Bei Christian Nyampeta trifft koloniale Vergangenheit auf zeitgenössische Performance.

Christian Nyampeta

Das Zauberwort der kommenden Documenta lautet "lumbung": Es bezeichnet im Indonesischen eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, dient nun aber auch als Denkmodell für die Kasseler Weltkunstschau 2022, die von der indonesischen Gruppe Ruangrupa und damit erstmals von einem Kollektiv kuratiert wird. Die Frage, wie das Prinzip "lumbung", also ein gemeinschaftlich ausgerichtetes Modell der Ressourcennutzung, auf die Kunst übertragen werden kann, ist diesen Sommer auch in Salzburg Thema.

Das Zusammensein

Sophie Goltz, neue Direktorin der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg, hat für ihr erstes Programm Ruangrupa als Lehrende gewonnen und damit auch einen inhaltlichen Pflock eingeschlagen, der "Politiken des Zusammenseins, des Teilens, der Fürsorge und des Ineinandergreifens von Ideen" in den Mittelpunkt stellt.

Das sei zumindest zum Teil auch als Reaktion auf die gesellschaftlichen Dynamiken zu verstehen, die die globale Pandemie hervorgebracht oder verschärft hat, sagt Goltz: "Wir wollen nach einer langen Phase der Isolation und des Getrenntseins wieder das Gemeinsame hervorheben. Die Frage, wie wir zusammenleben, hat sich gerade im kulturellen Feld ja auch schon vorher gestellt, das wurde jetzt aber noch einmal verstärkt."

Die Pandemie bleibt abgesehen davon auch eine logistische Herausforderung, auf die man unter anderem mit hybriden Klassenzimmern reagiert: Das heißt, es gibt die Option, wie auch bereits vergangenes Jahr an bestimmten Kursen entweder vor Ort auf der Festung Hohensalzburg oder auch online teilzunehmen. Was auch eine gewisse Flexibilität bietet, sollten sich Reise- und Quarantänebestimmungen ändern.

Raum für alle

Von 19. Juli bis 28. August werden insgesamt siebzehn Kurse angeboten, vier davon finden ausschließlich online statt, darunter jener des in Ruanda geborenen Künstlers Christian Nyampeta, der künstlerische Strategien zur Dekolonisierung mit philosophischen Fragestellungen verknüpft. Unter dem Titel "Queering and Survival" lehrt mit Anna Daučikova eine Pionierin der queer-feministischen Kunst in der ehemaligen Tschechoslowakei in Salzburg. An Politiken des Raums interessiert und feministisch bewegt sind auch die Arbeiten der deutsch-griechischen Fotokünstlerin Christina Dimitriadis, die ebenfalls auf der Festung erwartet wird.

Jeder kann sich bewerben

"Those who can, do. Those who can do more, teach", lautet das von Goltz ausgerufene Motto der heurigen Akademie, es referiert auch auf die besonderen Rahmenbedingungen, die die 1953 von Oskar Kokoschka als "Schule des Sehens" ins Leben gerufene Institution biete:

"Gerade in einer Zeit, in der sich das Lernen sehr stark auf Bildungsabschlüsse konzentriert oder als Anpassungsleistung an eine sich verändernde Wirtschaft betrachtet wird, finde ich den Freiraum, den die Akademie bietet, wichtig. Das Besondere an ihr ist, dass sie keine Bildungsabschlüsse verlangt und jede und jeder sich bewerben kann. Mir geht es dabei um die Frage, wie sich künstlerische Praxen in ein pädagogisches Verhältnis übersetzen lassen und gemeinsam Prozesse des Austauschs und der Kreation entstehen", sagt Goltz.

"Möglichkeitshorizonte"

Dass das Digitale für Prozesse des Austauschs und der Vermittlung eine zunehmend wichtige Rolle spielt, ist nicht allein den Corona-Umständen geschuldet und ein wichtiger Aspekt innerhalb eines Rechercheprojekts, das unter dem Titel "Möglichkeitshorizonte" im Hinblick auf das 2023 anstehende 70-Jahr-Jubiläum gestartet wurde.

An aktuelle Tendenzen der zeitgenössischen Kunst knüpft man aber auch schon jetzt eifrig an, etwa wenn es im Workshop des samoanisch-persischen Künstlers Léuli Eshrãghi um Performance und Poetik geht.

Nicht nur durch das Kollektiv Ruangrupa kristallisiert sich der südostasiatische Raum als diesjähriger Bezugspunkt heraus, gemeint ist dieser "jedoch weniger als geografischer denn als ideengeschichtlicher Raum, auf den sich Künstler und Künstlerinnen beziehen", wie Goltz betont.

Eine zweite Schau

Dafür steht unter anderem auch Rossella Biscottis Auseinandersetzung mit den Schriften des indonesischen Autors Pramoedya Ananta Toer, der italienischen Video-, Performance- und Installationskünstlerin wird eine Ausstellung in der Stadtgalerie im Zwergerlgarten gewidmet sein. Eine zweite Schau ist in der Galerie im Traklhaus geplant, wo Arbeiten des Berliner Künstlers Leon Kahane gezeigt werden, der sich mit Migrationsthemen sowie Erinnerungskultur beschäftigt.

Auch unterschiedliche Gesprächsreihen mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Filmpräsentationen im Sunset Kino des Salzburger Kunstvereins soll es wieder geben, erstmals außerdem einen Workshop für Jugendliche mit der aus Beirut stammenden Künstlerin Randa Mirza, der in Kooperation mit dem Fotohof stattfindet. Ausschließlich analog findet – dem Medium geschuldet – der Kurs "Spatial Hijacks by Sculpture" der kosovarischen Künstlerin Flaka Haliti auf der Festung Hohensalzburg statt. (Ivona Jelčić,2.4.2021)