Gegrillte Enten nach Kanton-Art im Grillhaus Hong Kong: Mutter Lee Pei Zhen, Vater Lee King Tai, Sohn Lee Chi Wing (v. re.).
Foto: Gerhard Wasserbauer

Wenn Lee Chi Wing, Sohn und Juniorchef des Hauses im Hong Kong Grill Telefondienst hat, nimmt er sich gern Zeit, den Kunden die Besonderheiten der Speisekarte zu erklären. Nur auf Nachfrage – man will sich ja nicht aufdrängen –, dann aber in makellosem Gymnasiasten-Wienerisch. Wenn es Fragen zu "Ente nach Kanton-Art" gibt, weiß er schon im Vorhinein, wo die Reise hingeht: "Natürlich sage ich da dazu, dass die im Ganzen gegrillt und samt Knochen in mundgerechte Stücke gehackt wird." Meist muss er den Satz gar nicht fertigsprechen: "Sobald die das Wort Knochen hören, wird stattdessen die ausgelöste, knusprige Entenbrust bestellt."

Knochenlose Hybridente

Dass die liebe Kundschaft sich damit eine der seltenen Chancen vergibt, ein mythisches Gericht der nicht zufällig gerühmten südchinesischen Kanton-Küche in Wien zu essen: geschenkt. Die stattdessen bestellte knusprige Entenbrust mag alles andere als chinesisch sein, sie erfüllt halt Erwartungshaltungen, die über Jahrzehnte in austrochinesischen Restaurants angefüttert worden sind. Für Familie Lee macht die knochenlose Hybridente zumindest eines: weniger Arbeit. Nicht, dass dies gewünscht wäre: Die sprichwörtliche Arbeitsethik und das Bewusstsein um den kulturellen Wert der eigenen Küche halten derlei niedere Instinkte hintan.

Wobei: Unsere Gesetze lassen ganz echte Kanton-Enten, die bei Raumtemperatur tagelang zum Trocknen aufgehängt werden, wie man das aus Restaurant-Auslagen in Macau, London, Sydney oder dem 20. Arrondissement von Paris kennt, gar nicht zu. Ergo müssen auch Chi Wings Eltern Kompromisse machen.

Lee King Tai und seine Frau Lee Pei Zhen sind in den 1990er-Jahren nach Wien gekommen. Ihr nach der Heimat benanntes Hong Kong Grillhaus am oberen Ende der Köstlergasse betreiben sie als klassischen "Mom & Pop Shop". Arbeit und Familie verschmelzen in solchen Situationen oft zu einer Einheit. Auch hier ist der Sohn zu einem Teil des Unternehmens herangewachsen.

Du bist süß!

Abends, nach dem Geschäft, nimmt sich King Tai die Enten her, füllt sie mit Ingwer, Zwiebel, Knoblauch und den nötigen Gewürzen: Sternanis, Fenchel, Zimt, Nelke und Sichuanpfeffer machen die klassischen Zutaten des "wuxiangfen" aus, wie die allgegenwärtige Fünf-Gewürze-Mischung der chinesischen Küchen heißt. Getrocknete Mandarinenschale gehört laut Rezept auch dazu. Dann werden die Vögel vernäht und erst mit kochendem Wasser, dann mit Reisessig übergossen und zum Trocknen im Kühlhaus aufgehängt.

Tags darauf wird gegrillt, der im Inneren gebildete, köstliche Würzsaft aufgefangen und der Vogel auf Bestellung kurz im heißen Ölbad nachgeknuspert. Dann das Küchenbeil geschwungen, in mundgerechte Happen geteilt, in Butterbrotpapier gewickelt und fertig.

Ente nach Kanton-Art mit Pak Choi aus dem Wok.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dazu kommt die hoch exotische, durchsichtige Sauce, ein wunderbar süßes Kompendium aus Fleischsaft, Zucker und Gewürzen. Kenner ordern Reis nach Geschmack, vor allem aber Pak Choi aus dem Wok dazu, dessen zart senfiges Kohlaroma den ideal chlorophylligen Kontrast zum dunklen Bratenfleisch bildet.

Kanton-Ente ist sehr wahrscheinlich das ideale Take-away-Essen überhaupt: macht alle glücklich, macht bei Tisch wenig Sauerei, schmeckt auch lauwarm (Schüsseln vorwärmen ist aber auch hier eine gute Idee!), ist nachhaltig verpackt, und eventuelle Reste schmecken tags darauf als Sandwich. Und die Knochen? Geben einen ganz wunderbaren Fond aus, mit dem sich Risotto oder Laksa oder Paprikahendl aufgießen lässt. So ist auch das Festmahl für einen anderen Tag gesichert. (Severin Corti, RONDO, 2.4.2021)

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