Der einzige Trost, sagt Schriftsteller Daniel Wisser im Gastkommentar: Nichts, schon gar nicht Verliebtheit, dauert ewig an.

Grafik: DER STANDARD

Es tut mir leid, mitteilen zu müssen, dass mein vor kurzem erschienener Roman "Wir bleiben noch" Chatprotokolle mit Emojis enthält. Die meisten dieser Chats führen zwei Verliebte. Wie ein Rezensent festgestellt hat, nervt diese Verliebtheit, man ist zu nahe dran, wird davon peinlich berührt. Das war gerade meine Absicht.

Der Roman spielt in den Jahren 2018 und 2019 und damit auch zur Zeit des Ibiza-Skandals. Dieser Skandal war und ist – wie einige Kommentatoren sehr bald festgestellt haben – kein FPÖ-Skandal, sondern auch ein ÖVP-Skandal. Es hat gedauert, bis diese Erkenntnis bei der Allgemeinheit angekommen ist. Jetzt aber ist es so weit. Jetzt liegen SMS mit Emojis vor, die von Postenbesetzungen handeln. Und von der politischen Steuerung der Presse. Und von der Liebe.

Ganz normal

Es ist schwierig, Motive zu finden: Warum müssen Spitzenpolitiker elektronisch kommunizieren und verständigen sich nicht im hintersten Hinterzimmer über ihre Geheimpläne? Naivität? Gleichgültigkeit? Oder der heimliche Wunsch, dass das alles veröffentlicht wird?

Die Nachrichten, die Thomas Schmid, Sebastian Kurz, Gernot Blümel und andere ausgetauscht haben, zeigen vor allem eines: Hier spielen Kinder Politik. Das wäre nicht tragisch, ginge es dabei nicht um Milliarden Steuergeld. Standen die jugendlichen Träume früherer Generationen für die Hinterfragung politischer Macht, ihre Kontrolle und mediale Analyse, so sind die nun sichtbar gewordenen Jugendträume das Gegenteil davon: Affirmation von Macht, Streben nach totalitärer Kontrolle und Manipulation medialer Berichterstattung. Was Heinz-Christian Strache vor versteckter Kamera als Vision aussprach und wofür er zurückgetreten ist, findet in den Schmid-SMS de facto statt und wird als ganz normal klassifiziert.

Kopf und Herz

Nichts dauert ewig

Im Gegenteil zu Straches nächtlichen Gedankenloops im Ibiza-Video ist die Schmid-AG etwas Handfestes. Das Eindringen einer Zeichensprache aus dem Privatbereich in offizielle Angelegenheiten wird als selbstverständlich empfunden. Auch werden die wirklichen Anliegen, Posten trotz fehlender Qualifikation zu bekommen, Sozialdemokraten aus Gremien zu drängen und für nicht mehr benötigte Parteifreunde Versorgungsposten zu finden, nicht mehr hinterfragt. Hier ist eine Generation am Werk, die ihre politische Positionierung gar nicht mehr herleiten kann, sondern in Parteiorganisationen aufgeschnappt und zu ihrem Dogma gemacht hat. Umso rücksichtsloser können die Agierenden verfahren. Sie sind ja verliebt und wollen viele Herzerln schicken und geschickt bekommen.

Gegen Verliebte kann man nichts machen. Man muss ihr Dauergrinsen ertragen, und der einzige Trost ist wohl der Gedanke, dass nichts, schon gar nicht Verliebtheit, ewig andauert. Dass eine Republik, die mit den ernsthaften realen Problemen einer Pandemie, der Massenarbeitslosigkeit und dem leisen Sterben der Demokratie zu kämpfen hat, als Reaktion auf die Veröffentlichung dieser SMS jetzt nicht mehr hervorbringt als "Das war schon immer immer so", "Das ist ganz normal", "Das haben andere auch so gemacht", ist die viel größere Tragödie.

Ein Weltkulturerbe

Das Lächerlichmachen von Politik führt zu jener Destabilisierung, die sich rechte Regierungen wünschen, um die Gewaltentrennung zu überwinden. Was Kurz vom Parlament hält, hat er immer wieder klargemacht. Man sieht seine Verachtung dafür auch an seinem Verhalten bei Nationalratssitzungen. Oft ist er in sein Smartphone vertieft, und vielleicht denkt er in manchen Augenblicken im Parlament über die Wahl des richtigen Emojis nach.

"Was Kurz vom Parlament hält, hat er immer wieder klargemacht."
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Oft beklagt man die sogenannte Message-Control: Politikerinnen und Politiker geben einstudierte Sätze von sich. In den Schmid-SMS kann man lesen, was sich außerhalb dieses streng kontrollierten Bereichs abspielt. Ich nehme an, dass die SMS-Kommunikation eine Entgleisung ist, die nur im Steinzeitalter des Smartphones passieren konnte. Bald wird auch sie der Message-Control unterliegen.

Die homoerotischen Liebesgeschichten voller Emojis, die die mächtigen Männer des postdemokratischen Österreich antreiben, sind dann natürlich nicht vorbei. Sie werden sich aber in sicherere Räume zurückziehen. Die Chats, die jetzt vorliegen, müssen daher jetzt schon als Weltkulturerbe anerkannt werden. Es tut mir leid, mitteilen zu müssen, dass Emojis genau in unsere Zeit passen. Bilder ersetzen die Sprache. Na und? Wir sind längst sprachlos. (Daniel Wisser, 3.4.2021)