Am 20. Februar zeigte sich Alexej Nawalny vor Gericht in Moskau noch siegessicher. Nun, knapp eineinhalb Monate später, kämpft er nicht mehr mit Argumenten, sondern mit einem Hungerstreik.

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Zumindest seinen beißenden Sarkasmus hat Alexej Nawalny noch nicht verloren. In einem offenen Brief an den Gefängnisdirektor Alexander Michanow klagt der Oppositionelle über zunehmende Schmerzen im Rücken, die inzwischen auf die Beine ausstrahlen, zunächst auf das rechte und inzwischen auch auf das linke. Ohne das rechte könne er noch irgendwie auskommen, aber das linke Bein wolle er dann nicht auch noch verlieren. "Das wäre ungerecht. Alle haben zwei, und ich gar keines", ironisierte er.

Auch als Häftling habe er Anspruch auf medizinische Behandlung, führte Nawalny aus. Deshalb fordere er, dass ein Arzt zu ihm gelassen werde. "Solange das nicht passiert, trete ich in den Hungerstreik", schloss er den Brief.

Nawalny ist seit seiner Rückkehr aus Deutschland Mitte Jänner in Haft, zunächst in U-Haft, Anfang Februar wandelte dann ein Gericht seine vor gut sechs Jahren erhaltene Bewährungsstrafe wegen Verstoßes gegen die Meldeauflagen in eine reale Haftstrafe um. Über Umwege landete der Politiker in der Haftanstalt Nummer zwei in Pokrow, deren Regime von ehemaligen Insassen als hart beschrieben wird.

Kein Ende der Probleme

Tatsächlich berichtete auch Nawalny schnell von einigen Schikanen. So werde er nachts jede Stunde geweckt, um seine Anwesenheit zu kontrollieren, nachdem er mit dem Vermerk "erhöhte Fluchtgefahr" gekennzeichnet wurde. Die gesundheitlichen Probleme des 44-Jährigen hingegen wurden erst vor gut einer Woche durch seine Anwälte publik gemacht. Seine Frau Julia Nawalnaja erklärte allerdings, ihr Mann habe intern schon vorher über Rückenschmerzen geklagt. Diese sind allem Anschein nach inzwischen weiter fortgeschritten.

Die Gefängnisverwaltung (FSIN) weist derweil die Vorwürfe unterlassener Hilfeleistung und Schikanierung zurück. Nawalny erhalte die notwendige medizinische Betreuung und auch ausreichend Schlaf, teilte die Behörde mit. Laut FSIN ist der Gesundheitszustand des Politikers "zufriedenstellend". Tatsächlich wurde bekannt, dass in der vergangenen Woche ein MRT bei Nawalny gemacht wurde. Die Ergebnisse wurden allerdings nicht veröffentlicht, was leicht mit dem Schutz persönlicher Daten erklärt werden könnte, wenn die russische Führung nicht im vergangenen Jahr von Berlin die Veröffentlichung der Krankenakte Nawalnys gefordert hätte, als dieser mit Symptomen einer Nowitschok-Vergiftung im Koma lag. Auch hat die FSIN Nawalny selbst dessen Angaben nach keinen Einblick in seine Gesundheitsunterlagen gewährt.

Stattdessen hat Wladimir Grigorjan, ein Vertreter des Anstaltsbeirats, der die zivilgesellschaftliche Kontrolle über die Gefängnisse in Pokrow ausüben soll, den Oppositionellen schon "Simulanten" genannt. Allerdings räumte Grigorjan, der über 30 Jahre selbst bei der FSIN tätig war, ein, Nawalny selbst nicht gesehen zu haben.

Druckmittel Hungerstreik

Mit dem Hungerstreik eskaliert Nawalny bewusst den ohnehin schwelenden Konflikt mit der Lagerleitung, die dem Politiker zuvor in zwei Wochen sechs Verwarnungen aufgebrummt hatte. Die Ankündigung soll den öffentlichen Druck auf die Behörde, aber auch auf den Kreml erhöhen – und dürfte gleichzeitig seine Anhänger motivieren, sich für eine von der Opposition geplante Protestdemo anzumelden.

Für die Durchführung von Hungerstreiks gibt es ein prominentes Beispiel. Auch Yukos-Chef Michail Chodorkowski hatte während seiner Haft einige Male auf das Mittel zurückgegriffen, um humanitäre Forderungen durchzusetzen – mit Erfolg, denn der Kreml zeigte sich zwar gegenüber politischem Druck resistent, hatte aber zugleich kein Interesse daran, den renitenten Oligarchen zum Märtyrer zu machen.

Wie es bei Nawalny aussieht, muss die Zukunft zeigen: Rücksicht auf das Image im Westen muss Moskau nicht üben, die Beziehungen sind nach Ansicht des Kremls ohnehin hoffnungslos zerrüttet. Politische Pluspunkte will die russische Führung Nawalny auch nicht gewähren. Daher wird der Kreml wohl abwarten, wie ernst Nawalny seinen Hungerstreik wirklich meint.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow jedenfalls wollte die Aktion nicht kommentieren, da dies "kein Thema für das Staatsoberhaupt" sei. Zumindest einige Tage Bedenkzeit hat der Kreml, da Infos über den Gesundheitszustand Nawalnys derzeit nur mit Verzögerung an die Öffentlichkeit gelangen. (André Ballin aus Moskau, 1.4.2021)