Foto: Standard/Schöndorfer
Foto: STANDARD/Schöndorfer
Foto: Karl Schöndorfer TOPPRESS

Man könne in Österreich "am Rechnungshof vorbei" über Vereine an Parteien spenden: Dieser Satz, ausgesprochen im Sommer 2017 vom damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, löste eine Lawine aus, deren Wirkung sich bis heute nicht abschätzen lässt. Eines ist klar: Seit dem 17. Mai 2019, an dem Ausschnitte aus dem Ibiza-Video von SZ und Spiegel veröffentlicht wurden, hat sich in dieser Republik etwas verändert. Verschiedene Faktoren sorgen dafür, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und andere Staatsanwaltschaften ohne Scheuklappen gegen politische Entscheidungsträger und Topmanager ermitteln können – und beinahe im Monatstakt gerät neue Polit- und Wirtschaftsprominenz in deren Fokus. Dazu kommen unzählige Chatprotokolle, die nicht nur strafrechtlich relevante Verdachtsmomente beinhalten, sondern einen Einblick in Postenschacher und andere Mauscheleien in ÖVP und FPÖ bieten.

Der STANDARD hat die wichtigsten Causen und ihre Verbindungen zueinander vereinfacht zusammengefasst, in allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung.

1. Das Ibiza-Video

Die Geschichte ist bekannt: Ein frustrierter Bodyguard von Heinz-Christian Strache wandte sich schon vor Jahren mit belastendem Material über den damaligen FPÖ-Chef an seinen Anwalt. Der versuchte im Wien-Wahlkampf 2015, diese Informationen an politische Gegner und das Bundeskriminalamt zu verkaufen. Es gab Treffen mit Politberatern fast aller Parteien, aber niemand griff zu. Deshalb beschloss der Anwalt gemeinsam mit einem Sicherheitsberater, Strache eine Falle zu stellen. Über den damaligen Klubobmann Johann Gudenus schleuste man eine falsche russische Oligarchennichte in Straches Umfeld. Sie gab an, in Österreich investieren zu wollen – zum Beispiel, indem sie die Anteile an der Kronen Zeitung erwerben würde. Schließlich kam es zum legendären Treffen zwischen Strache, Gudenus und der Oligarchennichte auf Ibiza, wo Korruptionsfantasien blühten. Strache und Gudenus sprachen von überteuerten Staatsaufträgen, und davon, dass sie "zack, zack, zack" Redakteure bei der Kronen Zeitung tauschen würden, sobald die Oligarchennichte diese kaufen würde. Zwei Jahre später, als Strache Vizekanzler unter Türkis-Blau war, erschienen Teile des Videos; die Regierung zerbrach.

Strache (vorne) und Johann Gudenus (hinten) auf Ibiza
Foto: SZ/Spiegel

Die Verdachtsmomente: Zum Ibiza-Video an sich wurden die Ermittlungen rasch eingestellt. Strache war zum Zeitpunkt des Treffens kein Regierungsmitglied, er konnte daher nur hypothetische Versprechungen machen. Für die WKStA ist das eine Gesetzeslücke, die nun repariert wird. Umso härter laufen die Ermittlungen gegen die sogenannten "Hintermänner", denen Erpressung und Urkundenfälschung sowie Drogendelikte vorgeworfen werden.

Die politischen Auswirkungen: Für Strache und Gudenus war das Video das zumindest vorläufige Ende ihrer politischen Karriere, auch die FPÖ wurde schwer beschädigt. Sebastian Kurz musste nach nur anderthalb Jahren vorübergehend wieder das Kanzleramt verlassen, konnte danach aber noch mehr enttäuschte FPÖ-Wähler von sich überzeugen.

Die Verteidigung: Strache und Gudenus sprechen von einer "Falle" und verweisen darauf, dass sie betrunken waren und immer wieder auf die Legalität der Vorhaben verwiesen hätten. Ohne die "Macht der Bilder" hätte er wohl nicht zurücktreten müssen, sagt Strache mittlerweile.

2. Die FPÖ-Spesenaffäre

Unter dem belastenden Material, das Straches einstiger Bodyguard schon ab 2015 verbreiten wollte, befanden sich auch zahlreiche FPÖ-interne Abrechnungen. Diese gerieten nach Ibiza in den Fokus der Staatsanwaltschaft Wien (StA Wien): Sie sollen zeigen, dass Strache und seine Ehefrau Philippa systematisch falsch abgerechnet und somit die FPÖ geschädigt haben. So wird Strache vorgeworfen, unzählige private Ausgaben wie Nachhilfe für seine Kinder oder private Weihnachtsgeschenke aus der Parteikasse bezahlt zu haben. Seine Büroleiterin beschrieb eine Methode der falschen Abrechnung, derzufolge fremde Restaurantrechnungen – zum Beispiel der Leichenschmaus einer Familie, die Strache nicht kennt – gesammelt und als politische Events abgerechnet wurden.

