Wer das Kfz-Pickerl nicht rechtzeitig erneuert, darf nicht Österreicherin werden? Europarechtsexperte Stefan Brocza widmet sich im Gastkommentar einem "Paradebeispiel für Bürokratismus".

Dass es nicht immer einfach ist, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ist wohl bekannt. Was jedoch jetzt vor dem Gerichtshof der EU gelandet ist, ist selbst für gelernte Österreicherinnen und Österreicher schwer zu ertragen: ein Paradebeispiel für Bürokratismus und unerträglich lange Verfahrensdauer.

Zum Jahresende 2008 hat eine in Niederösterreich lebende EU-Bürgerin aus dem Baltikum die österreichische Staatsbürgerschaft beantragt. Sechs Jahre später wird ihr diese von der niederösterreichischen Landesregierung zugesagt – unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb von zwei Jahren auf ihre bisherige Staatsbürgerschaft verzichtet. Diese Bedingung erfüllte sie 2015: Sie legte ihre estnische Staatsbürgerschaft zurück und wird staatenlos. Zwischenzeitlich umgezogen, widerrief nun die Wiener Landesregierung den Bescheid aus Niederösterreich und hob die ursprüngliche Zusage, wonach die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen würde, auf. Begründet wird das damit, dass die nun staatenlose ehemalige Unionsbürgerin zwischenzeitlich zwei "schwerwiegende Verwaltungsübertretungen" begangen hätte. Es handelt sich dabei um das Fehlen einer gültigen Begutachtungsplakette an einem Kraftfahrzeug und das Fahren im alkoholisierten Zustand.

Bild nicht mehr verfügbar.

Keine Staatsbürgerschaft wegen Verwaltungsübertretungen.
Foto: Getty Images

Schiefgelaufen

Der Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien wurde nicht stattgegeben. Angesichts des begangenen "gravierenden Gesetzesbruches" sei trotz jahrelangen Aufenthalts in Österreich und der bestehenden beruflichen und persönlichen Integration eine positive "Prognose über das künftige Wohlverhalten" nicht mehr möglich. Schließlich lägen "schwere Straftaten" vor. Vor einem Jahr nun entschied der Verwaltungsgerichtshof, die Angelegenheit dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg vorzulegen. Zumindest den österreichischen Höchstrichtern wurde offensichtlich klar, dass in diesem Verfahren so einiges schiefgelaufen sein könnte.

Rechte und Pflichten

Der EuGH hat eine sehr weitreichende Entscheidungspraxis, was nun Rechte (und Pflichten) von Unionsbürgern angeht. Eben solch eine EU-Bürgerin wurde von einer österreichischen Behörde dazu gebracht, auf ihre EU-Staatsangehörigkeit – und damit auch auf ihre Rechte aus der Unionsbürgerschaft – zu verzichten. Jetzt zu argumentieren, EU-Recht sei gar nicht anzuwenden, denn man habe ja gegenüber einer "Staatenlosen" (und keiner EU-Bürgerin) die Zusage auf Verleihung der Staatsbürgerschaft zurückgenommen, wird wohl so vor dem EuGH nicht standhalten.

Von diesem Anlassfall losgelöst, wirft das ganze Geschehen natürlich auch wieder einmal grundsätzliche Fragen auf. Wenn man Würdenträger alkoholisiert hinter dem Lenkrad erwischt, schmunzelt Österreich. Wenn dasselbe einer Person passiert, die gerade Österreicherin werden will, dann kann man plötzlich "hinsichtlich ihres Gesamtverhaltens keine positive Zukunftsprognose" mehr abgeben. (Stefan Brocza, 31.3.2021)