Der VfGH ist seit Beginn der Pandemie gut beschäftigt: Er kippte zahlreiche Verordnungen des Gesundheitsministers.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER
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Spätestens im Sommer des Vorjahrs kam der Gesundheitsminister in eine Zwickmühle: Als der Verfassungsgerichtshof (VfGH) große Teile des ersten Lockdowns kippte, regte sich Unmut in der Bevölkerung. Waren etwa die Entbehrungen gar nicht nötig, womöglich sogar illegal? Zu einer Generalamnestie für Corona-Gestrafte kam es nicht, auch wenn diese breit diskutiert wurde. Was blieb, war vor allem ein mulmiges Gefühl.

Und auch wenn Entscheidungen grundsätzliche keine Auswirkungen auf zukünftige, ähnliche Regelungen haben, dürfte sich die Regierung die Erkenntnisse des Höchstgerichts immerhin zu Herzen genommen haben. Entscheidungsgrundlagen werden nunmehr besser dokumentiert, das Parlament schuf außerdem die nötigen Voraussetzungen für Ausgangssperren.

Die Gründe, warum der VfGH eine Verordnung oder die Passage eines Gesetzes als rechtswidrig erkennt, können allerdings viele sein: Nicht immer heißt das etwa, dass eine Maßnahme Grundrechte verletzt oder nicht gerechtfertigt war. Ein Überblick.

Fehlende Ermächtigung: Überschreitung des gesetzlichen Spielraums

Bis zuletzt wurde spekuliert und dementiert, am 13. März 2020 gab es dann Gewissheit: Die Bundesregierung kündigte den ersten Lockdown Österreichs an. Die rechtliche Grundlage dafür wurde schon wenig später breit diskutiert. Im Juli 2020, als die Verordnung längst nicht mehr in Kraft war, stellte der VfGH schließlich ihre Gesetzwidrigkeit fest. Der Bundesminister habe seine gesetzliche Ermächtigung überschritten, erklärte das Höchstgericht.

Verordnungen können nur auf Grundlage eines Gesetzes erlassen werden. Dabei dürfen sie den gesetzlich vorgesehen Rahmen nicht überschreiten. Das im Frühjahr beschlossene Covid-19-Maßnahmengesetz erlaubte dem Gesundheitsminister nur, das Betreten "bestimmter Orte" zu untersagen. Mit der ersten Maßnahmenverordnung erließ der Minister allerdings ein allgemeines Betretungsverbot. Dass die Verordnung selbst Ausnahmen vorsah, änderte daran nichts. Es habe sich dabei dennoch um ein "allgemeines Ausgangsverbot" gehandelt, entschied der VfGH.

Gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz selbst bestanden aus Sicht der Richterinnen und Richter allerdings keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Höchstgericht betonte in seiner Entscheidung sogar, dass auch ein generelles Ausgangsverbot gerechtfertigt sein könne: "Dafür bedarf es allerdings einer konkreten und näher bestimmten Grundlage im Gesetz."

Das Parlament reagierte und änderte die Rechtslage. Im aktuellen Covid-19-Maßnahmengesetz ist daher auch die Möglichkeit vorgesehen, das Betreten "öffentlicher Orte in ihrer Gesamtheit" zu regeln. Außerdem darf nunmehr angeordnet werden, dass das "Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist" – so wie es seither gängige Praxis in den Verordnungen ist.

Auch der vom Tiroler Landeshauptmann im Frühjahr verordnete Lockdown war gesetzlich nicht gedeckt. Bis 20. März 2020 hatte in Tirol ein Betretungsverbot für alle öffentlichen Orte des gesamten Landesgebiets gegolten. Das im Anschluss daran erlassene Verbot des Überschreitens von Gemeindegrenzen hob der Verfassungsgerichtshof ebenfalls auf. Die damalige Fassung des Epidemiegesetzes sah eine Zuständigkeit des Landeshauptmanns nämlich gar nicht vor.

Ungleichbehandlung: Nichtgerechtfertigte Differenzierung

Heimwerker und Hobbygärtner atmeten am 14. April 2020 auf: Im Zuge der im Frühjahr einsetzenden Öffnungsschritte erlaubte der Gesundheitsminister das Betreten von Bau- und Gartenmärkten. Sonstige Geschäfte durften aber nur dann betreten werden, wenn die Größe des Kundenbereichs 400 Quadratmeter nicht überschritt. Das Höchstgericht sah darin eine nichtgerechtfertigte Ungleichbehandlung – und hob die Verordnung auf.

Das Covid-19-Maßnahmengesetz sah zwar vor, dass nach Art und Ausmaß der Maßnahmen differenziert werden darf. Erlaubt wäre also auch ein Betretungsverbot nur für bestimmte Betriebsstätten gewesen. Laut Verfassungsgerichtshof war die Einschränkung auf kleine Geschäfte allerdings gesetzwidrig.

Der Gesundheitsminister habe nicht ausreichend dargelegt, auf welcher Grundlage er zwischen den verschiedenen Geschäftsgrößen differenzierte. Insbesondere für die Bevorteilung von Bau- und Gartenmärkten sah der Verfassungsgerichtshof keine sachliche Rechtfertigung: Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass Gartenmärkte für Verrichtungen des täglichen Lebens eine vergleichbare Bedeutung hätten wie der Verkauf von Sicherheits- und Notfallprodukten, erklärte das Höchstgericht.

