Der Klimapolitikexperte Reinhard Steurer von der Boku Wien zieht im Gastkommentar Zwischenbilanz zu einem Jahr österreichischer Klimapolitik in Krisenzeiten und gibt einen Ausblick.

Soll im Klimaschutz etwas vorangehen, braucht es Druck von Bewegungen wie Fridays for Future.
Foto: Imago Images / Michael Matthey

In der 30-jährigen Geschichte der Klimapolitik gab es bislang zwei Phasen, in denen das Thema dominiert hat. Beide wurden von einer noch akuteren Krise jäh beendet. Erstmals war das 2007 so, als Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit in den Kinos lief. Dann kam die globale Finanzkrise, gefolgt von der Migrationskrise. Diese haben Klimaschutz fast zehn Jahre ins politische Abseits gedrängt, bis Fridays for Future um die Welt gingen. Die Wahl 2019 fiel genau in diese Periode, mit dem Ergebnis, dass Klimapolitik nun eine wichtigere Rolle spielt als je zuvor. In Österreich war das nicht schwer. Bis dahin ging es der seit 1987 für Umweltpolitik verantwortlichen ÖVP nicht primär darum, Emissionen im Inland zu reduzieren, sondern sich aus EU-Vorgaben möglichst billig freizukaufen.

Zentrale Maßnahmen

Wie 2008 wurde Klimaschutz 2020 aber einmal mehr von einem noch akuteren Problem ausgebremst. Durch die Pandemie sind die CO2-Emissionen global zwar um sechs Prozent gefallen, aber bereits im Dezember 2020 lagen sie schon wieder über dem Niveau von 2019. Somit ist klar: Machen wir so weiter wie vor der Pandemie, stellen wir bereits in diesem Jahrzehnt die Weichen hin zu einer schleichenden Klimakatastrophe, die unsere Zivilisation in nicht allzu ferner Zukunft in ein unvorstellbares Chaos stürzen würde. Viele wissen das mittlerweile. Auch deshalb ist Klimaschutz diesmal weltweit nach wie vor präsent. Wie steht es darum aktuell in Österreich?

"Die Pandemie erschwert vieles, aber eine rund laufende Komplementärkoalition mit ‚dem Besten aus zwei Welten‘ sieht sicher anders aus."

Trotz Krise ist Klimapolitik auch bei uns ein zentrales Thema der Regierungsarbeit – und der herausfordernden Neos-Opposition geblieben. Die Schaffung eines großen Klimaministeriums hat sich jedenfalls bewährt, aber: Um Emissionen deutlich zu senken, braucht es rasch ein umfassendes Bündel an Maßnahmen. Einige davon, allen voran das Gesetz zum massiven Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030, sind auf dem Weg. Sich darauf zu einigen war aber vergleichsweise einfach, denn immerhin hatte das sogar die kurzlebige ÖVP-FPÖ-Regierung zumindest vor. Andere Maßnahmen, wie das Verbot des Ölkesseltauschs ab 2021 oder das 1-2-3-Ticket, kommen verspätet. Hier erweist sich der Föderalismus einmal mehr als großes Hindernis. Unklar ist, ob die für 2022 angekündigte CO2-Bepreisung pünktlich kommt und welche der Optionen es sein wird. Angesichts der zentralen Bedeutung dieser Maßnahme wird das die klimapolitische Nagelprobe der Koalition. Die nach wie vor vage Absicht, Ölheizungen ab 2025 stufenweise zu verbieten, und die Tatsache, dass die ÖVP-nahe Wirtschaftskammer dagegen mobilisiert, lassen allerdings Zweifel aufkommen, ob die Grundidee der Koalition aufgeht. Die Pandemie erschwert vieles, aber eine rund laufende Komplementärkoalition mit "dem Besten aus zwei Welten" sieht sicher anders aus.

Durch die Behandlung des Klimavolksbegehrens im Nationalrat wurden nun auch endlich Eckpunkte eines erneuerten Klimaschutzgesetzes beschlossen, zu denen neben noch festzulegenden CO2-Budgets und Sanktionsmechanismen auch einige neue Gremien gehören. So hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, ein Klimakabinett mit Vertretern von Bund und Ländern, einen repräsentativ zusammengesetzten Bürgerrat und einen wissenschaftlichen Beirat einzurichten. Bis auf den vom Klimavolksbegehren initiierten Bürgerrat handelt es sich dabei um ein längst überfälliges Pflichtprogramm, das so ähnlich auch in anderen Ländern zu finden ist.

Trügerische Hoffnung

Der unrunde Zustand der Komplementärkoalition macht die angekündigten Gremien allerdings auch für zwei gefährliche Trugschlüsse anfällig. Zum einen dienen neue Institutionen, Prozesse und Strategien gerade in der Umweltpolitik von Großparteien gerne als Ersatz für direkt wirksame Politik. Das mag manche Wählerinnen und Wähler beeindrucken, nicht jedoch das Klima. Zum anderen besteht die trügerische (grüne) Hoffnung, dass neue Gremien Durchbrüche leichter machen.

Ein Klimakabinett kann jedoch nur dann Entscheidungen verbessern, wenn sich die Regierung ohnehin weitgehend einig ist. Ein wissenschaftlicher Beirat und ein mit dem ambitionierten Ziel "Klimaneutralität bis 2040" arbeitender Bürgerrat würden zwar deutlich machen, dass auch die aktuelle Klimapolitik viel Luft nach oben hat. Deren politisches Gewicht würde allerdings nicht nur vom gesetzlichen Mandat, sondern auch vom medialen Interesse am Thema bestimmt.

Ein Klimawachhund?

Das Mandat für den wissenschaftlichen Beirat entscheidet darüber, ob er ein "Klimawachhund" sein kann, der bei Verfehlungen anschlägt und gehört wird, oder ob er mit Maulkorb weggesperrt werden kann. Die in Aussicht gestellte Verankerung in der Verfassung klingt gut, aber schlussendlich werden Medien darüber entscheiden, ob und wie laut das sicher nötige Gebell zu hören sein wird. Das wiederum wird ganz wesentlich davon abhängig sein, wie stark Fridays for Future auch in Zukunft Massen mobilisieren kann. Zu glauben, das sei gar nicht mehr nötig, weil Klimaschutz jetzt ohnehin auf dem besten Weg sei, wäre der größte Trugschluss von allen.

Der politische Kampf um eine klimaneutrale Gesellschaft hat in Österreich mit unverantwortlicher Verspätung erst begonnen, und er wird noch lange dauern. (Reinhard Steurer, 28.3.2021)