Menschen erleben die Welt durch ihre Sinnesorgane (zum Beispiel ihre Augen oder Ohren) vollkommen persönlich und individuell – daher sind die Erlebnisse nicht immer mit denen von Mitmenschen vergleichbar. Die Frage, wie Menschen Situationen zum Beispiel visuell verarbeiten, bezeichnet der Begriff der Wahrnehmung, nämlich das Zusammenspiel aus Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung. Genau hier setzt die Eye-Tracking-Technologie an, die an der FH Kufstein Tirol für Forschungszwecke genutzt wird. Im Bereich der Usability, des UX-Designs oder bei der Produktentwicklung können somit wertvolle Hinweise für die Forschung und/oder Auftraggeberinnen und Auftraggeber geliefert werden.

Datenbrille (Eye-Tracker-Brille) im Human Behavior Lab an der FH Kufstein Tirol.
Foto: tobii pro

Anwendungsmöglichkeiten, so weit das Auge reicht

Die Anwendungsbereiche solcher Datenbrillen sind vielfältig: Beim Erstellen von Markensujets oder in der Ausbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei technologisch komplexen Zusammenhängen oder Arbeitsschritten kann Eye-Tracking als Hilfsmittel dienen. "Die Ergebnisse zeigen deutlich, was Menschen wirklich sehen und wie lange etwas wahrgenommen wird. Das ist deshalb bedeutend, da die so gemessenen Daten objektiv analysiert werden können. Die Darstellung der Augenbewegungen durch Pfade ermöglicht einen unkomplizierten Einblick in die Wahrnehmung von Individuen", so die Laborleiter des Human Behavior Lab, André Haller und Markus Holzweber.

Blickrichtungsforschung im Inneren von Gebäuden.
Foto: FH Kufstein Tirol

Mit Eye-Tracking erhalten Unternehmen aus verschiedenen Branchen einen neuen Blickwinkel auf alle Bereiche, die erforscht und optimiert werden sollen. Dazu können die Identifikation von Produktionsprozessen, die Qualitätssicherung oder Aus- und Weiterbildung zählen. Eye-Tracking kann auch beim Ausmerzen unnötiger Arbeitsabläufe behilflich sein oder die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter effektiver gestalten. "Der Vorteil besteht in der visuellen Unterstützung, die auch aus der Ferne erfolgen kann. Hier sind insbesondere schnellere Einarbeitungsprozesse und die erhöhte Qualität und Stimmigkeit mehrerer Arbeitsprozesse zu erwähnen", sagen die Laborleiter.

Ein Beispiel für Blickdiagramme von unerfahrenen (pinke Punkte) und erfahrenen (grüne Punkte) Qualitätssicherungsinspektoren.
Foto: tobii pro

Die aus dem Eye-Tracking gewonnenen Informationen geben der Forschung wertvolle Einblicke in das menschliche Verhalten, das für die Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen oder die Optimierung von Informations- oder Marketingkampagnen wichtig ist. Mit Eye-Tracking-Lösungen kann die Kufsteiner Fachhochschule interessierten Unternehmen oder Organisationen helfen, reale Einblicke in menschliches Verhalten zu erhalten. Durch Eye-Tracking sehen Unternehmen die Dinge also aus der Perspektive ihrer Zielgruppe.

Technologie am Kunden einsetzen

Moderne Eye-Tracking-Technologie macht das "Sehen wie ein Kunde" möglich. Mithilfe von Hardware und Software ermöglichen es aktuelle Eye-Tracking-Systeme, kombiniert mit Hautwiderstandsmessung, das Kundenverhalten noch detaillierter zu erforschen. Dies kann an der FH Kufstein Tirol im Rahmen von Forschungs- und Praxisprojekten im Human Behavior Lab oder je nach Projekt beispielsweise auch bei den Auftraggeberinnen und Auftraggebern umgesetzt werden. "Im Marketing oder in der Produktentwicklung können Unternehmen bequem und unkompliziert ihren Internetauftritt, ihre Werbung, Videos, E-Commerce-Angebote und digitalisierte Produkte oder Dienstleistungen hinsichtlich der Zielerreichung von uns überprüfen lassen und bei Bedarf gezielte Optimierungsarbeit leisten", beschreiben Haller und Holzweber das Angebot des modernen Forschungslabors.

Produktplatzierung, Out-of-Home-Werbung oder die bebaute Umgebung wie Fassaden oder Rezeptionen stellen Einflussfaktoren dar, bei denen Eye-Tracking enthüllen kann, was die Aufmerksamkeit von Individuen auf sich zieht, das Einkaufsverhalten beeinflusst oder wie Menschen mit Produkten interagieren.

