Zwei Landeshauptleute auf der Suche nach der großen Erzählung, die sich im Hintergrund nur ansatzweise abzuzeichnen beginnt.

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Es ist jetzt auch schon wieder ein Zeiterl her, da waren der STANDARD-Bildmacher Matthias Cremer und ich gemeinsam im Eisenstädter Landhaus. Wir hatten uns einen Interviewtermin mit dem Landeshauptmann erbeten. Während wir warteten, plauderten wir ein bisserl über über Gott, die Welt und allerlei modische Redewendungen, die im politischen Hin und Her – ja, genau: Diskurs – gerade in Konjunktur stehen. Wir, der leider schon emeritierte Professor für Augenblickskunde und meine Wenigkeit, machten uns – ich geb's gerne zu – ein wenig lustig über so manch geckenhaftes Wort. (Spindoctor, Framing: ach da gäb's genug.)

Als Hans Peter Doskozil im Gespräch dann Folgendes sagte: "Es wird immer gesagt, wir müssen – ich kann das Wort schon nicht mehr hören! – eine Erzählung haben, das Narrativ muss passen. Das ist doch verrückt!", lachten wir beide unwillkürlich auf. Er nahm es wie eine Zustimmung. Und ganz unrecht hatte er damit nicht.

Harmloser Klang

Umso lauter lachten wir aber nun, als Doskozil nach dem sogenannten Ostgipfel zum Oster-Lockdown erklärte: "Wir brauchen ein Narrativ, eine Erzählung." Nur so könne man die Menschen – Achtung! – "mitnehmen". Ich fragte sogar nach in Eisenstadt, ob ich mich nicht vielleicht verhört hätte (sowas passiert ja). Aber nein: Hans Peter Doskozil wollte nun auch ein Narrativ.

Das klang so harmlos. Aber Pamela Rendi-Wagner weiß: Nichts, was Genosse Doskozil sagt, ist harmlos. Nicht für sie, nicht für die Wiener Löwelstraße, wo die Bundes-SPÖ residiert. Oder, aus burgenländischer Sicht, sich verschanzt.

Mächtiges I

Die Corona-Krise hat die SPÖ-Krise, wenn schon nicht verstärkt, so doch konturiert. Dass die so ernsthaft das freie Mandat tragenden zwei roten Burgenländer im Bundesrat die Fraktionslinie – volle Breitseite gegen Türkis-Grün – nicht mitgetragen haben, war ja nur ein Tüpfelchen. Das I stand schon da in Gestalt zweier gewichtiger Landeshauptmänner.

Fast alles, was Pamela Rendi-Wagner ins Auge fasste – von A wie Arbeitszeitverkürzung bis Z wie Zusperren – wurde und wird in Eisenstadt flugs bis barsch vom Tisch gewischt. Die Wiener Genossen kochten in Corona-Dingen aber genauso ihr eigenes Süppchen.

Genarrt

Bundeschefin Pamela Rendi-Wagner hat in der Krise ein Thema gefunden, in dem sie als einschlägige Expertin Gestalt gewinnen konnte. Oder eben könnte. Horchen müsste halt wer auf sie. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser ist diesbezüglich in sich gekehrt und froh, die Inzidenzzahl im Bezirk Hermagor halbwegs wieder herunten zu haben. Michael Ludwig – und sein zuweilen doch auch recht erratischer Gesundheitsstadtrat Peter Hacker – und Hans Peter Doskozil tun, was man in der nun downgelockten Ostregion "net amoi ignorieren" nennt. Das alles sei nur deshalb hier erwähnt, falls jemand nach dem sozialdemokratischen Narrativ fragt.

Oder sich wenigstens davon genarrt fühlt.

Nasenrümpfer

"Narrativ" leitet sich ab vom lateinischen narrare, also erzählen. Mit "Narr" hat das nur äußerlich zu tun. Der Narr kommt nämlich – so das Narrativ der Etymologen – vom spätlateinischen Wort nārio. Und das heißt, heißt es, Nasenrümpfer.

Solche finden sich in der SPÖ tatsächlich. Ja, es gibt darin solche, die nur das tun. Kaum sagt wer was oder, Gott behüte, krempelt die Ärmel hoch, rümpft schon wer anderer indigniert die Nase. Die Burgenländer legen ihre Nase in tiefe Falten, wenn sie über die Bundespartei reden: Dort säßen weltfremd blasierte Schnösel und Schnöselinnen. Auch in die andere Richtung wird fleißig gerümpft, weil der in Eisenstadt zwar Wahlen gewänne, aber halt nicht als Sozialdemokrat. Denn ein solcher sei halt eigentlich nur, wer . . .

Jede dieser unterschiedlichen Sichtweisen mag ja durchaus was für sich haben. Aber alle zusammen?

In der Klarheit

Wenn wer fragt, wo sich in all dem die Sozialdemokratie versteckt, wo nun also ihr vermaledeites Narrativ wäre, dessentwegen jemand sie wählen solle, wird auf den legendären Sozial-, Männer- und auch Frauenminister Herbert Haupt (FPÖ, BZÖ) zurückgeworfen, der alles, was zu sagen war, "in der Klarheit" sagte, um dann in ein wunderhübsches, beinahe lyrisches Schwurbeln zu geraten.

In den Zeiten bipolarer Idylle – die Herbert Haupt als Frauenminister ja seltsam heutig schon transzendiert hatte – hätte einer oder eine noch sagen können: "Ich weiß net, bin i jetzt a Mandl oder bin a Weibl?"

Aber so? Was sagt man über eine alte, ehrwürdige Partei, über die man sowas sagt?

Höllenfahrt

Nach dem Interview mit dem burgenländischen Landeshauptmann setzten wir uns – das ging damals noch, so lange ist das also schon her – in das sehr ans Herz zu legende Rest'l am Eisenstädter Bahnhof. Dort liefen wir zufällig Peter Menasse über den Weg, einem emeritierten SPÖ-Insider. Zu dritt kamen wir ins Plaudern über dies und das. Zum Beispiel über das Österreichische an Österreich. Und wie sehr sich das doch auch in der alten, roten Tante spiegle. Menasse sagte, dass das trefflichste Wort zu beiden nicht, wie allgemein geglaubt, von Karl Kraus und seinen Monumentalwerken stamme. Sondern von Alfred Polgar und seinem wunderbaren Dramolett "Kasperls Höllenfahrt".

Von Eisenstadt kann man per Bahn tatsächlich nach Wien fahren, wenn auch nur mit der Kirche ums Kreuz. Matthias Cremer tat das. Wir winkten ihm. Und Peter Menasse rief ihm noch mit Polgar nach: "An schön' Gruß an den Nationalrat. I laß' sag'n, die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst." (Wolfgang Weisgram, 3.4.2021)