Es ist die vielleicht wichtigste Analyse zu Nachhaltigkeit und Wirtschaft in Österreich, die niemand kennt: der Bericht Ressourcennutzung in Österreich 2020. Dieser wurde von Forscherinnen der Universität für Bodenkultur Wien und von der Statistik Austria für das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium erstellt. Er zeigt klar, dass Österreich meilenweit von einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell entfernt ist. Und er lässt große Zweifel an Plänen für ein “grünes Wachstum” aufkommen, also, dass Österreichs Wirtschaft in Zukunft weiterwachsen und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen gleichzeitig beenden kann. Denn die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Wirtschaftswachstum Österreichs Emissionen so stark angetrieben hat wie kein anderer Faktor.

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Welterschöpfungstag 7. April

Der 7. April ist der österreichische Welterschöpfungstag: Würden alle Länder der Welt wie Österreich leben, dann würden wir ab heute mehr Ressourcen verbrauchen als der Planet in einem Jahr erneuern kann. In absoluten Zahlen betrug Österreichs inländischer Ressourcenverbrauch im Jahr 2018 167 Millionen Tonnen. Für dessen Berechnung werden Rohstoffe erfasst und in verschiedene Kategorien eingeteilt, etwa nicht-metallische Mineralstoffe wie Sand und Gestein, Biomasse wie Holz, Metalle, aber auch die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas. Doch der Inlandsverbrauch ist nur ein Teil des Gesamtbildes. Beim Ressourcenverbrauch betrachten Forscherinnen und Forscher darum auch den sogenannten “Material-Fußabdruck”.

Solche Fußabdruck-Indikatoren lassen sich am besten anhand eines Beispiels verstehen: “Wenn eine Österreicherin oder ein Österreicher eine Jeans kauft, wird Österreich der gesamte Ressourcenaufwand für die Herstellung dieser Jeans entlang der gesamten Produktionskette ‘in Rechnung gestellt’. Das reicht vom Wasserverbrauch der Baumwollproduktion über die Chemikalien in der Färbung bis hin zu den CO2-Emissionen aus dem Transport nach Österreich. Wird der Jeansstoff beispielsweise in China hergestellt, wird der damit verbundene Wasserverbrauch nicht China, sondern Österreich zugerechnet.” Durch praktisch alle wichtigen Indikatoren, die im Bericht betrachtet wurden, zieht sich ein Muster: Die Werte sind deutlich höher, wenn man für hierzulande konsumierte Produkte alle im Ausland stattfindenden Produktionsschritte und deren Ressourcenverbrauch mit in die Rechnung aufnimmt.

Wachstum frisst Effizienzgewinne auf

Österreich liegt beim Materialverbrauch pro Kopf im Jahr 2017 mit 33 Tonnen an fünfter Stelle im Vergleich der EU-Länder, das sind zehn Tonnen mehr aus der EU-Durchschnitt. Nachhaltig wären etwa sieben Tonnen. Unser Verbrauch übersteigt die Belastungsgrenze der Erde also rund um das Vierfache. Bei den CO2-Emissionen ist es sogar das Achtfache. Diese sind eng verbunden mit dem Ressourcenverbrauch – und werden vor allem vom Wirtschaftswachstum angetrieben. Auch das ist ein zentrales Ergebnis des Berichts.

Diesen Zusammenhang zeigen die Forscherinnen mit einer sogenannten “Dekompositionsanalyse”, die die Entwicklung der Emissionen in verschiedene Faktoren zerlegt, wie den Strukturwandel der Wirtschaft, Effizienzentwicklungen und eben Wirtschaftswachstum. Die Analyse zeigt: Wären alle anderen Faktoren gleich geblieben, hätte Österreich seine jährlichen CO2-Emissionen allein zwischen 2000 und 2015 um 17 Millionen Tonnen erhöht. Zum Vergleich: Österreichs inländische Emissionen lagen 2019 bei etwa 80 Millionen Tonnen. Fortschritte durch effizientere Produktion und Veränderungen der Wirtschaftsstruktur wurden also durch eine größere Produktion aufgefressen. Das bestätigt die Ergebnisse zahlreicher internationaler Studien. Besonders interessant: Die größte Steigerung des CO2-Fußabdrucks gab es laut Bericht im Dienstleistungssektor. Dabei wird gerade dieser oft als Hoffnung für eine zukünftige klimafreundliche Wirtschaft trotz Wachstums präsentiert.