Das Ehepaar Strache
Foto: Imago/Strache

Die Verdachtsmomente: Gegen den Bodyguard und Straches Büroleiterin wird ebenso wie gegen das Ehepaar Strache ermittelt, im Raum steht das Delikt der Untreue. Die FPÖ ist Geschädigte. Zahlreiche Mitarbeiter und Politiker gerieten als Beteiligte ebenfalls ins Visier der Ermittler. Die FPÖ-Granden bestreiten jedoch, etwas gewusst zu haben.

Die politischen Auswirkungen: Als STANDARD und "Presse" kurz vor der Nationalratswahl 2019 über die Vorwürfe berichteten, stürzte die FPÖ in den Umfragen noch stärker ab. Es wirkt, als hätte die Spesenaffäre die einstigen Wähler stärker empört als das Ibiza-Video: Auch, weil sich Strache stets als Kämpfer für die "kleinen Leute" inszeniert hatte. Rund um den geplanten Parteiausschluss Straches gab es heftige Grabenkämpfe in der FPÖ, vor allem in Wien hatte er noch zahlreiche Anhänger. Der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl schlug sogar vor, im Notfall die Wiener Landespartei aus der "freiheitlichen Familie" zu werfen.

Die Verteidigung: Das Ehepaar Strache weist die Vorwürfe klar zurück: Alles sei korrekt abgerechnet worden. Manche Rechnungen seien gesammelt an die FPÖ gegangen und dann wieder in private oder berufliche aussortiert worden, heißt es.

3. Die Causa Casinos

Die komplexesten Ermittlungen gibt es in der sogenannten Causa Casinos: Beschuldigt werden viele Topmanager und Spitzenpolitiker. Fast alle Smartphones, aus denen nun Chatprotokolle an die Öffentlichkeit dringen, wurden im Zuge der Casinos-Ermittlungen sichergestellt. Die Causa ist äußerst kompliziert, weshalb folgende Zusammenfassung etwas vereinfacht dargestellt ist. Im Grunde ging es – und geht es heute noch – um die Frage, welchen Einfluss die Regierung auf die Casinos Austria AG (Casag) hat. Der Glücksspielkonzern war teilstaatlich; unter Türkis-Blau hatte die Republik nur Minderheitsanteile. Am Ruder war die tschechische Sazka-Gruppe, die sich mit dem heimischen Unternehmen Novomatic verbündet hatte. Um seinen Einfluss zu behalten, musste das Finanzministerium unter Hartwig Löger also einen Keil zwischen Novomatic und Sazka treiben. Umgekehrt hatte die Novomatic zahlreiche Wünsche: Beispielsweise eigene Casinos-Standorte oder Lizenzen. Die Glücksspielbranche ist traditionell eine jener Sparten, die besonders stark reguliert werden und daher auf die Politik angewiesen sind.

Auf Ibiza sagte Strache: "Novomatic zahlt alle", er und Novomatic bestritten das später. Für die Ermittler war dieser Satz, als er im Mai 2019 publik wurde, allerdings ein Geschenk. Sie beschäftigten sich damals mit einer anonymen Anzeige, die Postenschacher bei der Casag unterstellte. Mit den Stimmen der Novomatic war dort der einstige blaue Bezirksrat und Finanzexperte Peter Sidlo zum Finanzvorstand gemacht worden; die ehemalige ÖVP-Vizeparteiobfrau, ÖVP-Spenderin und langjährige Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner zur Chefin. Der frühere Vorstand war vorzeitig abberufen worden, was Millionen Euro kostete; nun war das Management also plötzlich türkis-blau eingefärbt.

