Fünf Millionen Covid-Impfdosen extra wären für Österreich mehr als das Doppelte dessen, was bisher verimpft worden ist.

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100.000 Dosen waren es, die Clemens Martin Auer seinen Job kosteten, weil diese dem Staat wegen seines Handelns entgingen. 200.000 Extra-Impfdosen wurden Österreich am Donnerstag von der EU zugeteilt, das sorgte für Eilmeldungen im ganzen Land. 1,6 Millionen Dosen wurden insgesamt in Österreich bisher verimpft – genug, um gut fünf Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Impfschutz geben zu können. Und fünf Millionen Dosen wollen drei Männer nun diskret nach Österreich vermitteln. Bisher nahm niemand ihr Angebot an – noch nicht.

Was ist das für ein Deal, den die drei Herren da anbieten? Eine Win-win-Situation, am Ende gar die Lösung für das wohl größte Problem, vor dem Österreich und andere Länder momentan stehen? Oder doch ein Versuch, Österreich zu betrügen? Eine Spurensuche am Markt der Impfstoffbeschaffung – einem Markt voller offener Fragen und Intransparenz.

Unklarer Verkäufer

Alles begann an einem Tag im März 2021. Österreich hat Monate nach dem Impfstart noch kein Zwanzigstel der Bevölkerung gegen das Coronavirus immunisiert. Die Lieferungen jener Hersteller, mit denen die EU Verträge abgeschlossen hatte, laufen mehr als stockend. Unmut in Opposition und Bevölkerung steigen immer weiter an. Da treten plötzlich drei Herren auf, die behaupten, Impfdosen besorgen zu können – ganz transparent, dennoch rasch und in Millionenmengen, sagen sie. Ihr Angebot: Impfdosen von Astra Zeneca und Pfizer, die sich eigentlich afrikanische Länder gesichert hätten, die aber nun aufgrund fehlender Kühllogistik nicht verimpft werden können, würden nur auf einen neuen Abnehmer warten.

Die drei probieren es zuerst bei Karlheinz Kopf, dem Generalsekretär der Wirtschaftskammer, später beim Neos-Abgeordneten Gerald Loacker. Die Gespräche enden jedoch immer bei der Frage, wer denn der konkrete Verkäufer dieser Impfdosen sei. Das wollen die Vermittler nämlich nicht verraten. "Eine NGO", der der Impfstoff momentan gehört, würde den Vertrag unterschreiben, sollen sie Loacker gesagt haben. DER STANDARD hat einen der drei Anbieter telefonisch erreicht und nach der Herkunft der Impfdosen gefragt. "Kein Kommentar", lautete die Antwort. Seinen Namen will er im Zusammenhang mit seinem Angebot nicht in der Zeitung lesen.

Globales Ungleichgewicht

Privatpersonen, die für unbekannte Verkäufer überschüssigen Covid-19-Impfstoff in andere Länder vermitteln? Eigentlich gibt es doch ein System für den Fall, dass ein Land seinen Impfstoff nicht verteilen kann. Die Dosen werden an die internationalen Gesundheitsorganisationen CEPI und Gavi gegeben – und die verteilen sie gerecht weiter, erklärt Impfstoffexpertin Christina Nicolodi: "Die würde ich als Erste kontaktieren, wenn ich seriös wäre", sagt sie. Die Impfdosen stattdessen einem Industriestaat anzubieten, noch dazu zu einem Preis, der über dem üblichen liegt, ist politisch heikel.

Noch dazu: Afrikanische Länder haben eher zu wenige als zu viele Dosen. In vielen Ländern sei noch gar kein Impfstoff angekommen, sagt Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen, selbst gerade in Nigeria. Momentan sei auf dem ganzen Kontinent gerade einmal genug Impfstoff, um ein Prozent der Bevölkerung zu immunisieren. "Zu behaupten, die hätten etwas abzugeben, ist reiner Zynismus", sagt Bachmann. Auch das Kühlkettenargument erscheint ihm fadenscheinig: "Die Länder haben Erfahrung im Umgang mit Epidemien, haben die Kapazität, Impfkampagnen auszurollen." Der Flaschenhals sei nicht die Logistik, sondern der fehlende Impfstoff.

