Wien – Das Osterwochenende will Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nur mit seiner Frau verbringen. Alle anderen physischen Kontakte werde auch er einschränken und keine Menschen treffen. Von Gründonnerstag bis zum folgenden Dienstag ist die Ostregion im Lockdown. Damit werden in der Hauptstadt auch Schwerpunktaktionen der Polizei einhergehen.

Von der Entwicklung rund um Ostern werde abhängen, ob es zu einer Verlängerung der Maßnahmen kommen wird, sagt der Stadtchef. Denn es gelte, eine Überlastung der Intensivstationen jedenfalls zu vermeiden.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) fürchtet, dass nach dem Osten, der Westen Verschärfungen setzen wird.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Wien, Niederösterreich und das Burgenland gehen von 1. bis 6. April in einen harten Lockdown. Vor kurzem wurde von der Stadt noch eine Öffnung der Schanigärten gefordert. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?

Ludwig: Die britische Mutation des Virus hat sich als besonders aggressiv herausgestellt. Vor rund sechs Wochen waren wir noch das Bundesland mit den niedrigsten Infektionszahlen, mit einer sehr stabilen Situation in den Spitälern. Wir waren das erste Land, das auf der Corona-Ampel von rot auf orange geschalten wurde. Jetzt hat sich eine andere Situation ergeben. Wien ist in der stark getroffenen Ostregion eingebettet – nicht nur in Österreich. Auch in den Nachbarländern Tschechien, der Slowakei und Ungarn sind die Zahlen in die Höhe gegangen.

STANDARD: Die Variante B.1.1.7 ist auch in den anderen Bundesländern verbreitet.

"Auch die anderen Bundesländer werden innerhalb von wenigen Tagen in eine ähnliche Situation kommen."

Ludwig: Ich fürchte, dass die Bundesländer jenseits der Ostregion eine ähnliche Entwicklung haben werden. Auch sie werden innerhalb von wenigen Tagen in eine ähnliche Situation kommen.

STANDARD: Braucht es also eine Osterruhe auch im Rest von Österreich?

Ludwig: Es liegt nicht an mir, so etwas zu entscheiden, sondern an der Bundesregierung. Diese hat sich vom Parlament mit sehr weitreichenden gesetzlichen Möglichkeiten ausstatten lassen. Mir ist wichtig, dass wir sicherstellen, dass wir in Wien die Auslastung der Spitalsbetten – vor allem auf den Intensivstationen – stabil halten. Wir behandeln nicht nur die Wiener Bevölkerung, sondern auch viele Schwersterkrankte aus anderen Bundesländern. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass dies auch weiterhin möglich ist.

STANDARD: Wird es rechtliche Beschränkungen geben, damit Wienerinnen und Wiener die Stadt zu Ostern nicht in Richtung westliche Bundesländer verlassen können?

Ludwig: Das ist Sache des Gesundheitsministers. Er muss entsprechende Bestimmungen auf den Weg bringen. Mir geht es nicht darum, festzulegen, wie viele Personen aus wie vielen Familien sich zu welchem Zeitpunkt treffen können. Sondern darum, den Menschen zu vermitteln, dass es wichtig ist, die persönlichen, physischen Kontakte zu reduzieren und damit die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen zu schützen, bis ein größerer Teil der Bevölkerung durchgeimpft ist.

STANDARD: Sie drängen auf Entscheidungen des Bundes, Regeln vorzugeben ...

Ludwig: Es ist auch die Aufgabe des Bundes.

STANDARD: ... es gibt aber auch die Kritik am Konstrukt des Ost-Gipfels, dadurch würde der Unmut der Bevölkerung Ihnen und den anderen Landeshauptleuten entgegenkommen.

Ludwig: Das wird kein Zufall sein.

STANDARD: Stört es Sie nicht, dass Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dadurch aus der Kritik genommen werden und Sie drei die Spaßbremsen sind?