Peter Sidlo vor dem Handelsgericht
Foto: APA/Schlager

Die Verdachtsmomente: Zahlreichen Entscheidungsträgern wird vorgeworfen, nicht zum Wohl des Unternehmens und damit zum Wohl der Österreicherinnen und Österreicher gehandelt, sondern parteipolitische Wünsche erfüllt zu haben. Der Novomatic wird vorgeworfen, diese Politiker widerrechtlich beeinflusst zu haben. Deshalb wird unter anderem gegen Strache, Gudenus, den damaligen Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP), seinen damaligen Kabinettschef Thomas Schmid; zahlreiche (ehemalige) Novomatic-Manager wie Ex-CEO Harald Neumann; Novomatic-Gründer Johann Graf, den einstigen Casag-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner, den einstigen Finanzminister Josef Pröll (ÖVP, ebenfalls im Casag-Aufsichtsrat) und dutzende weitere Personen ermittelt.

Die politischen Auswirkungen: Die Glücksspielbranche wird spätestens seit den Ermittlungen von fast allen Politikern gemieden. Außerdem wurden im Zuge des Verfahrens zahlreiche Hausdurchsuchungen durchgeführt und Smartphones sichergestellt, wodurch sich viele neue Verdachtsmomente ergeben haben. Der unter Türkis-Blau bestellte Casag-Vorstand zerbröckelte: Peter Sidlo wurde vom Aufsichtsrat das Vertrauen entzogen – diese Entscheidung bekämpft er arbeitsrechtlich; Bettina Glatz-Kremsner kündigte ihren Rückzug für das Jahr 2022 an. Die tschechische Sazka hat seither die Mehrheit an der Casag übernommen, die Novomatic wurde durch die Ermittlungen wirtschaftlich beschädigt.

Die Verteidigung: Die handelnden Personen bestreiten jedwede "Deals" und Absprachen. Die Neubestellung des Vorstands sei nötig gewesen, weil die früheren Casag-Manager ihr Unternehmen nicht mehr gut geführt hätten. Das Finanzministerium habe sich so eingeschaltet, weil die Casag-Anteile ja Teil des Vermögens der Republik seien.

4. Blaue Vereine und das Mock-Institut

Aus dem Postenschacher rund um die Casag ergab sich für Ermittler in Kombination mit Straches "Novomatic zahlt alle"-Sager der Verdacht auf Geldflüsse an ÖVP und FPÖ. Deshalb wurden zahlreiche Vereine im Umfeld der Politik überprüft, zum Beispiel das blaue "Institut für Sicherheitspolitik" (ISP), das eine Kooperation mit Novomatic hatte und 200.000 Euro erhalten sollte. Gegründet wurde das ISP vom einstigen blauen Abgeordneten Markus Tschank, im Vorstand saß auch der Manager Markus Braun, bei dessen Unternehmen wiederum der spätere Casinos-Vorstand Peter Sidlo gearbeitet hatte. Ermittler prüfen nun, ob die Zahlungen von Novomatic an das ISP gerechtfertigt waren, ein Fachexperte der WKStA hinterfragt das zumindest.

Ein weiterer, diesmal ÖVP-naher, Verein ist das Alois-Mock-Institut, das vom damaligen niederösterreichischen Landesrat Wolfgang Sobotka (ÖVP) gegründet worden war – der war zwischenzeitlich Innenminister, nun ist er Nationalratspräsident und pikanterweise Vorsitzender des Ibiza-U-Ausschusses. Das Mock-Institut kooperierte ebenfalls mit der Novomatic und erhielt dadurch seit 2015 Leistungen im Geldwert von über 100.000 Euro. Auch das Kammerorchester Waidhofen, bei dem Sobotka dirigiert, wurde von der Novomatic unterstützt. Ermittlungsdaten zeigen, dass der Glücksspielkonzern ein breites Netz der politischen Landschaftspflege betrieben hat, in dem natürlich auch die SPÖ nicht fehlen durfte.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
Foto: APA/Schlager

Die Verdachtsmomente: Das ISP und das Mock-Institut werden weiterhin geprüft.

Die politischen Auswirkungen: Vor allem auf Wolfgang Sobotka haben sich die Oppositionsparteien sowie die Grünen wegen dessen Vorsitzführung im Ibiza-U-Ausschuss eingeschossen. Er sei befangen und müsse zurücktreten, heißt es.

Die Verteidigung: Die Beteiligten versichern, dass die Novomatic für ihre Unterstützung einen Gegenwert erhalten habe, etwa Expertise oder Werbepräsenz. Die ÖVP verweist vor allem darauf, dass auch ans Umfeld der SPÖ viel Geld floss. Die Novomatic selbst sagt, mit der Unterstützung für viele Vereine und Initiativen ihre gesellschaftliche Verantwortung als heimischer Milliardenkonzern wahrgenommen zu haben – und zwar ohne Hintergedanken.