Dazu kommt: Die gängige Betrachtung von Treibhausgasemissionen ist chronisch unvollständig und damit ungerecht. So zeigen von der BOKU zusammengefasste Daten, dass die durch Österreichs Konsum ausgelösten Emissionen bis zu 130 Millionen Tonnen CO2 betragen, während die sogenannten territorialen Emissionen, an denen sich alle Klimaziele orientieren, nur rund 80 Millionen Tonnen betragen. Wir blenden also in der Klimapolitik einen großen Teil unserer Emissionen einfach aus. Dasselbe gilt auch für andere Staaten, besonders für vermeintliche Klimaschutz-Vorreiter wie Großbritannien oder Schweden. Das Gegenteil ist etwa bei China der Fall: Wenn wir zum Beispiel Laptops aus China kaufen, werden die Emissionen aus deren Produktion der chinesischen Bilanz zugerechnet.

Wirtschaftswachstum und steigender Ressourcenverbrauch verursachen auch andere ökologische Probleme, sie sind etwa auch ein großer Treiber des rasanten globalen Artensterbens – ein im Vergleich zur Klimakrise oft unterschätztes und vernachlässigtes Problem. Im Vorjahr schlug darum eine Studie von 22 Forscherinnen und Forscher verschiedener Universitäten der UN-Biodiversitätsorganisation IPBES vor, eine Naturschutzpolitik "jenseits des Wachstums" zu verfolgen.

Höhere Produktion bedeutet mehr Emissionen.
Foto: AFP/INA FASSBENDER

Entkopplung: zu wenig, zu langsam

Die größte Veränderung bei Österreichs Materialverbrauch gab es während der letzten Weltwirtschaftskrise ab 2008 und der folgenden wirtschaftlichen Stagnation. Während in den Jahren mit einem Wirtschaftswachstum über drei Prozent der Materialverbrauch deutlich wuchs, sank er nur in den Jahren mit einem Wachstum unter 1,5 Prozent. “Mehr Wirtschaftsleistung, gleichbedeutend mit mehr Wirtschaftswachstum, führt also zu mehr Materialverbrauch. Auch wenn die Wirtschaftsaktivitäten als einzelne effizient werden, so wird dieser reduzierende Effekt durch immer mehr Wirtschaftsproduktion aufgehoben” und “die technischen Möglichkeiten, mehr Material mit weniger Energieeinsatz zu bearbeiten, sind begrenzt”, schreiben die Forscherinnen im Ressourcennutzungsbericht. 

Das ist ein Problem, weil sämtliche Nachhaltigkeits- und Klimastrategien bisher auf der Annahme einer möglichen “absoluten Entkopplung” fußen. Davon spricht man, wenn Emissionen oder Ressourcenverbrauch in absoluten Zahlen sinken, während die Wirtschaft wächst. Dazu kommt: Damit eine solche Entkopplung im Einklang mit den Klima- und Umweltzielen steht, muss sie schnell genug passieren. So eine Entwicklung zeichnet sich laut den Forscherinnen nicht ab, im Gegenteil. Auch empirische Analysen anderer Länder hätten bisher maximal eine schwache relative Entkopplung gezeigt und auch diese kehre sich bei einer konsumbasierten Betrachtung oft um. Dasselbe Muster zeigt sich bei den Emissionen sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Nicht umsonst ist der Treibhausgasausstoß im vergangenen Jahr durch die Coronakrise so stark abgesunken wie noch nie. Mittlerweile, auch durch erneut starkes Wirtschaftswachstum in Staaten wie China und den USA, steigen die globalen Emissionen wieder an.

Bericht blieb in der Schublade

Wachstum ist der Elefant im Raum. Trotz der überwältigenden Faktenlage gibt es praktisch keine gesellschaftliche Debatte über den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Dafür ist der Ressourcennutzungsbericht das beste Beispiel. Zwar wurde er von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben und veröffentlicht, aber es gab von keinem der Ministerien aktive Kommunikation dazu. Keine Presseaussendungen, keine Erwähnungen auf Social Media oder Stellungnahmen der zuständigen Ministerinnen Gewessler und Köstinger. Der Bericht blieb einfach in der Schublade.

