Statt auf Papier gibt es den Ikea-Katalog nun zum Hören – zumindest in den USA.

Foto: Ikea/istock/Montage

Und dann war es so weit. Nach 70 Jahren stellte das Möbelhaus Ikea im vergangenen Jahr seinen Katalog in gedruckter Form ein, eine Publikation, die nicht von wenigen Zeitgenossen alljährlich als die Neuerscheinung ungeduldig erwartet wurde. Man erinnere sich: Freudig wurde der Katalog aus den Postkästen gezupft oder den eigens engagierten Kolporteuren hurtig aus der Hand gerissen.

Im Rekordjahr 2016 erreichte die Möbelfibel eine Auflage von 200 Millionen Stück, gedruckt in 32 Sprachen, aufgelegt in 52 Ländern. Die Entscheidung, das begehrte Druckwerk einzustellen, begründete das Möbelhaus "als Folge des veränderten Medienkonsums und Verbraucherverhaltens".

Wie klingt Billy?

Soso, veränderter Medienkonsum, schön und gut. Den Katalog online durchzustöbern, auch okay. Aber der Ikea-Katalog zum Hören? Im Ernst? Offensichtlich! Nicht wenige staunten, als vor kurzem der Ikea-Katalog für die Ohren herauskam. Was das soll? Eine Frauenstimme, nämlich jene der Sprecherin Jasmin Richardson, erzählt in 13 Kapiteln und einem Prolog, was sich der Hörer in diversen Stuben ausmalen soll. Unterm Strich kann man sich den Lockdown um fast vier Stunden erschweren. Das längste Kapitel, nämlich jenes mit der Nummer zehn, zieht sich über 26 Minuten und behandelt die Frage, wie man absolut alles organisieren kann. Richardsons Stimme habe man ausgesucht, weil sie auf gescheite, aber leicht abwegige Art Spaß vermittle. Nun, sagen wir, die Interpretationshoheit liegt in den Ohren des Hörers. In den fraglichen Genuss dieser schwer abwegigen und überenthusiastisch erzählten Chose, die tadellos als Aprilscherz herhalten könnte, kommt man zum Beispiel auf Spotify oder Youtube. Leider oder Gott sei Dank vorerst nur auf Englisch. Seitens Ikea spricht man im Zusammenhang mit dem hörbaren Möbelkatalog davon, dass es Zeit für neue und beruhigende Klänge sei.

IKEA USA

Wie diese Beruhigung klingt? Schlagen wir akustisch zum Beispiel das Kapitel vier auf, in dem es locker-flockig übersetzt heißt: "Wir finden uns im Zuhause einer charmanten Familie wieder, ein adretter Dad samt Brille sitzt mit seinem Sohn über der Hausaufgabe in der Wohnküche an der Kücheninsel. Mama sitzt auf einem Sofa um 899 Dollar und liest dem jüngeren Sohn vor. Daneben knotzt die älteste Tochter samt Smartphone und Kopfhörer auf dem Sofa." Man erfährt auch, dass das Mädel bernsteinfarbene Haare hat. Beschrieben werden allerlei Möbel und Sichtachsen, und auch die Oma taucht irgendwann auf und wird mit "Hi Grandma" begrüßt.

Sweetie, das ist Avantgarde

Das Kapitel acht behandelt die Frage, wie man seinem Badezimmer einen "Boost" verleiht. Zu den Seiten 196 und 197 sagt die Dame, dass "zu Hause ist, wo deine Persönlichkeit strahlt". Ganz woanders, nämlich auf Seite 222, darf man sich ein blondes, glückliches Kind auf einem Kinderstuhl um 19,99 Dollar vorstellen, in dessen Erscheinung die Sprecherin ganz verschossen scheint. "Uuuh, ich liebe diesen Look, Sweetie, so Avantgarde." Das Kapitel zwei, es dreht sich um Licht, startet mit einer Familie, mit der man unbedingt befreundet sein möchte. Aber nur wenn es nach der Stimme geht. So viel ist sicher. Papi spielt mit der jüngeren Tochter mit einer Holzeisenbahn, die sich unter dem Küchentisch durchschlängelt, was die ältere Tochter vom Homework ablenkt, Mum aber gar nicht zu stören scheint. Noch eine kleine Besserwisserei von Jasmin? Man darf doch per Du sein, oder? "Du brauchst nicht viel Platz oder Geld, um ein erfülltes Familienleben zu haben", sagt sie zwischen dem Herunterlesen von Möbeltypen und deren Preisen.

Vielleicht wäre das Hörvergnügen ein größeres, wenn man sich beim Anhören ein paar Köttbullar in den Mund schöbe. Die gibt es einstweilen noch nicht zum Hören. Noch nicht! Man mag sich lieber nicht vorstellen, wie Frau Richardson schmatzt und kaut und dabei von den Fleischbällchen schwärmt. Schrullig und schwer abwegig.

Die Ikea-Fleischbällchen gibt es noch nicht zum Hören. Aber als Eis – zumindest als Aprilscherz mit dem Namen "Köttpolar".
Foto: © IKEA

Eine Version für den deutschen Markt ist bislang übrigens noch nicht geplant. "Es handelt sich bei dem Podcast um eine einmalige Initiative von Ikea USA. Ob andere Märkte eine Audioversion des Katalogs anbieten, ist uns nicht bekannt. Der Audiokatalog ist nicht das neue Katalogformat für die Zukunft", erklärt eine Pressesprecherin von Ikea Deutschland auf Nachfrage des Magazins Stern, wie von der zuständigen österreichischen PR-Agentur zu erfahren ist. Fluch oder Segen?

Im Zweifelsfalle Letzteres, denn wer einmal die Gelegenheit hatte, bei einer Katalogwerdung im schwedischen Älmhult in der Zentrale von Ikea dabei zu sein, wünscht sich statt der Hörversion wohl wieder den gedruckten Katalog zurück. Im sogenannten "Icom", was für "Ikea Communication" steht, arbeiteten das ganze Jahr über 320 Leute aus 31 Ländern am Katalog, aber auch an Produktfotos, der Website, Broschüren etc. 40.000-mal wurde hier zwischen unglaublich vielen Bildschirmen, Scheinwerfern und Schreibtischen auf den Auslöser von Kameras gedrückt, in einer 3D-Modell-Abteilung wurden Möbel per Hightech geschrumpft und in Szene gesetzt. Auch nach einer entwischten Katze wurde schon einmal gesucht. Zwei Tage dauerte im Schnitt der Aufbau eines Zimmers, einen Tag lang wurde geshootet, einen Tag dauert der Abbau. Dazwischen ein Wirrwarr von Fliesenlegern, Malern, Zimmermännern und anderen Handwerkern.

Ein bisserl ein Schmafu

Ob Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ob des Hörbuch-Schmafus im Grab rotiert, darf Spekulation bleiben. Zur Erinnerung: Ikea steht für die Wörter Ingvar, Kamprad, Elmtaryd, Agunnaryd. Die ersten beiden Wörter sind der Name des Mannes, der das Unternehmen Ikea gegründet hat und vor zwei Jahren 91-jährig verstorben ist. Das dritte Wort steht für den Hof, auf dem er aufwuchs, das vierte für das dazugehörige Dorf in Schweden.

Etwas zynisch könnte man sagen, dass wenigstens Sehbehinderte etwas vom Möbel-Audio haben – doch diesen Aspekt hebt das Möbelhaus nicht explizit hervor. Dabei würde zumindest das ein wenig Sinn machen. Wenn auch nicht sonderlich viel. (Michael Hausenblas, 4.4.2021)