5. Die Causa Blümel

Bei der Auswertung des Smartphones von Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann entdeckten Ermittler ein SMS, das dieser im Juli 2017 an den heutigen Finanzminister Gernot Blümel geschickt hatte. Neumann bat Blümel um einen Termin beim damaligen Außenminister Sebastian Kurz wegen "erstens Spende zweitens eines Problemes das wir in Italien haben". Die Novomatic kämpfte damals gegen eine Steuerforderung der italienischen Behörden. Blümel leitete den Gesprächswunsch an Thomas Schmid weiter, der damals Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium war. Ermittler glauben außerdem, dass Blümel seinen Vertrauten Sebastian Kurz von der SMS in Kenntnis setzte. Die WKStA machte wegen dieses SMS-Funds Blümel zum Beschuldigten in der Casinos-Affäre. Am 11. Februar kam es zur ersten Hausdurchsuchung bei einem amtierenden Finanzminister. In den Wochen danach wurden Dokumente im Finanzministerium sichergestellt.

Finanzminister Gernot Blümel
Foto: Corn

Die Verdachtsmomente: Ermittler denken nicht, dass Blümel selbst bestochen wurde, sondern dass er das Angebot der Novomatic an Kurz weitergetragen hat. Daher wird auch Blümel Bestechung vorgeworfen, nicht Bestechlichkeit. Die Ermittlungen befinden sich in einem sehr frühen Stadium, nun werden Blümels Smartphone sowie zahlreiche Akten aus dem Finanzministerium ausgewertet.

Die politischen Auswirkungen: Die Hausdurchsuchung bei Blümel rückte Kanzler Kurz näher an die Ermittlungen heran. Mit dem Finanzminister geriet das Herz der "neuen Volkspartei" in den Strudel der Casag-Affäre. Dementsprechend hoch war und ist die Nervosität in der ÖVP, die in den Wochen nach der Razzia aus vollen Rohren auf die WKStA schoss und ihr zahlreiche Ermittlungsfehler vorwarf – zum Beispiel, Sebastian Kurz mit der einstigen Novomatic-Aufsichtsrätin Martina Kurz verwechselt zu haben. Die Namensgleichheit war allerdings auch der WKStA aufgefallen. Die Stimmung in der Koalition ist seither frostig, die Grünen attestierten der ÖVP ein fragwürdiges Verhältnis zum Rechtsstaat. Die versuchte, mit einem strengen Glücksspiel-Paket sowie Antikorruptionsmaßnahmen aus der Schusslinie zu treten.

Die Verteidigung: Blümel gibt an, gar nicht zu wissen, welche Spende von Neumann damals gemeint war – mit Sicherheit keine Parteispende, da die ÖVP prinzipiell kein Geld aus der Glücksspielbranche angenommen habe. Auch Neumanns Anwalt streitet ab, dass sein Mandant eine Spende an die ÖVP gemeint habe. Außerdem sei ein Termin mit Kurz in dieser Angelegenheit nie zustande gekommen, dieser habe auch keine Schritte wegen Novomatics "Problem in Italien" gesetzt. Vielmehr habe das Finanzministerium sich damit beschäftigt, genauso wie es das auch ständig für andere heimische Unternehmen bei Problemen im Ausland tue.

6. Die Causa Prikraf und Wünsche für Spender

Zahlungsflüsse der Novomatic direkt an die "neue ÖVP" sind bislang nicht gefunden worden. Aber auch bei offiziell gemeldeten und von der ÖVP und der FPÖ transparent gemachten Spenden tun sich strafrechtliche Verdachtsmomente auf. Zum Beispiel im Bereich der Privatkliniken: Dort gab es jahrelangen Streit darüber, wer in den Privatklinikenfonds Prikraf aufgenommen werden sollte. Das verlangte der Klinikbetreiber Walter Grubmüller, der hier auf offene Ohren bei der FPÖ stieß. Zahlreiche Chats zeigen, wie intensiv der damalige Vizekanzler Strache für Grubmüller lobbyierte; der lud ihn im Gegenzug zu Urlauben ein.

Ein wichtiger Akteur in dieser Angelegenheit war der Gesundheitsmanager Julian H., der die Uniqa-Tochter Premiqamed managt. Sie betreibt ebenfalls Privatkliniken. H. meinte stets, Grubmüllers Klinik könnte nur in den Prikraf aufgenommen werden, wenn der Fonds an sich erhöht werde. Beides geschah dann im Zuge der türkis-blauen Gesundheitsreform. Die Premiqamed hatte zuvor zwei Mal an die ÖVP gespendet – und die Idee dazu war entstanden, als Hartwig Löger noch nicht Finanzminister, sondern Manager bei der Uniqa selbst war.

