Bild nicht mehr verfügbar.

Rund 800.000 Menschen wurden beim Genozid in Ruanda 1994 getötet. Umstritten war von Anfang an die Rolle Frankreichs, die eine Historikerkommission nun aufarbeitete.

Foto: AP Photo/Ben Curtis

Frankreich trage eine "schwere und erdrückende Mitverantwortung" an dem Genozid, heißt es in dem 1.200-seitigen Bericht, den der Historiker Vincent Duclert (rechts) mit zwölf Mitarbeitern zuhanden von Emmanuel Macron (links) erstellte.

Foto: APA / AFP / LUDOVIC MARIN

Rund 800.000 Menschen wurden in Ruanda 1994 in einem Bürgerkrieg getötet, der in einen Völkermord mündete. Begangen wurde er von extremistischen Hutu-Milizen an der Minderheit der Tutsi und moderaten Hutu. Umstritten war von Anfang an die Rolle Frankreichs: Hatte der damalige Präsident François Mitterrand das wenig präsentable Regime des Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana militärisch gestützt, um das Vordringen der Tutsi zu stoppen?

Diesen ungeheuerlichen Vorwurf beleuchtet eine französische Historikerkommission mehr als ein Vierteljahrhundert später. Frankreich trage eine "schwere und erdrückende Mitverantwortung" an dem Genozid, heißt es in dem 1.200-seitigen Bericht, den der Historiker Vincent Duclert mit zwölf Mitarbeitern zuhanden von Emmanuel Macron erstellte.

Die französischen Behörden hätten in den vier Jahren der Eskalation "versagt": Sie hätten die korrupte, rassistische Diktatur in der Hauptstadt Kigali "gestärkt" und selbst eine "ethnizistische" Sicht des Konflikts verfolgt. Konkret habe Frankreich die ruandische Armee – aus deren Kreisen die Hutu-Killer stammten – ausgebildet und ihr "beträchtliche Mengen von Waffen und Munition" geliefert.

Fehlende Transparenz

Die französische Öffentlichkeit erfuhr kaum etwas: Die Beschlüsse seien allein im Élysée-Palast, auf wenig transparente Weise, gefallen. Eine Paralleldiplomatie unter Aufsicht Mitterrands habe die üblichen Entscheidungsinstanzen, wie etwa das Parlament, schlicht umgangen.

Der Duclert-Bericht hält allerdings auch fest, dass Frankreich die Mörderbanden nicht direkt ausgerüstet habe. Eher habe man in Paris gar "nicht verstanden", was in Ruanda vor sich gehe. Eine eigentliche Komplizenschaft an dem Völkermord bestehe deshalb nicht. Mitverantwortung ja, Mitschuld nein, lautet kurz gesagt das Fazit des Berichtes, für den die Verfasser ungehinderten Zugang zu den Archiven, auch im Élysée-Palast, hatten.

Es spricht für das, wenngleich verspätete, Funktionieren politischer Kontrolle in Paris, dass nicht nur die "offizielle" Kommission die Dokumente einsehen konnte, sondern seit 2020 auch eine Reihe anderer Experten. François Graner von der antikolonialen Vereinigung "Survie" kommt denn auch zu einem noch härteren Urteil: Die französische Politik in Ruanda sei als "Beihilfe zum Genozid" zu sehen, da es sich um eine "aktive Unterstützung in Kenntnis der Umstände" gehandelt habe. Bis heute ist laut Graner unklar, was Dutzende von Franzosen, die während des Genozids in Ruanda geblieben seien, getan hätten. Das beantwortet auch der Duclert-Bericht nicht.

Trotz dieser Schattenzonen darf Macron für sich in Anspruch nehmen, dass er auch unangenehme Aspekte der französischen Afrikapolitik aufarbeiten lässt. Im Jänner hatte er schon einen Bericht zum Algerienkrieg entgegengenommen.

Schwierige Visite

Der französische Präsident ist seit längerem bemüht, in Afrika über das bisherige frankophone Einflussgebiet hinaus – etwa mit Südafrika – neue diplomatische und Wirtschaftskontakte zu knüpfen. Ende April will er selbst nach Kigali reisen, um sich mit dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame zu treffen und die seit 1994 gespannten bilateralen Beziehungen zu verbessern. Dabei könnte er ankündigen, dass die Botschaft Frankreichs in Kigali wieder eröffnet wird.

Paradoxerweise muss sich Macron vorwerfen lassen, dass er mit Kagame nicht gerade einen Bilderbuchdemokraten trifft. In Kigali läuft gerade ein Prozess gegen Paul Rusesabagina, der seit dem Film Hotel Ruanda als "afrikanischer Schindler" gilt, weil er über tausend Tutsi vor den Mördern rettete. Heute wird dem 66-jährigen Oppositionspolitiker wegen angeblichen "Terrorismus" der Prozess gemacht. Im Exil tätig gewesen, war Rusesabagina 2020 festgenommen worden, als sein Flug mit Zielort Burundi mysteriöserweise nach Ruanda umgeleitet wurde. Heute wird kaum mehr bezweifelt, dass Kagame hinter der Entführung steckte. Macron hätte sich für seine Visite sicherlich ein anderes politisches Umfeld gewünscht. (Stefan Brändle aus Paris, 28.3.2021)