Lkws werden aller Voraussicht nach in Steyr auch nach 2022 gebaut. Diesfalls nicht mehr für MAN, sondern unter Regie von Ex-Magna-Chef Siegfried Wolf.

Foto: APA / Fotokerschi.at / Werner KerschbaumMayr

Wien/Steyr – Die Stammbelegschaft des MAN-Werks in Steyr ist im Dilemma: Sie muss am Mittwoch nach Ostern darüber abstimmen, ob sie mit der Übernahme des Lkw-Werks durch den früheren Magna-Chef Siegfried Wolf einverstanden ist. Es ist zwar nicht so, dass es dieser Zustimmung juristisch bedürfte. Aber Wolf knüpft seine Pläne für die Wiederbelebung der Marke Steyr an dem 100 Jahre alten Produktionsstandort an das Wohlwollen der Mannschaft, wie er nicht müde wird, zu betonen.

Für die Belegschaft hat diese Zustimmung freilich doppelte Wirkung und sehr reale finanzielle Auswirkungen. Denn wer die in Aussicht gestellte Prämie von 10.000 Euro annimmt, die der Miteigentümer des russischen Autoproduzenten Gaz Siegfried Wolf bietet, verzichtet nicht nur dauerhaft auf 15 Prozent seines Nettolohns. Er verzichtet auch auf die Möglichkeit, die Einhaltung des von der Volkswagen-Nutzfahrzeugsparte MAN im Vorjahr überraschend aufgekündigten Standort- und Beschäftigungsvertrags bis 2030 vor dem Arbeits- und Sozialgericht einzuklagen.

Wertvoller Standortvertrag

So wertlos, wie von München dargestellt, dürfte dieser Vertrag doch nicht sein: Unternehmensintern sei das vor drei Jahren von MAN gegebene Versprechen für Beschäftigung kumuliert auf bis zu 1,2 Milliarden Euro taxiert worden, erfuhr DER STANDARD von mit der Materie befassten Auskennern.

Die Gewerkschaft habe sich deshalb bereits mit Rechtsgutachten aufmunitioniert, heißt es. Es sei keineswegs als aussichtslos anzusehen, die bis zum Jahr 2030 anfallenden Löhne und Gehälter im Fall einer Kündigung einzuklagen, formuliert es ein Insider vorsichtig.

Dieser Betrag von 1,2 Milliarden Euro ist laut STANDARD-Recherchen nicht aus der Luft gegriffen. Für einen Drohverlust in dieser Größenordnung habe die Geschäftsführung der – mangels rückläufiger Absatzzahlen für die produzierten Leicht-Lkw als künftiger Verlustbringer dargestellten – Österreich-Tochter in der Bilanz 2020 Rückstellungen bilden wollen, um für allfällige finanzielle und gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen im Rahmen der von der Gewerkschaft angekündigten Klagen vor dem Arbeits-und Sozialgericht gerüstet zu sein.

Diese Größenordnung klingt insofern nicht unplausibel, als der Personalaufwand laut der im Firmenbuch hinterlegten Bilanz 2019 allein für Löhne und Gehälter knapp 136 Millionen Euro ausmacht. Zuzüglich sozialer Aufwendungen (unter anderem Zahlungen an die betrieblichen Mitarbeitervorsorgekassen) sind es pro Jahr 186 Millionen Euro. Bis 2030 kommen da 1,2 Millionen Euro locker zusammen.

Doch keine Vorsorgen

Zur Bildung derartiger Vorsorgen kam es allerdings nicht (mehr). Denn einer der drei Geschäftsführer der MAN Truck & Bus Österreich GesmbH, der gebürtige Steyrer Karl-Heinz Rauscher, wurde wohl nicht gefeuert, aber kurzerhand als Geschäftsführer abgesetzt, wie dem STANDARD in Unternehmenskreisen indirekt bestätigt wurde.

Offiziell gab es seitens MAN in München zu den ungewöhnlichen Vorgängen keinen Kommentar. Ein Sprecher verwies darauf, dass der seit 2008 für Personal und Recht zuständige Rauscher einvernehmlich aus dem Unternehmen ausgeschieden sei. Im Übrigen kommentiere man Spekulationen in diese Richtung nicht.

Ob das Ergebnis der vom Betriebsrat organisierten Urabstimmung in der Belegschaft am 7. April von möglicherweise intakten Klagschancen (bis dieser Strauß juristisch ausgefochten ist, vergehen Jahre) maßgeblich beeinflusst wird, bleibt dahingestellt. Denn gute Aussichten in einem Gerichtsprozess ersetzen laufende Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit nicht, es sei denn, eine Pensionierung steht vor der Tür.

Wolf legt die Latte hoch

Siegfried Wolf, der laut Lokalaugenschein der Austria Presse Agentur einen Infostand im Werk eingerichtet hat und für sein industrielles Konzept wirbt, legt die Latte hoch: Unter einer Zwei-Drittel-Zustimmung gibt es den Gaz-Manager nicht. So viele gut motivierte Leute brauche er ungefähr, um den Standort Steyr von MAN übernehmen zu können. Geht der Plan auf, ist Ende Mai das Closing des Deals – bis dahin solle jeder Mitarbeiter wissen, was ihn persönlich erwarte.

Einige Führungskräfte sind diesbezüglich schon weiter, sie sind in die Zukunftsplanung des sachkundigen Investors mit einschlägiger Erfahrung als Automobilzulieferer eingebunden.

Geheimnis Kaufpreis

Zum Kaufpreis schweigt Wolf ebenso wie MAN in München, wo zuletzt kein Zweifel gelassen wurde, dass es für das Werk Steyr nur zwei Möglichkeiten gibt: Verkauf an Wolfs WSA oder Schließung. In diesem Sinne warnt Wolf – in Anspielung auf die einst ruhmreiche US-Autostadt –, Steyr dürfe kein "Detroit in Österreich" werden.

"Ich entscheide als Unternehmer und als Investor, dass ich mich nicht gegen die Mitarbeiter stelle und dass ich kein Thema am Gerichtsweg haben will." Ihm sei versichert worden, dass die Kündigung der Standortsicherung rechtens sei, betonte Wolf.

Ob und wie die rund 200 Zeitarbeiter an der Urabstimmung teilnehmen dürfen, darüber wird noch gebrütet. Gut möglich, dass ihr Votum getrennt von der rund 1.900 Mitarbeiter umfassenden Stammbelegschaft erfasst wird. (Luise Ungerboeck, 2.4.2021)