Die Nachrichten waren beunruhigend: Im Megastau im Suezkanal steckten neben dem tonnenschweren Containerriesen Ever Given nicht nur Öltanker und Schiffe mit Maschinenteilen und Gebrauchsgütern fest. Manche Schiffe hatten auch lebende Fracht an Bord: 130.000 Schafe, die tausende Kilometer von Rumänien aus nach Jordanien oder Saudi-Arabien verschippert werden, in Spanien geladene Rinder auf dem Weg nach Afrika.

Tierschützer warnten: Die Tiere könnten elendiglich verhungern. Der Stau löste sich rechtzeitig auf. Doch die Befürchtungen kamen nicht von ungefähr – frühere Zwischenfälle verliefen nicht so glimpflich. Tausende verschiffte Rinder wurden heuer in Spanien nach Verzögerungen wegen Problemen mit Gesundheitsbehörden notgeschlachtet. 2019 kenterte ein Frachter mit 14.000 Schafen an Bord auf der Fahrt von Rumänien nach Saudi-Arabien. Fast alle Tiere ertranken.

Ein Tiertransport ist kein Honiglecken, auch wenn die Reise nicht allzuweit ist. Hier werden Truthähne in Frankreich transportiert.
Foto: JEAN-FRANCOIS MONIER / AFP

Doch warum müssen Schafe unter belastenden bis teils qualvollen Bedingungen in engen Schiffsbäuchen von Rumänien bis an den Persischen Golf transportiert werden? Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich. Der Wüstenstaat ist einer der größten Schafimporteure der Welt. Früher wurden die Tiere auch in Österreich und Deutschland verspeist. Heute kommt Lammfleisch, das "böckelt", eher nicht mehr auf den Tisch. Bevorzugt wird das zarte Fleisch jüngerer Tiere.

Doch es gibt noch andere Gründe. Die Havarie der Ever Given im Suezkanal lenkt den Blick auf die Schattenseite eines Exportbooms, den Agrarverbände und Politik als große Erfolgsgeschichte betrachten. Lebende Schlacht- und Zuchttiere aus der EU sind im gesamten Mittelmeerraum gefragt.

Grafik: Fatih Aydogdu

Schafe, Rinder, Geflügel werden weltweit durch die Lande gekarrt, mit Flugzeugen verschickt, mit Schiffen wochenlang an ihre Bestimmungsorte gebracht, weil landwirtschaftliche Viehwirtschaft eben auch arbeitsteilig funktioniert – und so das Schnitzel um 50 Cent billiger auf den Teller kommen kann.

Emsiger Verkehr

Rund 1, 8 Milliarden Nutztiere wurden 2019 weltweit über irgendeine nationale Grenze transportiert. Die EU ist ein großer Player in dem Geschäft – Frankreich, Deutschland oder die Niederlande spielen vorne mit. 3,5 Millionen Schafe und Ziegen, 4,3 Millionen Rinder, 33 Millionen Schweine, eine Milliarde Hühner und Puten schob man 2018 lebend zwischen EU-Ländern hin und her. Dazu kommt der Handel mit anderen Regionen der Welt.

Das Interesse an einer eigenen Milchwirtschaft ist in manchen Ländern wie Marokko, Saudi-Arabien oder Ägypten groß, der Export von Milchkühen floriert. Länder wie Spanien oder Italien sind spezialisiert auf die Mast, andere auf Schlachtung und Verarbeitung.

Ein Schweinchen besteigt an einem Flughafen in der Bretagne ein Frachtflugzeug. Die Reise wird nach China gehen.
Foto: AFP/Fred Tanneau

Isst man im Wirtshaus ein Schnitzerl, ist die Chance groß, dass es aus Holland kommt, der Handel weist die Herkunft aus. Österreich ist mit seinen überwiegend kleinstrukturierten Betrieben ebenfalls im Spiel.

Während man auf den Export von Lebendtieren zum Schlachten verzichtet, reisen jährlich 45.000 Kälber im Laster ins 1500 Kilometer entfernte Nordspanien. Von Hochleistungsmilchkühen geboren, würden sie daheim zum unnützen "Esser".