Ein Beispiel für die Blickrichtungsforschung im Einzelhandel.
Foto: tobii pro

"In der Bewertung von Einkaufssituationen werden Kunden dahingehend analysiert, wo und wie lange Augenbewegungen stattgefunden haben und welche Bereiche in einem Regal betrachtet wurden. Dabei ist es für Hersteller von Produkten sowie für Supermärkte, die eine Vielzahl von oft gleichartigen Produkten verkaufen, interessant zu erfahren, was Kunden wirklich vor einem Regal wie lange ansehen", beschreiben Haller und Holzweber die Analysemöglichkeiten. Durch die Analyse der Intensitätsart von Blickbewegungen können Annahmen über die Attraktivität und den zukünftigen Absatz erstellt werden. Mithilfe sogenannter Heatmaps werden jene Bereiche mit hoher Intensität und Aufmerksam eingefärbt und lassen so Rückschlüsse zu, welche Bereiche für den Probanden besonders interessant und wichtig sind. Heatmaps zeigen somit die Aufmerksamkeitsbereiche aus der Sicht eines Probanden. Dadurch können Marketer datenbezogene Aussagen über die Sichtbarkeit und die Aufmerksamkeit aus der Sicht der Probanden erstellen.

Ein Beispiel für die Analyse und Auswertung von Blickrichtungsdaten (Heatmap) am Beispiel Einzelhandel.
Foto: tobii pro

Eye-Tracking unterstützt Verkehrssicherheit

Ein angewandtes Forschungsprojekt der FH Kufstein Tirol untersucht Schulwege von Kindern in ausgewählten Städten unter Zuhilfenahme digitaler Technologien. Hier kommt die Eye-Tracking-Technologie zum Einsatz, um die Wahrnehmung von Gefahrenquellen aus der Sicht von Kindern zu untersuchen. Die Messung von realistischen Verkehrssituationen soll die Analyse der Verkehrssicherheit ermöglichen und die damit verbundenen potenziellen Risiken offenlegen.

Foto: FH Kufstein Tirol
Ein Beispiel für die Blickrichtungsforschung in der Verkehrssicherheit.
Foto: FH Kufstein Tirol

Allgemeine Projektplanung

Vor dem Hintergrund des Untersuchungsziels und der gegebenen Rahmenbedingungen beraten die Forscherinnen und Forscher des Human Behavior Lab interessierte Firmen und Organisationen individuell und lösungsorientiert. Somit können gemeinsam geeignete Lösungen zur Umsetzung von wissenschaftlichen oder anwendungsorientierten Human-Behavior-Projekten ausgearbeitet werden. Interessierte erreichen durch diese Unterstützung die bestmögliche Datenqualität. Die Hilfe der FH Kufstein Tirol kann während des gesamten Projektverlaufs in Anspruch genommen werden. Die Expertinnen und Experten bieten Beratung zu methodischen Fragen, bei der Studienplanung, der Implementierung und der Datenauswertung an.

Ein Beispiel für die Blickrichtungsforschung für Webusability.
Foto: FH Kufstein Tirol

Gemeinsam Forschen

Die FH Kufstein Tirol ist an einer engen Zusammenarbeit mit kleinen und großen Gewerbetreibenden und Unternehmen oder Organisationen in vielen unterschiedlichen Branchen interessiert und für die Durchführung von Projekten im Human Behavior Lab bestens vorbereitet. Gerade die Kreativwirtschaft, der Tourismus, aber auch industrielle Anwendungen stellen Herausforderungen dar, denen sich die Forscherinnen und Forscher der Kufsteiner Fachhochschule zukünftig sehr gern stellen werden. "Wir wollen gemeinsam eine bessere Zukunft in allen Bereichen durch die Benutzung des Human Behavior Lab schaffen", sind sich die Laborleiter einig.

Ausstattung des Human Behavior Lab

Zusätzlich zum mobilen und stationären Eye-Tracker der Firma Tobii beinhaltet das Human Behavior Lab der FH Kufstein Tirol auch zwei Hautleitwiderstandsmessgeräte. Mit dieser Hardware können die Forscherinnen und Forscher die Erregung von Probanden messen und Eye-Tracking-Ergebnisse erweitern. Die benutzte Software des Herstellers iMotions erlaubt mit dem Affectiva-Modul zusätzlich eine Echtzeitmessung menschlicher Mikrobewegungen im Gesicht. Durch diese Technologie können emotionale Zustände der Experimentteilnehmenden zuverlässig gemessen werden. (Christina Rüges, 8.4.2021)