Ist das legal?

Die europäische Korruptionsbehörde Olaf hat die Mitgliedsstaaten schon Mitte Februar vor Betrug im Zusammenhang mit der Vermittlung von Covid-Impfstoffen gewarnt. Dem STANDARD bestätigt ein Sprecher, dass diesbezüglich Ermittlungen in einem Dutzend EU-Staaten laufen. "Bisher stellen all die verschiedenen Betrügereien oder gefälschten Angebote zusammen eine Milliarde Impfstoffdosen zu einem Gesamtpreis von fast 14 Milliarden Euro dar." Doch: Noch keine einzige gefälschte Impfdose sei bis jetzt sichergestellt worden, sagt der Olaf-Sprecher dazu. Das österreichische Bundeskriminalamt bestätigt ebenfalls, dass Ermittlungen laufen, und bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind seit März zwei Verfahren anhängig.

In Nachrichten an Loacker sprechen die drei Vermittler von einem vollkommen transparenten Prozess. Statt Spam-Mails, in denen nach der Bankverbindung gefragt wird, setzen sich drei adrette Herren in einen Zoom-Call, als würden sie ein Meeting von vielen abhalten, sie zeigen ihr Gesicht, nennen ihre echten Namen. Ist denn die Konstruktion, die sie vorschlagen, legal?

Diese Frage zu beantworten ist schwieriger, als es erscheinen mag. Laut Gesundheitsministerium haben die Mitgliedsstaaten der EU vereinbart, dass sie über die EU-Verträge hinaus keine Impfstoffe von Herstellern beschaffen, die auch innerhalb der EU-Verträge liefern. Damit soll garantiert werden, dass es in Summe mehr Dosen zu einem besseren Preis gibt. Und: Dieses Arrangement ist rechtlich bindend. Bezüglich Angeboten, die nicht von den Herstellern selbst kommen, verweist das Ministerium auf Warnungen von Olaf.

Wer darf Impfstoff kaufen?

Aber was ist, wenn nicht der Staat Österreich die Dosen kauft, sondern jemand anderer? Eine Privatperson, so sagt Nicolodi, könnte sich rein theoretisch Impfstoff beschaffen – beim Hersteller, wie auch bei einer NGO oder einem Land, das den Impfstoff bereits gekauft hat. Nur: Die Person könnte damit in Österreich nicht viel anfangen: Um den Impfstoff weiterzuvertreiben, bräuchte sie eine Gewerbeberechtigung für den Arzneimittelhandel. Wenn überhaupt, müsste sie die Dosen also direkt verimpfen.

Dazu kommen weitere Hürden: Jede Charge, die in Österreich verimpft wird, muss vorher in der EU zur Anwendung freigegeben werden. Abgesehen davon braucht man für den Import eine Einfuhrbescheinigung und ein Gutachten eines Arztes, der die Arzneispezialität benötigt. "Es ist unseres Wissens nach nicht möglich, Impfstoff für die aktuelle Phase als Unternehmen direkt beim Hersteller zu beziehen", heißt es dazu vom Gesundheitsministerium. "Es gibt keinen privaten Markt für Covid-19-Impfstoffe", sagen Impfstoffhersteller Pfizer und die heimischen Verbände der Arzneimittelhersteller (ÖVIH) sowie der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) unisono. Verkauft würde nur an Regierungen.

Und dann ist da noch diese Sache mit den NGOs, die im Besitz der Impfstoffe sein sollen. Solche sind in afrikanischen Ländern, so heißt es von Ärzte ohne Grenzen, nämlich gar nicht in die Impfstoffbeschaffung involviert. Abgewickelt wird die durch die Beschaffungsagentur der Afrikanischen Union, in einzelnen Staaten auch durch bilaterale Deals und durch Covax – eine gemeinsame Initiative von WHO, Europäischer Kommission und Frankreich. Implementiert wurde es von der Impfallianz Gavi, die Aufgabe ist, verknappt formuliert, ärmeren Ländern mithilfe von reicheren Ländern Corona-Impfstoff zugänglich zu machen – also das genaue Gegenteil von dem Vorschlag der drei Herren.