"Es ist notwendig, dass der Bund der Verantwortung entspricht, die ihm gesetzlich zugeteilt ist."

Ludwig: Wir müssten als Landeshauptleute bei diesen Entscheidungen nicht optisch bei Pressekonferenzen dabei sein. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn es unpopulär ist. Aber es ist notwendig, dass der Bund der Verantwortung entspricht, die ihm gesetzlich zugeteilt ist. Der Bund kann die Schuldigen nicht immer in der Europäischen Union oder in den Bundesländern suchen. Wir sind bereit, die Maßnahmen mitzutragen und mitzugestalten. Aber es muss klar sein, wer die gesetzliche Kompetenz hat.

STANDARD: Kurz war bei der unpopulären Verkündung des Oster-Lockdowns nicht dabei.

Ludwig: Er war bei der Entscheidungsfindung dabei und eingebunden. Ich gehe davon aus, dass ihm bewusst ist, welche Entscheidungen getroffen wurden.

STANDARD: Dem Vernehmen nach hat er sehr gebremst.

Ludwig: Ich bin bekannt dafür, dass ich aus vertraulichen Verhandlungen nicht zitiere. Aber es ist sicher so, dass die Trennlinie in der Sichtweise nicht zwischen Bund und Ländern verlaufen ist.

STANDARD: Sie und Minister Anschober sollen sich für strengere Maßnahmen, sogar einen längeren Lockdown ausgesprochen haben. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Kanzler Kurz sollen sich vor allem gegen die Schließung des Handels ausgesprochen haben. Wer hat sich durchgesetzt?

Ludwig: Es ist ein Kompromiss entstanden, den ich mittrage. Ich habe aber auch angekündigt, dass es – wenn nicht sehr schnell spürbare Verbesserungen sichtbar werden – notwendig sein wird, auch verschärfende Maßnahmen zu setzen.

Welche Maßnahmen nach Ostern bleiben könnten lässt Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) offen. Er hofft auf eine Verbesserung der Situation.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Welche wären das?

Ludwig: Die Maßnahmen, die wir in der Osterruhe setzen. Darüberhinausgehend auch andere Fragen, wie man im Öffentlichen Raum verfährt.

STANDARD: Eine weitere Ausweitung der Maskenpflicht etwa?

Ludwig: Wir werden nächste Woche weitere Schritte mit dem Gesundheitsminister beraten.

STANDARD: Dann wird noch kein Tag der Osterruhe aktiviert worden sein. Was soll passieren außer der Fortsetzung der Situation?

"Pro Tag werden wir 200.000 PCR-Tests auswerten können. So wollen wir Infizierte aus der Kette herausnehmen."

Ludwig: Wir bauen in Wien das Contact-Tracing weiter aus. Wir haben in Wien einen Spitzenplatz im Bundesländervergleich mit über 70 Prozent Rückverfolgungsquote. Und wir arbeiten weiter an der Teststrategie: Es gibt zehn Teststraßen, mehr als 30 Schnupfenboxen und eine gute Kooperation mit der Ärzte- und Apothekerkammer. Zudem haben wir am Freitag das Projekt "Alles gurgelt" auf die ganze Bevölkerung ausgerollt. Pro Tag werden wir 200.000 PCR-Tests auswerten können. So wollen wir Infizierte aus der Kette herausnehmen.

STANDARD: Die vergangenen Lockdowns haben weit länger gedauert als die Osterruhe. Rechnen Sie mit einer Verlängerung?

Ludwig: Ich kann eine Verlängerung der Osterruhe nicht ausschließen.

STANDARD: Werden die Schülerinnen und Schüler am 11. April zurück an die Schulen kommen?

Ludwig: Auch das wird abhängig sein von den Entwicklungen. Der Unterschied zum Beginn der Krise ist, dass auch Kinder und Jugendliche stärker betroffen sind. Jetzt zählen die Schulen zu starken Orten in der Verbreitung des Virus. Darum sind die Schulen jetzt in einem anderen Fokus.