Mehr Transparenz

Für die unter Druck stehenden Betriebe ist das keine Option. Der Transport darf 19 Stunden dauern – eine einstündige Pause inbegriffen. Österreichische Zuchtschafe sind in der Türkei gefragt, Rinder in Italien, Deutschland, Kasachstan oder auch im Libanon. Tierschützer wie Vier-Pfoten-Chefin Eva Rosenberg drängen auf ein EU-weites Verbot von Lebendtiertransporten in Drittstaaten und auf mehr Transparenz in Gastro und Lebensmittelindustrie.

Grafik: Fatih Aydogdu

Kann der einzelne Konsument dazu beitragen, dass sich die Zustände ändern? Im Fall von Tier-Exporten nur relativ wenig. Eines der Probleme an Tiertransporten über den Schiffsweg ist, dass es hierfür so gut wie keine Rechtsvorschriften gibt – und was nach dem Ablegen aus einem EU-Hafen geschieht, kann von den Mitgliedsstaaten kaum mehr kontrolliert werden.

Noch dramatischer ist vor diesem Hintergrund die Rechnung der Profiteure. Betrachtet man beispielsweise die Schafe, die am Suezkanal qualvoll auf ihre vermutliche Schächtung warten mussten, dann steht da am Ende ein fetter Gewinn: Im Exportland kostete ein Schaf rund 25 Euro, im Ankunftshafen ist es rund 250 Euro wert. Ein gewisser Schwund, wenn man es so herzlos ausdrücken möchte, ist da generös eingerechnet.

Druck auf die Politik

Sebastian Bohrn Mena, Initiator des österreichischen Tierschutzvolksbegehrens, sagt: "Thomas Waitz (Co-Vorsitzender der Grünen im Europäischen Parlament, Anm.) hat mir erzählt: Selbst wenn die Hälfte der Tiere unterwegs stirbt, ist es noch ein Bombengeschäft."

Verladen im Frachtflugzeug.
Foto: AFP/FRED TANNEAU

Nachhaltige Änderungen ließen sich nur durch Druck auf die Politik erwirken – mit Mails, Demonstrationen oder Volksbegehren. "Politiker sind in erster Linie daran interessiert, ihre Macht zu erhalten", sagt Sebastian Bohrn Mena, "und wenn sie merken, dass die Bevölkerung will, dass die Politik für den Tierschutz eintritt, dann werden sie das tun."

Doch auch im eigenen kleinen Wirkungsbereich als Konsument kann man etwas ausrichten. Etwa indem man die Fallen, wie sie etwa in der Gastronomie oder bei verarbeiteten Lebensmitteln lauern, kennt. Denn die Gastro muss die Herkunft des verarbeiteten Fleisches nicht auszeichnen – und nutzt das durchaus auch aus.

Rinder auf Weltreise. Sehr zimperlich geht es da oft nicht zu.
Foto: Imago/Nicolas Guyonnet / Hans Lucas

Hat ein Kalbsschnitzel etwa ein besonders helles Fleisch, dann handelt sich dabei mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit um billige Importware. In den Niederlanden etwa werden Kälber mit Wasser und Palmöl schneller gemästet. Der dadurch entstehende Eisenmangel führt in Kombination mit zu wenig Bewegung aufgrund schlechter Tierhaltung dazu, dass das Fleisch deutlich heller ist als bei einem heimischen Rind.

Dafür ist das Mastfleisch dann im Einkauf für Gastronomie und Endkonsument aber auch um zwei bis sieben Cent günstiger zu haben als ein 220-Gramm-Schnitzel, das nach allen Vorgaben des Tierschutzvolksbegehrens erzeugt wurde.

Auf Nummer sicher gehen kann eigentlich nur, wer sich vegetarisch ernährt oder ausschließlich bei jenen Bauern kauft, deren Tierhaltung er selbst überprüfen kann. Ist das nicht möglich, dann dient das AMA-Gütesiegel als guter Richtwert – damit wird zumindest die Herkunft des Fleisches garantiert. Allerdings trägt lediglich ein Drittel des in Österreich konsumierten Fleisches dieses Siegel. (Regina Bruckner, Guido Gluschitsch, 3.4.2021)