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Immer mehr Menschen wollen sich nach Norden durchschlagen – und werden von Grenzbeamten im Süden von Texas abgefangen.

Foto: AFP/Getty/John Moore

Neuerdings vergeht kaum ein Tag, an dem Henry Cuellar, ein Kongressabgeordneter aus dem texanischen Laredo, die Misere an der Grenze zu Mexiko nicht mit schockierenden Fotos dokumentiert. Die Aufnahme, die er zuletzt veröffentlichte, zeigt 123 Migranten, die dicht an dicht auf dem Betonfußboden einer Lagerhalle sitzen, festgenommen von der Border Patrol, der US-Grenzpolizei. Zuvor hatte der Demokrat Bilder ins Netz gestellt, die gerade das linksliberale Amerika erschütterten. Zu sehen waren dutzende Kinder und Jugendliche in einem Zelt, die auf engstem Raum unter silbernen Rettungsdecken hocken beziehungsweise liegen.

Während Reportern der Zugang zu den Notunterkünften versperrt bleibt, ist es Cuellar, der die Lage am realistischsten beschreibt. Am Freitag schilderte er die Zustände in einem Großzelt der Border Patrol in Donna, einer Kleinstadt am Rio Grande. Er habe Mädchen getroffen, die schon seit zwanzig Tagen dort hausten. Laut Gesetz müssen Kinder oder Jugendliche, die ohne gültige Papiere über die Grenze kommen, innerhalb von 72 Stunden entweder in besser ausgestattete Lager oder aber zu ihren in den USA lebenden Verwandten gebracht werden. In Donna ist es graue Theorie.

Überlastetes System

"Das System ist überlastet", kommentiert Cuellar und spricht von einer humanitären Krise. "Diese Kinder brauchen jetzt unsere Hilfe, nicht irgendwann." Republikaner wiederum nehmen die Notlage zum Anlass, um den neuen Präsidenten Joe Biden zu attackieren. Weil er in allem den Kontrast zu Donald Trump suche, habe er Migranten signalisiert, dass die Tore weit offen stünden, wettert der Senator Marco Rubio. Nun sitze er in der Falle. Biden hat darauf, am Donnerstag auf seiner ersten Pressekonferenz seit Amtsantritt, eine Antwort gegeben, bei der er es zunächst mit Ironie versuchte. Eigentlich sollte er sich geschmeichelt fühlen, sagte er, wenn Leute kämen, weil er ein "guter Kerl" sei. In Wahrheit habe sich jedoch nichts geändert gegenüber früheren Jahren. Von Jänner bis März, bevor es in der Wüste heiß werde und man den Marsch vielleicht nicht überlebe, habe es immer einen Ansturm von Migranten gegeben.

Tatsächlich hat der Präsident nur zurückgenommen, was sein Vorgänger an zusätzlichen Restriktionen eingeführt hatte. Mit den Beschränkungen der Corona-Pandemie hatte Trump die Agenten der Border Patrol angewiesen, an der Südgrenze jeden, den sie dort aufgreifen, sofort zurückzuschicken. Unter Biden werden die Personalien von Erwachsenen aufgenommen, bevor sie nach Mexiko abgeschoben werden. Gleiches gilt für Familien mit Kindern, die allerdings seltener deportiert werden. Kinder und Jugendliche, die allein unterwegs sind, dürfen bleiben. Dass er daran nicht rütteln wird, hat Biden in hochemotionalen Worten klargemacht. Niemals würde er sagen, man solle ein unbegleitetes Kind, das an der Grenze ende, einfach auf der anderen Seite verhungern lassen. "Keine frühere Regierung hat das getan, mit Ausnahme Trumps. Ich mache das nicht. Ich mache das nicht."

Im März waren es bisher rund 17.000 Minderjährige, die ohne Visum oder Greencard die Grenze passierten. Die meisten stammen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. Zu 70 Prozent sind sie in Auffanglagern untergebracht, die dem Gesundheitsministerium unterstehen, in Lagern, die sowohl Platz bieten als auch den Hygienevorschriften entsprechen. 5000 hausen allerdings in bedrückender Enge in Baracken oder Zelten der Border Patrol, in denen man sie theoretisch nur für drei Tage festhalten darf.

Rettende Telefonnummer

Die unzureichend vorbereiteten Behörden sind dem Ansturm nicht gewachsen. Biden verspricht Abhilfe, indem er das Militär einschaltet. So soll die Kaserne Fort Bliss bei El Paso 5000 Teenager aufnehmen. Zudem sollen in den USA lebende Angehörige schneller verständigt werden. Oft gehe es darum, die Nummer eines Elternteils oder Verwandten zu wählen, die sich ein Jugendlicher auf einen Zettel oder aufs Handgelenk geschrieben habe.

Insgesamt verzeichnete die Grenzpolizei im Laufe des Monats etwa 150.000 Festnahmen. Viele, die man zurückschickt, versuchen es kurz darauf ein zweites, dann womöglich ein drittes, viertes, fünftes Mal. Klar scheint allerdings, dass die pandemiebedingte Ausnahmesituation zu Ende ist. Mitte März prognostizierte der neue Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas: Wenn es im jetzigen Tempo weitergehe, werde man es 2021 mit so vielen illegalen Migranten zu tun haben wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. (Frank Herrmann aus Washington, 26.3.2021)