Während des Osterlockdowns soll es zu strengen Kontrollen der Polizei kommen.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Eigentlich gelten schon jetzt Kontaktbeschränkungen. Je wärmer es wird, desto mehr Gruppen treffen sich aber etwa am Donaukanal. Wie wird man dagegen vorgehen?

Ludwig: Outdoor-Treffen werden im Rahmen der Osterruhe nicht möglich sein. Als Stadt werden wir gemeinsam mit der Polizei und der Gruppe Sofortmaßnahmen sehr deutlich darauf achten. Es wird verstärkte Kontrollen von der Polizei an diesem Wochenende geben und Notfalls leider auch sanktioniert werden.

STANDARD: Das Covid-Prognose-Konsortium rechnet am 7. April mit 260 Intensivpatientinnen und -Patienten – auch wenn jetzt Maßnahmen gesetzt werden. Droht Wien die Überlastung der Intensivstationen?

Ludwig: Derzeit ist nicht abzusehen, ob die Überlastung droht. Aber wir müssen bereits nicht notwendige Operationen verschieben. Wir können uns nicht aussuchen, ob es Unfallpatienten gibt, ob jemand einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hat und eine dringende Operation benötigt. Wir brauchen auch ausreichende Kapazitäten auf den Intensivstationen, um Akutfälle zu behandeln.

STANDARD: Könnte es in Wien zur Triage kommen?

Ludwig: Ich hoffe, dass es zu keiner Triage kommt. Das ist letztlich abhängig vom Infektionsgeschehen. Ich kann nur an jede und jeden einzelnen appellieren, dass man die Maßnahmen ernst nimmt. Ich habe auch kein Verständnis für Menschen, die Corona nicht nur leugnen und sich selbst in Gefahr bringen, sondern auch die Übertragung auf andere Menschen riskieren.

STANDARD: Wien spielt eine große Rolle in der intensivmedizinischen Versorgung für die gesamte Ost-Region. Wie viele Betten sind von Patienten aus den Bundesländern belegt?

Ludwig: Da will ich keine Berechnungen anstellen. Es geht um Menschenleben.

STANDARD: Mikl-Leitner sprach diese Woche davon, man müsse Wien in Bezug auf die Auslastung der Intensivstationen durch die Maßnahmen "unterstützen". Wer hilft jetzt wem?

Ludwig: Ich bin für Solidarität der Bundesländer.

"Eine lange Durststrecke" befürchtet Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Diese werde anhalten, bis ein größerer Teil der Bevölkerung durchgeimpft ist.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Wien hat sehr hohe Zahlen, andere Bundesländer stehen besser da. Dieselbe Situation gab es im Sommer. Als sich die Zahlen im Westen jenen in Wien angepasst haben, hieß es, die Wienerinnen und Wiener hätten das Virus verbreitet.

Ludwig: Wien ist immer schuld. Wenn wir hohe Zahlen haben, aber auch wenn wir niedrige Zahlen haben.

STANDARD: Befürchten Sie, dass es wieder zu einer ähnlichen Kritik kommt, oder ist das Wien Bashing – wie Sie das genannt haben – abgeschlossen?

Ludwig: Wir haben noch eine lange Durststrecke vor uns, bis ein größerer Teil der Bevölkerung durchgeimpft sein wird. Die Frage ist, wie wir mit dieser Zeit, die sicher noch drei Monate dauern wird, umgehen. Ich bin sicher, dass bei den allermeisten Menschen die Ernsthaftigkeit angekommen ist. Es kann jeden treffen – unabhängig vom Alter oder Bundesland.

STANDARD: Wann werden die Schanigärten öffnen?

Ludwig: Das kann man nicht sagen. Jede Diskussion über Öffnungen wäre derzeit kontraproduktiv. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 27.3.2021)