"Undurchsichtige Aufträge und geschobene Posten sind als Polit-Folklore akzeptiert", sagt Neos-Abgeordneter Helmut Brandstätter im Gastkommentar. Die Opposition müsse geschlossener auftreten. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Ökonom Thomas Wieser: "Parteipolitisch gekaperte Verwaltung".

Die ÖVP und ihr Parteichef Sebastian Kurz sind mit schweren Vorwürfen, unter anderem wegen Jobvergaben, konfrontiert.
Foto: EPA / Christian Bruna

Heinz-Christian Strache versprach in Ibiza einer "russischen Investorin" gewinnbringende Geldanlagen in Österreich, viele Aufträge für einen noch zu gründenden Baukonzern, einen möglichen Einstieg bei der Kronen Zeitung und enthüllte: "Novomatic zum Beispiel zahlt an alle drei." Rücktritt. Sebastian Kurz versprach nicht nur, er setzte um. Er ist das Zentralgestirn eines winzigen Universums, wo wenige Planeten von seinem Licht leben und sich dafür einen ziemlich großen Kuchen aufteilen dürfen. Formalitäten wie das Stellenausschreibungsgesetz gibt es in ihrer privilegierten Parallelwelt nicht, es zählen Emotionen von Liebe und Unterwerfung: SMS-Nachrichten wie "Tu es für mich", "Ich bin nur zu dir lieb" oder "Kriegst eh alles, was du willst". Mit "eh alles" war übrigens der industrielle Staatsschatz der Österreicherinnen und Österreicher gemeint. Und während sich Strache vor Gericht noch für Spesenabrechnungen wird verantworten müssen, hat Kurz hinter dem Rücken seines Parteiobmanns Reinhold Mitterlehner hohe Spenden von machtaffinen Unternehmern kassiert.

Polit-Folklore

Die Bilder von Ibiza haben wir noch vor uns, und die einprägsamen Schwüre à la "Ich liebe meinen Kanzler" werden sich in unserer Fantasie festsetzen, aber warum gelingt es Kurz, noch immer so zu tun, als hätte er mit Thomas Schmid, Spenden und dem Strafrecht nichts zu tun? Geniale Message-Control, gekaufte Medien, unfähige Opposition oder alles zusammen?

So geschichtsarm Kurz auch sein mag, eines hat er offenbar schnell begriffen: Die Menschen in unserem Land haben damit leben gelernt, dass in der Politik Geschäfte gemacht und Posten verschoben werden. Die Slogans "Neu regieren" oder "Sparen im System" wurden nur für die Plakate ersonnen, passend zum jungen Gesicht. Undurchsichtige Aufträge und geschobene Posten sind als Polit-Folklore akzeptiert. Der niederösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Viktor Müllner hat in den 1960er-Jahren Millionen des Landes zur ÖVP verschoben und wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, heute trägt ein Weg in Maria Enzersdorf seinen Namen, er hatte ja auch seine Verdienste.

Beklemmende Form

Früher kamen Skandale an die Öffentlichkeit, weil enttäuschte Parteigänger Informationen hinausspielten. Dem begegnete das System Kurz, indem nur ein ganz kleiner Kreis eingeweiht wurde. Das geht aus den Chats in beklemmender Form hervor. Sie sind so vertraut, weil sie voneinander abhängen, Außenstehende werden verachtet. Selbst formal Mächtige wie Finanzminister Hartwig Löger werden mitleidig heruntergemacht, außer in der direkten Ansprache, da gilt die höfische Unterwerfung. Auch die Frau des vermögenden Investors Alexander Schütz passt nicht dazu, da helfen auch die Spenden an die ÖVP nichts. Sie trifft eine heftige Frauenfeindlichkeit. Aber auch gegen die katholische Kirche wollte Kurz "Vollgas geben", sie hatte die Flüchtlingspolitik kritisiert.

"Scham ist dieser Truppe völlig fremd,
wie wir den Chats schockiert entnehmen."

Diese Details werden viele Menschen in Österreich nie erfahren – und jetzt sind wir bei den Medien. Die besonders dick finanzierten Boulevardzeitungen berichten kaum, in der Zeit im Bild erfuhr man zwar von den peinlichen Chats, aber dass Kurz vor dem Ibiza-Ausschuss wirklich nicht die Wahrheit gesagt hat und es eine Sachverhaltsdarstellung darüber gibt, wurde verschwiegen. Auch hier ist ein Unterschied zu früher zu beobachten. Traditionell waren die Pressesprecher der Regierung lästig, die aktuellen aber sind brutal. 59 Personen arbeiten im Medienbereich des Kanzleramts, das gibt schon einmal eine ordentliche Druckwelle, und dann kommen die Anrufe mit so deutlichen Worten, dass die Beteuerung der freien Medien zu einer weiteren Lüge verkommt. Scham ist dieser Truppe völlig fremd, wie wir den Chats schockiert entnehmen.

Und die Opposition?

Und was macht die Opposition falsch? Vielleicht akzeptieren wir noch immer nicht die Wirkungsweise der modernen Medien. Das heißt zunächst Zielgruppe: Wenn sich Schmid über die katholische Kirche lustig macht, muss sofort eine sehr zielgesteuerte Kampagne organisiert werden. Am Kapitalmarkt muss die Botschaft ankommen, dass ein Manager ohne jegliche Erfahrung in der Wirtschaft eine Gefahr darstellt, die ÖVP-Frauen müssen all die frauenfeindlichen Sprüche lesen, wo von den "steuerbaren Frauen" und der "Scheiß Quote" die Rede ist. Und schließlich noch ein Befund, der allen im Land, die Stabilität suchen, ihre Zuneigung für Kurz austreiben wird: Der angeschlagene Schmid hat alles auf seinem Handy. Seine engsten Weggefährten sind von ihm abhängig, wenn nicht sogar erpressbar.

Kurz und Co haben keine Skrupel. So sind sie, so darf die Opposition sicher nicht werden. Aber gegen die Methoden dieser Truppe muss sie besser organisiert auftreten. (Helmut Brandstätter, 31.3.2021)