Der einstige Finanzminister Hartwig Löger
Foto: APA/Schlager

Die Verdachtsmomente: Die WKStA prüft, ob Löger, Julian H. und andere Premiqamed-Manager Untreue-Delikte begangen haben. In der Causa Strache/Grubmüller wurde mittlerweile ein Vorhabensbericht eingebracht, eine Anklage dürfte bevorstehen.

Die politischen Auswirkungen: Für Empörung sorgt bei der Opposition, aber auch bei vielen Mitarbeitern der Gesundheitskassen, dass im Zuge der türkis-blauen Reform aus ihrer Sicht Versicherte das Nachsehen hatten, während Privatkliniken besser gestellt wurden. Dass mit der Premiqamed eine Firma spendete, deren Aufsichtsratsvorsitzender Hartwig Löger dann Finanzminister wurde, sorgt für eine schiefe Optik und steht exemplarisch für Vorwürfe der Opposition, ÖVP-Spender wären für ihre Unterstützung mit Posten belohnt worden.

Die Verteidigung: Alle Beteiligten streiten einen Zusammenhang zwischen Spende und Prikraf-Reform ab. Die Premiqamed-Manager betonen, alle internen Compliance-Vorschriften eingehalten zu haben. Straches Anwalt betont, dass sein Mandant einen Flug mit Grubmüller selbst bezahlt habe.

7. Die Öbag-Chats

Unter Finanzminister Löger wurde auch die Reform der heimischen Staatsholding vorangetrieben. Aus der Öbib GmbH sollte die Öbag werden, die stärkeren Zugriff auf die von ihr verwalteten Beteiligungen hat. Am Chefposten bei der künftigen Öbag hatte von Beginn an ein Türkiser besonderes Interesse: Der langjährige Finanz-Kabinettschef und Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid. Schon bei den türkis-blauen Regierungsverhandlungen im Winter 2017 schrieb er Chatpartnern, er wolle schleunigst zur Öbib. Die ausgewerteten Nachrichten zeigen, wie sich Schmid selbst die neue Öbag zimmerte, an der Ausschreibung für den Chefsessel mitschrieb und dann an der Auswahl jener Aufsichtsräte beteiligt war, die ihn in einem "objektiven Hearing" zum Öbag-Chef machen sollten. Dabei schrieb Schmid durchaus despektierlich über die Aufsichtsräte, die ihn nun kontrollieren. Susanne Höllinger nannte er etwa "steuerbar", Karl Ochsner wolle er "abdrehen". Kanzler Kurz und der damalige Kanzleramtsminister Blümel waren eingebunden. Letzterer schrieb von der "Schmid AG" und dass Schmid "Familie" sei; Kurz versicherte Schmid: "Kriegst eh alles was du willst" mit drei Küsschen-Emojis. Im April 2019 trat Schmid dann seinen Dienst als Öbag-Chef an.

Thomas Schmid (rechts) mit dem CEO der Sazka
Foto: APA/Punz

Die Verdachtsmomente: Strafrechtlich relevant wären die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Casinos-Postenschacher. Ermittler prüfen, ob die Bestellung von Peter Sidlo im März 2019 und die Bestellung von Schmid kurz darauf miteinander "verzahnt" waren, also Teil eines Deals ÖVP-FPÖ. Dafür gibt es derzeit keine Beweise. Im Zuge der Casinos-Ermittlungen wird auch geprüft, ob eine Vertraute von Schmid vor der WKStA falsch ausgesagt hat.

Die politischen Auswirkungen: Während die Vorgänge, zumindest derzeit, strafrechtlich keine Relevanz haben, sind sie politisch umso folgenreicher. Die zahlreichen Chatnachrichten von Schmid mit der ÖVP-Prominenz legen ein System des Postenschachers offen. Viele SMS sind für Sender und Empfänger peinlich und politisch heikel; beispielsweise beschrieb Schmid Kurz, wie harsch er mit einem Kirchenvertreter umgegangen war; Kurz reagierte zustimmend. Auch dem Öbag-Aufsichtsrat dürften die Nachrichten im Magen liegen. Immer lauter werden Forderungen, Schmid abzurufen – und am besten den Aufsichtsrat gleich dazu. Auch die Grünen schlossen sich den Forderungen an.

