pfaden ab, kann das unter Spielern schnell zu Verwirrung und Unsicherheit führen, wie die Figur der Abby zeigt. Ihr Charakter sollte primär ein spielerischer Gegenpol zu der wendigen Ellie sein. So bekam Abby eine Hintergrundgeschichte, die sie mit breiten Schultern und einem maskulinen Auftreten versah. Aufgrund ihrer physischen Stärke interpretierten Spieler ihre Figur als Trans-Charakter. Eine Fehlinterpretation, wie Druckmann in Interviews wissen ließ.

Neil Druckmann ist Co-President bei Naughty Dog und war Co-Writer bei den "Last-of-Us"-Spielen.
Foto: Naugthy Dog

Offener Hass

Mit welchen Vorurteilen und Problemen die Branche behaftet ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass sich Spiele mit Frauen auf dem Spielecover angeblich schlechter verkaufen als jene mit männlichen Helden. Auch der offene Hass der Community gegenüber diversen Figuren in Spielen ist erschreckend. Druckmann sagt, er sei überrascht vom negativen Feedback der Community, speziell gegenüber Abby, die nicht nur wegen ihrer Taten, sondern auch wegen ihrer angeblichen Transsexualität angegriffen wurde. So finden sich im Netz noch immer widerliche Meme-Sammlungen, die Gewalt gegen Abby zeigen. Hauptfiguren von Videospielen wurden immer wieder von anderen Charakteren hingerichtet – manchmal musste man danach sogar in die Haut des Antagonisten schlüpfen. Einen vergleichbaren Shitstorm gab es nie.

Der Ablehnung manch männlicher Spieler zum Trotz fühlten sich viele Spielerinnen durch die starken Figuren inspiriert. "Uns haben viele Frauen geschrieben, wie sehr sie es schätzen, wenn selbstbewusste und auch lesbische Frauen in großen Spielen auftauchen. Manche haben sich dadurch bestärkt gefühlt selbst Geschichten zu schreiben oder offener über ihre Sexualität zu sprechen." Druckmann hofft, dass dies Spieleentwickler motiviert, künftig mehr Geschichten über LGBT-Charaktere zu erzählen.

Isoliert von der Welt dürften Games-Studios aber ihre Erzählungen nicht sehen. "Früher haben wir oft gesagt, wir ignorieren die Stimmen von außen. In diesem Fall ist es komplexer." Man müsse analysieren und verstehen, wie bestimmte Charaktere auch in anderen Medien dargestellt werden. Kein Spieler betrachte Geschichten in Videogames isoliert, sondern vergleiche sie mit aseinen Erfahrungen. Die Entwickler seien dafür verantwortlich, dass die Spieler Diversität als "normal" ansehen, sagt Druckmann, wie einen Spaziergang auf der Straße, bei dem man auch unterschiedlichen Menschen begegnet.

Abby war einer der stärksten, aber auch einer der am meisten angefeindeten Charakteren in "The Last of Us 2".
Foto: Sony

Keine Nettigkeit

Die Forschung gibt dem Studio-Boss recht. Es sei wichtig, Jugendlichen Identifikationsfiguren anzubieten. Das sei nur möglich, wenn sie sich, abseits von realen Vorbildern, auch in Filmen, in Serien oder eben in Spielen wiederfinden können.

Zumindest in England wird daran gearbeitet, künftig mehr Identifikationsfiguren anbieten zu können. Jo Twist vom Fachverband Ukie, sagte im Vorjahr in einem Interview: "Diversität ist keine Nettigkeit, es ist eine Notwendigkeit, um die Branche wachsen zu lassen und das Leben von Millionen von Spielern in einer unterhaltsamen und spannenden Weise zu reflektieren." Nur durch Diversität seien kreative und inklusive Spiele möglich, die sowohl die Branche als auch die Vorstellungskraft der Spieler weiterbringen könne.

"Wir alle sind Menschen, wir alle wollen glücklich sein, wollen lieben. Aber wie wir die Welt sehen, geschieht durch verschiedene Linsen, basierend auf dem wer wir sind und was wir erlebt haben", sagt Druckmann. Er plädiert klar für mehr Diversität in der Gaming-Szene, als einer der wenigen in der Branche. Sogar, wenn Entwickler dafür von vielen Spielern geliebte Hauptcharaktere sterben lassen müssen. (Alexander Amon, 28.3.2021)