Sie liegt mit schickem Strickpulli auf der Couch, auf ihrem Bauch ein schnurrendes Haustier. "Für Couch -Potatoes. Egal von wo, dein Sofa ist nur einen Katzensprung entfernt." Er steht mit Rucksack und Kapuze in einer verschneiten Schlucht, hinter ihm ein Wasserfall. "Für Outdoor-Enthusiasten. Vom Hauptbahnhof ums Eck direkt ins nächste Abenteuer." Gemeinsam werben die beiden hedonistischen Sport-Bobos für einen 19-stöckigen Turm, den die STC Swiss Town Consult in Zusammenarbeit mit der Art-Invest Real Estate direkt neben den Gleisen in den Himmel hochzieht: The Metropolitan.

"Bürointern nennen wir das Haus einfach nur Metro", für die Außenwelt ist es The Metropolitan.
Foto: Czaja

The what? For whom? And why exactly here? Das Immobilienprojekt mit dem metropolitesk anmutenden Werbeslogan "Modern Living at Vienna’s Central Station" ist kein Einzelfall. Was ursprünglich vor allem angloamerikanischen Metropolen wie London, New York, San Francisco und in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch dem asiatischen Raum mit Tokio, Hongkong, Schanghai vorbehalten war, schwappt nun auch auf Mitteleuropa über. "Address-Branding" nennt sich die ideell und ökonomisch aufwertende Maßnahme der mit allen Wassern gewaschenen Immobilienwirtschaft im Fachjargon.

Ein bisschen Rockefeller

Die Bandbreite der in Wien vorzufindenden Names and Claims ist gigantisch und reicht von recht sympathischen Bezeichnungen bis hin zu großspurigen Behauptungen, die in der Realität nicht immer halten, was sie versprechen. Auf der einen Seite etwa Colibri, Kayser, Willli, Cuuube, Triiiple, Frieda & Oskar, Poldine & Selma, Rote Emma, Apfelbaum, Wildgarten und – in Anspielung auf das Berliner Original – Über den Linden. Auf der anderen Seite hochtrabende, mitunter symbolschwangere Kreationen wie The Rarity, The Icon, The Fizz, The Son, The One, The Ambassy, Skyfall, Belview, Bel & Main, Rivus, Upper West, Flatiron Vienna, Laend yard, Palais Principe, Heart of Gold, Cuvée 49 und – weil Wien halt auch ein bisschen Rockefeller sein will – The Metropolitan.

"Bürointern nennen wir das Haus einfach nur Metro", sagt Dietmar Feistel, Partner im Wiener Büro DMAA Delugan Meissl Associated Architects, der das Projekt in Kooperation mit Architektur Consult geplant hat. "The Metropolitan klingt für unseren Geschmack etwas zu lang und zu gewollt, aber die Benennung und Verwertung von Immobilienprojekten liegt ganz und gar in den Händen des Projektentwicklers." Auch beim Bel & Main, ebenfalls ein DMAA-Projekt, gleich nebenan, sei das Branding ohne Rücksprache mit den Architekten erfolgt. Dass sich hinter dem Namen die Abkürzungen für Belvedere und Main Station verbergen, muss man als Konsument erst einmal konstruieren können.

"Die Benennung von Immobilien hat Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA begonnen", sagt Matthias Boeckl, Professor für Architekturgeschichte an der Universität für angewandte Kunst – und verweist auf das Woolworth Building, das Chrysler Building und das Empire State Building in New York City. "In der jüngeren Geschichte hat das große Branden mit Donald Trump und seinen unzähligen Trump Towers eine Renaissance erlebt."

"In der jüngeren Geschichte hat das große Branden mit Donald Trump und seinen unzähligen Trump Towers eine Renaissance erlebt." Gemeint ist das Branding rechts hinten – nicht das vorne.
Foto: AFP

Dass auf einem zunehmend unübersichtlichen Immobilienmarkt die Developer und Investoren immer öfter auf Namen zurückgreifen, um sich von ihren Mitbewerbern zu unterscheiden, sei für Boeckl nachvollziehbar. Aber: "Der Grat zwischen guten, sympathischen und emotional intelligenten Namen auf einer gewissen lokalen Dialektebene und aalglatten, global austauschbaren, meist verlogenen Namen im pseudocoolen Möchtegern-Luxussegment, wie wir sie im freifinanzierten Bereich vorfinden, ist ein schmaler. Man kann alles behaupten, was nicht expressis verbis verboten ist."