Das ist kein Einzelfall, weder in Österreich noch global. Nicht umsonst hat sich Rex Weyler, Mitbegründer von Greenpeace International, gerade erst in einem Artikel über das Ausblenden der Wachstumsfrage auch durch Kolleginnen und Kollegen beklagt: “Traurigerweise scheint die Abkehr vom Wachstum die eine Lösung zu sein, die von den meisten Menschen, Regierungen, Konzernen und sogar einigen Umweltschützern ignoriert wird.” Das zeigt sich auch bei den österreichischen Umwelt-NGOs. Für Greenpeace, WWF, Global 2000 und den Umweltdachverband scheint öffentliche Kritik am Wirtschaftswachstum ein Tabu zu sein. Im Gegenteil, auch sie argumentieren gern mit den "wirtschaftlichen Chancen" oder sogar “Wachstumschancen” durch Klimaschutz und ignorieren dabei sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Grenzen der Entkopplung als auch die Verlagerung von Umweltschäden in andere Bereiche als CO2-Emissionen. Sogar für den größten Teil der Klimabewegung ist Kritik am Wachstumszwang und seinen negativen Auswirkungen kaum ein Thema. Und auch die Klimaforschung hat bis heute kaum Szenarien ausgearbeitet, die niedriges Wachstum oder eine Reduktion der Wirtschaftsproduktion betrachten. 

Wohlergehen statt Profite

Ergebnisse wie jene des Ressourcennutzungsberichts stellen nicht nur das Wirtschaftswachstum in Frage, sondern auch den Kapitalismus als Ganzes. Schließlich orientiert er sich an der Maximierung von Profiten, nicht an gesellschaftlichem Wohlergehen. Und er produziert enorme Ungleichheiten. Das zeigt sich neben Untersuchungen zu Einkommen und Vermögen auch an der ungleichen Verteilung der Treibhausgasemissionen: Laut einem Oxfam-Bericht waren die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung von 1990 bis 2015 für mehr als die Hälfte der Emissionen verantwortlich. Auch in Österreich produzieren die Haushalte mit den höchsten Einkommen viermal so viele Emissionen wie die ärmsten.

Der Ressourcennutzungsbericht thematisiert diese systemischen Probleme. “Letztlich müssen wir Lebensstile und Gesellschaftsmodelle entwickeln, die mit weniger Ressourcen auskommen. Denn trotz aller Effizienzmaßnahmen und Technologieoptimierungen ist der hohe materielle Lebensstandard der heutigen industrialisierten Länder nicht auf die ganze Welt übertragbar. [...] Es braucht daher eine Konzentration auf die wesentlichen Ziele, das sind Wohlstand und Wohlergehen für jede einzelne und jeden einzelnen. Wirtschaftswachstum ist nur ein möglicher Weg zu diesem Ziel, daher müssen wir nach Alternativen suchen”, ist dort zu lesen. Genau das tun Vordenkerinnen und Vordenker von Konzepten wie Postwachstum, Degrowth oder der Doughnut-Ökonomie. Und auch die Lücke an Klimaszenarien wurde kürzlich mit einem Entwurf für ein gesellschaftliches Transformationsszenario ohne Wachstum und Risikotechnologien ein Stück weit geschlossen.

Die aktuelle Krise wäre der beste Zeitpunkt – und die vielleicht letzte Chance – für ein gesellschaftliches Umsteuern, für eine planvolle gerechte Transformation unserer Gesellschaft. Im Vorwort des Ressourcennuzungsberichts schreiben die Autorinnen und Autoren dazu: “Allerdings legen nicht nur die momentan wahrnehmbaren Auswirkungen der Corona-Krise nahe, dass eine Transformation unserer Gebrauchs- und Konsummuster hin zu einem ressourceneffizienten, achtsamen und verstärkt auf regionalerer Versorgung basierenden Lebensstil notwendig ist.” Die Alternative ist, beim aktuellen krisenanfälligen System zu bleiben – und damit eine Zukunft voller Unsicherheit, Leid und Konflikte. Die Frage ist also nicht, ob ein Wandel stattfinden wird, sondern ob wir ihn aktiv vorantreiben und damit positiv gestalten wollen. (Manuel Grebenjak, 7.4.2021)

Manuel Grebenjak studierte Politische Ökologie an der Autonomen Universität Barcelona und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Bei verschiedenen Organisationen beschäftigt er sich mit Klimapolitik, sozial-ökologischer Transformation und nachhaltiger Mobilität.

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