Die Verteidigung: Kanzler Kurz startete im Bundesrat einen Frontalangriff auf die SPÖ, der Postenschacher nur dann ein Dorn im Auge sei, wenn jemand mit anderer Weltanschauung zum Zug komme. Man verweist darauf, dass die Chats keine strafrechtlichen Verdachtsmomente ergeben haben; außerdem performe die Öbag unter Schmid gut.

8. Die Turbulenzen in der Justiz

Völlig unabhängig von den anderen Verfahren sorgen nun andere Ermittlungen für ebensolche Schockwellen. Ausgangspunkt ist die Causa Tojner: Gegen den Milliardär wird wegen mehrerer Verdachtsmomente ermittelt, unter anderem hatte ihn das Land Burgenland wegen Betrugs angezeigt. Auf Tojners Smartphone fanden Ermittler Nachrichten von Ex-Justizminister und Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter (von der ÖVP nominiert), der seinen Jugendfreund Tojner in Rechtsfragen berät. Aus diesen Chats soll hervorgehen, dass Brandstetter vom Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek über eine bevorstehende Razzia bei Tojner gewarnt worden war. In weiterer Folge wurden auch die Smartphones von Brandstetter und Pilnacek sichergestellt. Dadurch wurde klar, wie eng Pilnacek mit der ÖVP verbunden ist: Er chattete mit Blümels Kabinettschef Wolfgang-Clemens Niedrist nach einer Sicherstellung der WKStA im Finanzministerium, wobei Niedrist ihm diese Anordnung weiterschickte, und bezeichnete die Aktivitäten der WKStA als "Putsch".

Ermittler fanden auch eine parlamentarische Anfrage der ÖVP in der Causa Blümel an Pilnaceks Vorgesetzte, Justizministerin Alma Zadić, auf dessen Smartphone. Dokumentiert sind auch zahlreiche Anrufe mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in der "heißen Phase" der Ermittlungsschritte gegen Blümel. Außerdem wird vermutet, dass Johann Fuchs, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Aktenteile aus Verschlussakten an Pilnacek weitergeschickt hat, obwohl dieser ab Herbst 2020 nicht mehr für Strafsachen zuständig war. Gegen Fuchs und Pilnacek wird auch wegen umstrittener Weisungen und etwaiger Falschaussagen vor dem U-Ausschuss ermittelt. So meinte Pilnacek, erst im Nachhinein von der Hausdurchsuchungen bei Thomas Schmid erfahren zu haben – interne Dokumente aus der Justiz zeigen jedoch, dass Fuchs "fernmündlich" Pilnacek über die bevorstehende Maßnahme informiert hatte. Die WKStA befürchtet, dass auch eine Hausdurchsuchung bei Novomatic-Manager Neumann "mündlich" verraten wurde.

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Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek mit Ex-Minister Wolfgang Brandstetter (links vorne)
Foto: Picturedesk/Schneider

Die Verdachtsmomente: Ermittler prüfen, ob Fuchs, Pilnacek und Niedrist das Amtsgeheimnis verletzt haben.

Die politischen Auswirkungen: Womöglich wurde durch die Ermittlungen eine türkise Seilschaft in der Justiz offengelegt. Schon seit Jahren warnt vor allem die WKStA davor, dass Pilnacek und Fuchs ihr Ermittlungen gegen Politiker behindern würden – auch in der Causa Ibiza. Mit Blick auf die ÖVP stellt sich die Frage, wie sehr Politiker Ministerien und Spitzenbeamte parteipolitisch instrumentalisieren.

Die Verteidigung: Brandstetter weist strikt von sich, Informationen über eine bevorstehende Tojner-Razzia von Pilnacek erhalten zu haben. Die geplante Maßnahme sei medial bekannt gewesen, dazu existieren auch Anfragen von Journalisten. Pilnacek äußert sich nicht, weist aber den Vorwurf von Pflichtwidrigkeiten zurück. Ein Disziplinarsenat entschied außerdem, dass es für die von Ministerin Zadić ausgesprochene Suspendierung keine ausreichenden Gründe gäbe. Auch die "Beratung" des Finanz-Kabinettschefs sowie des ÖVP-Klubs sei kein dienstrechtliches Vergehen – dagegen wird das Ministerium wohl Einspruch erheben. Fuchs meint wiederum, die Weiterleitung einzelner Aktenteile sei dienstrechtlich gedeckt gewesen. Er habe mit seinem langjährigen Vorgesetzten Pilnacek "rechtliche Fragen" erörtert, das sei in der Justiz gang und gebe. (Fabian Schmid, 4.4.2021)