Kanzler Kurz in der Kritik.

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Einem Bericht des Onlineportals "Politico" vom Dienstag zufolge hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) massiven Druck auf die EU-Kommission ausgeübt, Österreich mehr als die bisher vereinbarten Impfdosen zukommen zu lassen.

Wie es dort heißt, habe Kurz gedroht, ein Veto gegen gegen den Ankauf von weiteren 100 Millionen Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs einzulegen, die gegen Jahresende geliefert werden sollen. Der Kanzler verlangt, dass Österreich von den zehn Millionen Vorabdosen, die schon bis 30. Juni verfügbar sind, möglichst viele erhält – anderenfalls werde Wien die Kaufoption als Ganzes blockieren.

Eigentlich sind die nun bald verfügbaren Biontech/Pfizer-Dosen für Länder wie Lettland und Bulgarien gedacht, wo die Impfprogramme noch weit schleppender vorangehen als hierzulande, weil dort Impfstoffe bestellt wurden, die noch nicht in ausreichender Menge lieferbar sind.

Keine Extra-Dosen für Österreich

Eine Abfuhr erhielt Sebastian Kurz indes vom portugiesischen EU-Vorsitz: Nach dem Vorschlag würden Bulgarien, Kroatien, Estland, Lettland und die Slowakei sowie Tschechien von dem Solidaritäts-Kontingent profitieren. Demnach stünden Österreich keine Extra-Vakzine zu, sondern lediglich 139.170 Impfdosen.

Der Anteil für Österreich läge somit deutlich unter den von Kurz erhofften bis zu 400.000 Dosen für Österreich. 139.170 Impfdosen entspricht dem Österreich-Anteil nach dem Bevölkerungsschlüssel von dem verbleibenden Kontingent von sieben Millionen Biontech/Pfizer-Dosen. Über diesen Vorschlag der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft beraten ab dem Mittwochvormittag die EU-Botschafter in Brüssel.

Für Entrüstung habe Kurz' Vorgehen im Vorfeld jedenfalls gesorgt, berichtet "Politico" unter Berufung auf Gesandte dreier, nicht näher genannter EU-Staaten.

"Solidarität für Wien eine Einbahnstraße"

Einer davon macht seinem Ärger Luft: "Kurz riskiert das Leben von 50 Millionen Europäern, um etwas zu bekommen, was er gar nicht braucht." Ein anderer attestiert Kurz blanken Egoismus: "Solidarität scheint für Wien eine Einbahnstraße zu sein."

Bisher war man sich unter den EU-Staaten einig, dass von den zehn Millionen im zweiten Quartal 2021 gelieferten Extradosen ein bis zwei Millionen an Staaten gehen sollen, die sie aktuell am dringendsten brauchen, Bulgarien etwa, aber auch Kroatien und Lettland – allesamt Länder mit weit geringerer Durchimpfungsrate als Österreich. Blockiert Wien nun die Option der Kommission auf die 100 Millionen Dosen, könnten diese für die EU schlicht und einfach verloren gehen, wird laut "Politico" befürchtet.

Das Bundeskanzleramt reagiert auf STANDARD-Anfrage mit einem Dementi: "Der Bericht fußt auf Falschinformationen. Wir unterstützen den portugiesischen Ratsvorsitz dabei, eine rasche Lösung zu finden."

Neos-EU-Abgeordnete Claudia Gamon bezeichnete die kolportierte Drohung Österreichs am Dienstag in einer Aussendung als "absolut letztklassige Aktion". Kurz fahre die europäische Impfstrategie an die Wand und nehme die gesamte EU in Geiselhaft. "Kanzler Kurz hat Österreich damit in Europa endgültig ins Eck gestellt", sagt Gamon.

"Volle Aufklärung" fordert SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher "Kanzler Kurz hat beim Impfen in Österreich schon alles verbockt, wenn er jetzt auch noch auf EU-Ebene wild um sich schlägt, stellt er Österreich damit komplett ins Eck", sagte Kucher in einer Aussendung. "Der Kanzler schießt sich täglich mehr ins Aus und hat im In- und Ausland völlig die Kontrolle über das Geschehen verloren. Er hat das Ruder in dieser Krise abgegeben."

Kommission erwartet Einigung

Am Mittwoch befasst sich die Sitzung der EU-Botschafter mit der möglichen Aufteilung der Extrakontingente. Eben diese will die EU-Kommission abwarten, bevor sie auf Berichte dazu reagiert, heißt es in einer Stellungnahme zum STANDARD. Ein Kommissionssprecher erinnert aber daran, dass der Impfdosen-Verteilungsschlüssel pro Kopf eine "faire Lösung" sei, da das Virus die Mitgliedsstaaten der Union gleich hart treffe.

Dadurch, dass einzelne nicht das volle Kontingent ausgeschöpft und so mehr Impfdosen für andere Staaten übriggeblieben seien, sei das System von den Mitgliedsstaaten abgeändert worden. Die Kommission erwartet, dass sich die einzelnen Länder "so schnell wie möglich einigen", sagt der Sprecher. (flon, bbl, 30.3.2021)