Mangelnde Dokumentation: Die wissenschaftliche Grundlage fehlte

Dass eine Maßnahme nicht hinreichend begründet ist, klingt sperrig, hat aber einen einfachen Hintergrund: Der Verordnungsgeber darf nur das machen, was Sinn ergibt. Und das muss er rechtzeitig und ausreichend darlegen.

Dass er das nicht tat, wurde etwa deutlich, als der VfGH den Fall eines Fischteichbesitzers behandelte, der im Frühjahr 2020 Strafe zahlen musste, weil sein Gelände betreten wurde – damals galt ein Betretungsverbot für Freizeitbetriebe. Die Verordnungsakten des Gesundheitsministeriums ließen aber nicht erkennen, "welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von Covid-19" für dieses Verbot ausschlaggebend waren, der Fischteichbesitzer bekam recht.

Die Liste der Verordnungen des Gesundheitsministers, die aus dem Grund aufgehoben werden mussten, lässt sich fortsetzen: Darauf stehen etwa auch das Betretungsverbot für Gaststätten, Besucherobergrenzen und Abstandsregeln in der Gastro, das Verbot von Veranstaltungen mit über zehn Personen und die Maskenpflicht in Amtsräumen.

Das traf aber auch den Magistrat Wien bei der Registrierpflicht in der Gastronomie. Ein Restaurantbesitzer wehrte sich, auch da befand der VfGH, dass es nicht nachvollziehbar war, warum diese Maßnahme erforderlich und angemessen sei.

Im Dezember entschied der VfGH wegen derselben Problematik außerdem gegen eine Verordnung des Bildungsministeriums, die vorgeschrieben hatte, dass Schulklassen in zwei Teile gesplittet und abwechselnd im Präsenzunterricht sein sollten und – wenn sie denn in der Schule sind – außerhalb des Unterrichts Maske tragen müssen.

All das sagt nicht, dass die Maßnahmen untauglich waren, um die Pandemie in Schach zu halten. Doch wird das nirgendwo niedergeschrieben, ist das gesetzeswidrig. Die Gesetzgeber lernten daraus: Schon seit Monaten kommen Verordnungen und Gesetze aus dem Gesundheitsministerium nun mit seitenweisen Erläuterungen, sogenannten rechtlichen und fachlichen Begründungen. In denen werden einerseits einzelne Unklarheiten in den Paragrafen geschärft, andererseits die pandemische Lage dargelegt.

Passagen, die hielten: Nicht allen Beschwerden stimmte der VfGH zu

Ein Punkt, der in den ersten Monaten der Pandemie vor allem der FPÖ und deren Ex-Obmann Heinz-Christian Strache ein Dorn im Auge war, war die Entschädigung für Betriebe, die wegen der Pandemie schließen mussten. Laut dem Epidemiegesetz wäre so eine nämlich zu zahlen, laut dem relativ rasch aus dem Boden gestampften Covid-19-Maßnahmengesetz jedoch nicht.

Das Kernargument, warum auch der VfGH findet, dass das Epidemiegesetz nicht anwendbar ist: Offenkundig sei das nur für Fälle gedacht, in denen einzelne Betriebe schließen müssen, nicht aber für großräumige Betriebsschließungen – das Gesetz war zu dem Zeitpunkt immerhin auch schon 70 Jahre alt. Solange also Betriebsschließungen mit einem Rettungspaket einhergehen, entschied der VfGH, ist an der Regelung nichts zu kritisieren.

Später, im Herbst des Vorjahrs, hatten mehrere Schülerinnen und Schüler beantragt, eine Verordnung zu prüfen, wegen der sie im Distance-Learning lernen mussten. Ihre Argumentation: Das verstoße gegen ihr Grundrecht auf Bildung. Sie wurden abgewiesen. Denn dieses Grundrecht gibt es zwar, es gewährt aber kein ausnahmsloses Recht auf Präsenzunterricht, hielt der VfGH fest. Außerdem stellte er fest: Angesichts aller Unsicherheiten in Bezug auf die Frage, wie sich das Coronavirus verbreitet, sei es auch zulässig gewesen, in dem Zeitraum auf Distance-Learning umzustellen.

Mehrere Individualanträge wurden auch zurückgewiesen. Einer davon etwa von einer Impfskeptikerin, die sich gegen einen Paragrafen wehren wollte, in dem es heißt, dass die Bezirksverwaltungsbehörde im Einzelfall für bestimmte gefährdete Personen eine Impfung anordnen kann. Der VfGh behandelte den Antrag nicht, weil die Frau nicht von dem Passus betroffen war.

Erst am Dienstag entschied der VfGH: Wer nach einer Reise in Heimquarantäne muss, hat keinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs. Eine Bezirksverwaltungsbehörde und das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hatten den entsprechenden Antrag eines Unternehmens abgelehnt. Die Verpflichtung, sich bei der Rückkehr nach Österreich in Quarantäne zu begeben, sei keine Absonderungsmaßnahme nach dem Epidemiegesetz. Deshalb gebe es auch keinen Vergütungsanspruch. Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanzen. (Jakob Pflügl, Gabriele Scherndl, 31.3.2021)