Im Gegensatz zu den Lokalbetreibern seien Sexarbeiter*innen und Beratungsstellen kaum mit Informationen versorgt.

Foto: APA/dpa/Tom Weller

Die Pandemie setzt Branchen, die von prekären Beschäftigungsverhältnissen geprägt sind, ganz besonders zu – so auch der Sexarbeit. Ein Jahr lang konnten Sexarbeiter*innen in Österreich kaum legal ihre Dienste anbieten, mit der aktuellen Covid-19-Verordnung sind nun auch Hausbesuche bei den Kund*innen bis auf weiteres verboten. "Die Lage ist fatal", sagt Christine Nagl, die das Projekt Pia der Salzburger Frauenservicestelle Frau & Arbeit leitet. Sexarbeiterinnen würden zunehmend vor massiven finanziellen Problemen stehen, erzählt die Sozialarbeiterin im STANDARD-Interview, auf staatliche Unterstützungsleistungen könnten nur wenige zurückgreifen. So scheiterte der Zugang zu Geldern aus dem Härtefallfonds meist an der Kontonummer: Nur wer ein österreichisches Bankkonto besitzt, kann einen Antrag stellen. Rund 90 Prozent der Sexarbeiter*innen in Österreich sind Migrantinnen, ihr Konto haben sie oft im Herkunftsland eröffnet.

Stigmatisierung

"Die meisten Sexarbeiter*innen warten darauf, dass die Lokale endlich wieder aufgehen und sie regulär arbeiten können", sagt Renate Blum vom Wiener Verein LEFÖ. Viele hätten sich inzwischen hoch verschuldet, somit steige auch die Gefahr, in Abhängigkeitsverhältnisse zu Betreibern zu geraten. Besonders häufig würden Betroffene von den hohen Mietkosten berichten, die ohne laufendes Einkommen kaum noch zu stemmen seien.

Mit fehlenden Einkünften und der andauernden Unsicherheit haben nicht nur Sexarbeiter*innen zu kämpfen. Rund 17.000 Mieter*innen – und damit doppelt so vielen wie im Vorjahr – könnte 2021 eine Delogierung drohen, warnte die Arbeiterkammer. Doch für Sexarbeiter*innen verschärfe die gesellschaftliche Stigmatisierung die Lage, sagt Blum im STANDARD-Gespräch. "Friseur*innen oder Gastwirt*innen werden als wichtiger Teil der Gesellschaft anerkannt, Sexarbeiter*innen hingegen haben keine laute Stimme. Wir diskutieren nicht breit darüber, wann Prostitutionslokale wieder öffnen dürfen."

Illegale Arbeit

In Wien führte die Polizei im vergangenen Jahr indes mehrere Schwerpunktkontrollen in Privatwohnungen durch. Anlass war die "verstärkte Internetpräsenz von Prostituierten, die ihre Dienstleistungen anbieten", so die Landespolizeidirektion Wien in einer Aussendung. Anzeigen seien sowohl aufgrund von Verstößen gegen das Wiener Prostitutionsgesetz als auch wegen Übertretungen der Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung erfolgt.

Christian Knappik, Sprecher des Vereins Sexworker Forum, kritisiert das Vorgehen der Beamt*innen – etwa wenn Polizisten verdeckt als Kunden auftreten und einen Termin buchen würden. "Wer so ein Erlebnis hat, geht später nicht zur Polizei, wenn es zum Beispiel einen Fall von Ausbeutung gibt", sagt Knappik, der gemeinsam mit Sexarbeiter*innen ein ehrenamtliches Unterstützungsnetzwerk betreibt.

Pflichtuntersuchung im Lockdown

Auch Christine Nagl sieht Sexarbeiter*innen stärker im Visier der Polizei als andere Berufsgruppen. Gerade in der Pandemie seien Sexarbeiter*innen als potenzielle Superspreader dargestellt worden, die schon bestehende Diskriminierung habe sich verstärkt. Sexdienstleister*innen müssen sich in Österreich einer verpflichtenden Untersuchung unterziehen, nur mit dem Stempel im Gesundheitsausweis ("Deckel") darf legal gearbeitet werden. Alle sechs Wochen ist eine Untersuchung fällig, das Vorliegen einer HIV- oder Syphilisinfektion wird alle drei Monate überprüft. Während die Stadt Wien die Pflichtuntersuchung durchgehend anbot, schränkten andere Bundesländer den Zugang ein. "Ich hatte mehrfach Kontakt mit dem Salzburger Gesundheitsamt, weil Frauen einfach keinen Untersuchungstermin bekommen haben", sagt Nagl. Zwischen den Lockdowns hätten die Betroffenen so nicht legal ihrer Arbeit nachgehen können. "Ich glaube nicht, dass man mit einer anderen Berufsgruppe so umgehen würde."

In Wien habe das Zentrum für Sexuelle Gesundheit auch während des Lockdowns Untersuchungen und Beratungen angeboten, um Sexarbeiter*innen eine möglichst rasche Rückkehr zu ermöglichen, berichtet Renate Blum. Eine neue Hürde ist mit dem 22. März hinzugekommen: Bereits vor der Untersuchung ist ein negativer Covid-19-Test vorzuweisen. Angesichts der finanziellen Notlage hätte die Stadt Wien jedoch zu wenig Unterstützungsangebote geschaffen, kritisiert Blum. Abseits der prekären ökonomischen Lage hätten Sexarbeiter*innen zunehmend mit Isolation zu kämpfen. Soziale Kontakte über die Arbeit fehlen, auch der Zugang zu Informationen sei so erschwert.

Fehlende Perspektiven

Christine Nagl von PiA kritisiert indes die Informationspolitik der Behörden. Im Gegensatz zu den Lokalbetreibern seien Sexarbeiter*innen und Beratungsstellen kaum mit Informationen versorgt worden, auch auf den Regierungsseiten fehlten entsprechende Hinweise. In Salzburg beobachtet Nagl ein Bordellsterben: Immer mehr kleine Lokale würden schließen, große Betreiber*innen den Markt bestimmen. Im Bundesland ist weder die Straßenprostitution noch Escort erlaubt, die Arbeitsmöglichkeiten für Sexarbeiter*innen würden somit schwinden. Eine berufliche Umorientierung, bei der auch PiA Unterstützung anbietet, gestalte sich äußerst hürdenreich. Erfahren potenzielle Dienstgeber*innen von der Arbeit im Prostitutionsgewerbe, sei die Chance auf eine Anstellung meist dahin. "Dieser Slogan ‚Sexarbeit ist Arbeit‘ ist noch lange nicht Realität. Es ist erst eine Arbeit wie jede andere, wenn ich sie auch in den Lebenslauf schreiben kann", sagt Nagl. (Brigitte Theißl, 4.4.2021)