Ein Sprecher von Covax schreibt dem STANDARD: "Unsere Impfstoffe werden direkt von den Herstellern an von der Regierung kontrollierte Geschäfte geliefert." Und: Von Covax gelieferte Impfdosen könnten "unter keinen Umständen weiterverkauft werden". Dass Covax-Dosen gestohlen worden seien, sei nicht bekannt.

Wer sind die Männer?

Man könne bei Astra Zeneca nachfragen, meinen die drei Vermittler jedenfalls zum Abgeordneten Loacker. Dort würden die angebotenen Dosen liegen, das Material bekomme man als Käufer direkt von Astra Zeneca geliefert. Ruft man bei Astra Zeneca an, dann sagt eine Sprecherin: "Eine derartige Konstellation kann ich klar verneinen." Und: Sie bittet eindringlich, den Sachverhalt den Behörden zu melden. Was der Konzern naturgemäß nicht weiß: ob eine Regierung oder ein sonstiger Besitzer eines Impfstoffs diesen weiterverkauft, nachdem er ihn gekauft, bezahlt und geliefert bekommen hat.

Als Pharmahändler treten die drei Herren jedenfalls nicht auf. Einer von ihnen war einst Geschäftsführer eines großen österreichischen Medienunternehmens, seit gut einem Jahr ist er im Führungsteam eines deutschen Unternehmens, das Produkte aus dem Bereich Nahrung und Kosmetik vertreibt. Außerdem ist er Gesellschafter mehrere Unternehmen in Österreich, unter anderem einer Werbeagentur. Die anderen beiden treten mit Mailadressen einer Consultingfirma und eines Holding-Unternehmens auf.

Loacker wie auch Kopf lehnten das Geschäft ab. Beide waren der Ansicht: Wenn der Verkäufer geheim bleiben soll, kann die Seriosität beim Hersteller nicht hinterfragt werden. Bleibt die Frage, warum die Männer es nicht direkt beim Bund versucht haben. Im Gesundheitsministerium winkt man ab. Dort sind die Männer noch ebenso wenig aufgeschlagen wie im Kanzleramt.

Stadt Wien prüft das Angebot

Erst vor wenigen Tagen traten die drei Herren jedoch erneut in Erscheinung. Nachdem Wirtschaftskammer und Neos das Angebot abgelehnt hatten, traten sie an Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) heran. Laut Gesundheitsministerium gilt das Agreement, wonach keine Impfstoffe von Herstellern bezogen werden, mit denen es auch EU-Verträge gibt, auch für Länder und Gemeinden. Im Büro Hacker hingegen ist man der Ansicht, man könne rechtlich theoretisch eigenständig Impfstoffe kaufen – jedoch nur zugelassene Präparate und unter Einhaltung der Vergaberichtlinien. Bei der Vergabe gehe aber ohnehin nichts ohne die Zustimmung des Bundes. Man habe aber schon unzählige Angebote wie jenes der drei Herren bekommen, sagt Hacker. Nach eingehender Prüfung hätten sich die allerdings alle als unseriös herausgestellt. Das Ministerium meint dazu: Vorgesehen ist es nicht, dass die Länder eigenmächtig Impfstoff besorgen, aber: "Natürlich können die das selbst rechtlich prüfen."

So prüft nun auch die Stadt Wien das Angebot der drei deutschen Vermittler. Erst wird nach Chargennummern gefragt, über die dann bei den Herstellern geprüft werden kann, ob die Dosen überhaupt existieren. Kommende Woche, so heißt es, werde man mehr wissen. (Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, Gabriele Scherndl, 2.4.2021)