Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP).

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Österreich hat es im internationalen Gleichberechtigungsindex geschafft! Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums ist Österreich unter 156 Ländern auf den 21. Platz in Sachen Gleichberechtigung geklettert. Diesen Erfolg verdanken wir der höheren Repräsentation von Frauen im Parlament, es gibt jetzt mehr Ministerinnen, und auch in der Wirtschaft sind mehr Managerinnen zu finden.

Gute Repräsentation, traurige Realität

Das klingt zunächst nach einem Fortschritt. Aber ist er das wirklich? Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die ungleiche Verteilung zwischen Care- und Lohnarbeit, die schlechte Bezahlung für körperlich anstrengende Jobs in der Medizin, der Pflege oder dem Handel weiter verstärkt. Auch das Weltwirtschaftsform (WEF) kommt zu dem Schluss: Im letzten Jahr kam es zu einer deutlichen Verschlechterung für Frauen. Berechnete das WEF 2019 noch, dass es "nur mehr" 95 Jahre bis zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern vergehen würden, so hat sich die Lücke seit Corona drastisch vergrößert. Nun könnte es laut WEF 135 Jahre dauern.

Die Lage verschlechtert sich also – und das, obwohl der weibliche Teil der Bevölkerung von mehr Frauen in der Politik und Wirtschaft repräsentiert wird denn je. Wie kann das sein?

Vielleicht liegt es daran, wie diese Repräsentation ausgelegt wird. Kann sich Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), die das Label "Feministin" für sich ablehnt, glaubhaft für umfassende Gleichstellung einsetzen? Ziehen wir eine Bilanz des letzten Jahres: Zu wenig hat sie die schwierige Lage von Frauen in der Corona-Krise hervorgehoben, zu zaghaft auf rasche Hilfsmaßnahmen speziell für Frauen gepocht. Entlastung für Geringverdienerinnen, Alleinerziehende oder armutsbetroffene Frauen? Keine hörbaren Forderungen der Frauenministerin. Stattdessen sprach sie sich im letzten Jahr zusammen mit der ehemaligen Arbeitsministerin Christine Aschbacher für die Einführung einer Abtreibungsstatistik aus, in der unter anderem die Beweggründe für diesen Schritt erfasst werden sollten. Kritiker und Kritikerinnen haben die Sorge, dass die genannten Gründe dann als nicht stichhaltig interpretiert und Abtreibungen so erschwert werden könnten. Echter Einsatz für Frauenpolitik sieht anders aus.

Feminismus ist keine Begrifflichkeit

Erst vergangenen Monat hat Susanne Raab in einem Interview mit dem "Kurier" über Frauenpolitik gesprochen. Was hat sich in einem Jahr Pandemie getan? Die Frauenministerin möchte sich nach wie vor nicht feministisch positionieren. Schließlich wäre derzeit die Frage nach Begrifflichkeiten nicht das Wichtigste. Stattdessen solle man sich darauf konzentrieren, Frauen in der Corona-Krise bestmöglich zu unterstützen. Jede Frau sollte das Lebensmodell wählen dürfen, das für sie das beste ist.

Doch im nächsten Atemzug spricht sie sich gegen eine verpflichtende Väterkarenz aus. Seit Jahren belegen Studien, dass Frauen die Hauptlast der unbezahlten Sorgearbeit tragen. Dadurch fällt es schwerer, eine Vollzeitstelle zu bekommen. Das Ergebnis: Teilzeitfalle, wenig Einkommen. Die Folgen: Abhängigkeit vom Partner, geringe Pension, Altersarmut. Das alles wird durch die Pandemie auf die Spitze getrieben. Das sind reale Zwänge, unter denen Frauen ihr Leben managen müssen. Sich das ideale Lebensmodell selbst auszusuchen ist unter diesen Umständen nahezu unmöglich.

Die Frauenministerin liegt also falsch: Feminismus ist keine Begrifflichkeit. Feminismus ist eine politische Haltung. Die Haltung und Überzeugung, Strukturen für Frauen jeder Herkunft und sozialer Klasse zu verbessern. Eine Frauenministerin ohne klare feministische Positionierung mag zwar in der Theorie auf Rankings gut aussehen, wird in der Praxis aber nicht viel für die Frauen der Bevölkerung bewegen. (Vanja Nikolić, 2.4.2021)