Spätestens Ende 2022 wird das Lkw-Werk in Steyr nicht mehr von MAN geführt. Bis dahin werden noch Lkws gebaut, Komponenten produziert, lackiert und montiert.

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Steyr/Wien –Die Stimmung war aufgeheizt in der Betriebsversammlung am Freitagnachmittag im Lkw-Werk in Steyr. Für den eigens aus München angereisten MAN-Vorstand gab es Buh-Rufe und ein Pfeifkonzert der rund 1700 Teilnehmer. "Das Konzept ist schlüssig, aber der Preis ist zu hoch", stellte Arbeiter-Betriebsratschef Erich Schwarz klar.

Kurz nach 17 Uhr öffneten sich die MAN-Werkstore wieder – und es lag viel Frust in der Luft. Viele der Arbeitnehmer zeigten sich nach der Betriebsversammlung auffallend wortkarg. "Ein richtiger Scheiß" sei es gewesen, bringt es ein junger Mitarbeiter auf den Punkt. "Einfach eine brutale Sache, wenn so viel Kollegen gehen müssen. Für jeden einzelnen eine echte Katastrophe", setzt ein anderer nach.

Für die MAN-Belegschaft war der Freitag ein wichtiger Tag. Erstmals präsentierte Investor Siegfried Wolf, ehemals Chef des Autozulieferers Magna, seine Pläne für das seit hundert Jahren bestehende Werk. Entsprechend herb war die Enttäuschung nach der vom Unternehmen einberufenen Versammlung, in der die Führung des zum Volkswagen-Konzern gehörenden Nutzfahrzeugherstellers für Wolf die Werbetrommel rührte.

Die Arbeitergefühle schwankten zwischen Hoffnung und Pessimismus. Oder, um es mit den Worten eines jungen Lehrlings zu sagen: "Alles oasch im Moment." Ein Kollege meinte trotzdem: "Es ist alles besser als ganz zusperren."

"Wo finde ich einen Job?"

Da klar ist, dass auch im Fall eines Verkaufs an Wolfs Beteiligungsvehikel WSA gut ein Drittel der Arbeitsplätze wegfallen werden und die die bleiben dürfen, auf 15 Prozent ihrer Gage verzichten müssen, marschierte auch eine gehörige Portion Angst über das Werksgelände: "Bitte, ich bin 54. Was ist, wenn nicht dabei bin. Wo finde ich noch einen Job?"

Ein Kollege fällt ins Wort: "Dann unterschreib’ nicht. Mache ich auch nicht. Solange nicht auch andere Angebote geprüft werden, brauchen die mit uns gar nicht weiterreden."

So sehen das auch Betriebsrat und Metallgewerkschafter. "Es ist zu wenig für die Arbeitnehmer", denen dauerhafter Lohnverzicht abverlangt werde. sagt Metallgewerkschaftschef Rainer Wimmer, der sich als Vermittler zwischen Belegschaft und Wolf anbietet.

Brandneue Produkte

Wolf will neben der Fertigung für MAN, die Ende 2022 ausläuft, die Eigenmarke Steyr reaktivieren – mit sieben "brandneuen Produkten" für den Exportmarkt. Dazu zählen leichte Kastenwagen mit Dieselmotoren und Elektroantrieb ebenso wie Pritschenwagen, Kastenwagen und mittlere Lkw zwischen sechs und zwölf Tonnen, von denen 10.000 Fahrerkabinen pro Jahr für das Automotive-Unternehmen GAZ nach Russland gehen.

Darüber hinaus ist von einem City-Bus mit Elektro-Antrieb die Rede und einem Bus für 77 Passagiere, der im Regionalverkehr zum Einsatz komme. Neben der topmodernen Kunststofflackererei sieht er auch in Aluminium-Felgen viel Potenzial. Die Rohlinge dafür würden aus Russland kommen. Gesamtfelgen aus Steyr könnten dann in den süddeutschen Raum nach Ingolstadt, München oder Stuttgart gehen.

Guter Draht

Sauer stößt vielen MANlern insbesondere die enge Verbindung zwischen Wolf und dem Porsche-Clan auf, also der Aktionärsfamilie, die Volkswagen und damit auch die Nutzfahrzeugsparte Traton kontrolliert. Dieser gute Draht – der frühere Magna-Chef managed den zum Imperium von Oleg Deripaska gehörenden russischen Autohersteller GAZ –, sitzt seit 2019 im Aufsichtsrat der Porsche SE – habe Wolf einen erheblichen Vorteil verschafft. "Mit anderen Interessenten wurde in München nicht einmal geredet", echauffiert sich ein anderer MAN-Mitarbeiter. Nun gebe es de facto keine Alternativen.

Enttäuschung klingt bei Betroffenen des Steyrer Werks, das bald wieder Steyr-Werk heißen könnte, auch über das Land Oberösterreich durch. Das Engagement der Landespolitik sei kaum erkennbar gewesen.

"Sache ist entschieden"

Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) hatte noch am Vormittag betont, die Landespolitik stehe "zu hundert Prozent auf der Seite der Belegschaft". Der Nachsatz klang freilich pragmatisch bis resignativ: Im Kontakt mit MAN und dem Mutterkonzern VW habe er den Eindruck gewonnen: "Die Sache ist entschieden", MAN werde nicht länger als bis zum Jahr 2023 bleiben. Daher geht es uns darum, wer kann ein Konzept vorlegen und ist bereit zu investieren, dass wir auch in die nächsten fünf, zehn oder fünfzehn Jahre hinein dort ein starkes Unternehmen haben." Wolfs Konzept gehe über diesen Zeitraum hinaus, sagte Stelzer. Es gehe auch nicht darum, den Investor A oder B oder C auszuwählen, "wir sind froh, wenn es Investoren gibt, die den Standort nachhaltig weiterentwickeln wollen".

US-Sanktionen

Vor allem die Aussicht auf allzu große Abhängigkeit von Russland vor dem Hintergrund der US-Sanktionen macht viele unrund – obwohl Wolf gebetsmühlenartig wiederholt, dass WSA "rein österreichisch" sei. Als Partner von Volkswagen in Russland wird GAZ jedenfalls eine tragende Rolle spielen bei der neuen Steyr in Steyr.

Abstimmung nach Ostern

.Nicht gut zu sprechen ist man offensichtlich derzeit vor allem auf die MAN-Führung. "Es ist eine Schweinerei, einfach andere konkrete Angebote nicht zu prüfen", ärgert sich eine MAN-Mitarbeiterin. Der Vorstand hätte Alternativen zumindest prüfen müssen, murrte Arbeiterbetriebsrat Erich Schwarz wiederholt in Anspielung auf die Verpflichtung der Geschäftsführung und des Vorstands gegenüber Unternehmen und Beschäftigten. So bleibt das Green-Mobility-Center des Konsortiums rund um den Linzer Unternehmer Karl Egger (KeKelit) für die Öffentlichkeit eine Fiktion.

Eine Empfehlung an die Belegschaft, in der Urabstimmung am 7. April für die Übernahme durch Wolf zu stimmen, werde es nicht geben, heißt es in Gewerkschaftskreisen. Von deren Ausgang hängt viel ab. Denn Siegfrieg Wolf hat eines klargestellt: Ohne Zustimmung der Belegschaft werde er sich das nicht antun. (Markus Rohrhofer, Luise Ungerboeck, APA, 6.3.2021)