Für Anita Aigner, Assistenzprofessorin an der der TU Wien, die mit ihren Studierenden in den letzten Jahren im Bereich Immobilien-Marketing geforscht hat und demnächst ihr Buch Hier kommt der Investor (Schlebrügge Editors, Mai 2021) vorstellen wird, ist die Benennung von Projekten seit dem Roten Wien in dieser Stadt eine Konstante. "Der Unterschied zwischen Karl Marx, Victor Adler und Barbara Prammer und der heutigen Branding-Kultur allerdings ist, dass nun keine Leistungen gerühmt, sondern Emotionen und Eigenschaften behauptet werden. Im Vordergrund steht nicht die kulturelle Identität, sondern der möglichst schnelle Kapitalumschlag. Ein hipper, moderner und Internationalität verströmender Name hilft dabei."

Der Wiener Soziologe Simon Andreas Güntner meint, dass die zum Teil Blüten treibende Benennungskultur vor allem mit dem Internet zu tun habe. "Viele große Projekte werden heute vor allem digital beworben und vermarktet. Einprägsame Namen und unverwechselbare Website-Domains, die in Suchmaschinen hoch gerankt werden, sind unverzichtbar. Sinus-Milieu-Blase oben rechts, Performer, Etablierte und Experimentalisten, Single, weiß, erfolgreich, Männer wohlhabender als Frauen, die Amplitude nach oben jagen, ein anglizistischer Name, ein paar coole Fotos dazu, fertig ist das Traumpaket."

Tatsächlich unterscheiden sich die Namenssuchen von Büro zu Büro. Im geförderten Bereich sowie in den kleinen Unternehmen – so viel lässt sich nach einer kleinen STANDARD-Umfrage sagen – werden die Namen meist intuitiv vergeben. Aus dem Bauch heraus, niederschwellig, deutschsprachig, manchmal zum Schmunzeln und nach Möglichkeit mit einer anekdotischen Verbindung zur Adresse und Ortsgeschichte. Das ist das Revier der Roten Emma von Gerner Gerner Plus und Alles Wird Gut, die auf dem ehemaligen Kartoffelfeld eines Bauern, der hier einst die Rote Emma anbaute, für die Bauträger BWS und Migra rund 360 Wohnungen errichten. Die namensgebende Kartoffelsorte soll in Hochbeeten auf dem Dach angebaut werden. Ein entzückender Volltreffer.

Kennedy Garden, ein Projekt der Buwog.
Foto: BUWOG / Infinity Eleven

In den großen Immobilien-Konzernen jedoch wird die Namens suche professionalisiert, in den hauseigenen Marketing-Abteilungen abgewogen und in den zugehörigen Sinus-Milieus in Form von Umfragen auf ihre Markttauglichkeit geprüft. Für Daniel Jelitzka, Geschäftsführer von JP Immobilien, geht es um Emotionalisierung und Schaffung von Identität. "Bei außergewöhnlichen Bauvorhaben stellen wir die Marke JP in den Hintergrund. Die Bühne gilt der Besonderheit des Gebäudes. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass die versprochenen Eigenschaften auch eine gebaute Entsprechung finden."

Et tu, Brute?

Und in der Buwog, erzählt Geschäftsführer Andreas Holler, werden die potenziellen Projektnamen von Marketing-Experten und Juristen auf Herz und Nieren geprüft. Ob das nun Rivus, Helio Tower oder Kennedy Garden ist.

"Immer wieder passiert es, dass wir unsere Ideen aus rechtlichen Gründen verwerfen und eine Alternative finden müssen. Gerade bei Leuchtturmprojekten kann der Prozess sehr lange dauern. Und am Ende frage ich mich natürlich: Ist Helio Tower nur Marketing? Oder wird der Name auch nach Fertigstellung des Hochhauses in den Köpfen der hier wohnenden Menschen überleben?"

Um sich am Markt der Eitelkeiten abzuheben, kann man sich über die Spielregeln guten Marketings auch getrost hinwegsetzen und seine Immobilie nach einem dummen, stumpfsinnigen Mörder benennen. In Rotterdam wurde soeben ein Stadtentwicklungsprojekt vorgestellt: Brutus. (Wojciech Czaja, 04.04.2021)