Auch wenn es momentan noch eher winterlich anmutet, wenn man Haus oder Wohnung verlässt: Der nächste Hitzesommer steht bereits vor der Türe. Vor Ostern kletterte das Thermometer schon einmal auf 25 Grad. Für Ende März extreme Werte wie dieser zeigen, dass der Klimawandel derzeit unaufhaltbar scheint. Aber nicht nur subjektive Beobachtungen bestätigen diese Entwicklung. Wien ist eine der Städte in Europa, die am meisten von der Temperaturerhöhung betroffen sein wird. Eine 2019 veröffentlichte Studie besagt, dass es in Wien im Jahr 2050 so heiß sein wird wie heute im mediterranen Skopje in Nordmazedonien.

Um die Lebensqualität in Österreichs Bundeshauptstadt zu wahren, gilt es, Maßnahmen gegen die Überhitzung zu setzen. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sehnen sich nach grünen Flecken in ihrer Wohnumgebung. Grünflächen wie etwa Parks sind gerade in der Pandemie beliebte Aufenthaltsorte geworden.

Der Wiener Stadtpark bietet Schatten unter großen Bäumen.
Foto: APA/Neubauer

Die Koalition aus SPÖ und Neos hat sich in ihrem Regierungsprogramm vorgenommen, den Grünflächenanteil von derzeit 53 Prozent zu erhöhen, und will etwa 25.000 neue Bäume im Straßenraum setzen. Im Kampf gegen den Klimawandel gilt es, keine Zeit zu verlieren. Doch welche weiteren Möglichkeiten gibt es? Wie kommt eine Millionenstadt wie Wien möglichst schnell zu nachhaltigen und dauerhaften Lösungen?

1. Bürger einbeziehen und zu Experten der Ressourcenplanung machen

Befragungen wie die aktuell durchgeführte von Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) sind wichtig und ein erster Schritt. Sie ruft im Rahmen eines Ideenwettbewerbs dazu auf, Vorschläge für die Begrünung von Straßen und Plätzen in Wien einzuschicken. Wie nachhaltig die Initiative ist, wird am Umsetzungsgrad zu messen sein. Die Bevölkerung wird jedenfalls sensibilisiert für das Thema der Stadtbegrünung, was zu begrüßen ist. Genau darum geht es: Den Bewohnerinnen und Bewohnern Wiens muss klar werden, wie wichtig Begrünung in Ballungsräumen ist, weil sie zur Entschärfung von Hitzeinseln beitragen kann.

Die Bürgerinnen und Bürger selbst müssen darüber hinaus zu Expertinnen und Experten der ökologischen Stadtgestaltung werden. Das empfiehlt Landschaftsarchitektin Doris Schnepf vom Kompetenzzentrum Green4Cities. Beteiligungsprozesse bei der Umgestaltung von Stadtgebieten seien hier ebenso gefragt wie Workshops in Nachbarschaftszentren, um Wissen zu vermitteln. So können auch Anrainer erreicht werden, die sich bisher noch nicht ausführlich mit Maßnahmen gegen den Klimawandel auseinandergesetzt haben. Beschlüsse werden dadurch breiter getragen, und Projekte zur Begrünung finden mehr Akzeptanz.

2. Aus Klein wird Groß: Von der Nachbarschaftsinitiative zum Masterplan

Im Frühling beginnt die Urban-Gardening-Zeit. Menschen schließen sich zusammen, um Gemüse anzupflanzen, Beete zu pflegen und in der Nachbarschaft einer gemeinsamen Aktivität nachzugehen. Selbst kleine Initiativen tragen dazu bei, Hitze in der unmittelbaren Umgebung einzudämmen. Sie bieten Anrainern Platz zum Verweilen. Menschen halten sich lieber dort auf, wo es grün ist. Dennoch darf der Gesamtfokus nicht verlorengehen. Denn eine weitreichende Wirksamkeit gegen Überhitzung ist nur dann gegeben, wenn auch große Würfe erfolgen. Sprich: Wenn bei Bauvorhaben Ressourcenschonung nicht ernst genommen wird, nutzt auch der hundertste Nachbarschaftsgarten nichts.

Gemeinsam Beete pflegen. Urban Gardening ermöglicht Natur in der Stadt.
Foto: Standard/Hendrich

Ein Beispiel für einen innovativen Schritt, der derzeit in Wien im Sinne der Nachhaltigkeit verankert wird, ist die neue Herangehensweise bei der Pflanzung von Stadtbäumen. In der Seestadt Aspern wird das Schwammstadtprinzip bereits angewendet. Auch bei den kürzlich vorgestellten Neugestaltungen des Pratersterns oder der Thaliastraße wird es zum Teil eingesetzt werden. Dabei wird eine Schicht aus grobkörnigem Schotter sowie feineren, wasserspeichernden Materialien unterhalb von Asphaltflächen angebracht, was den Wurzeln mehr Platz gibt und dazu beiträgt, dass Regenwasser wie bei einem Schwamm besser gespeichert wird. Das interdisziplinäre Vorgehen zwischen Verkehrsplanung und Landschaftsarchitektur sei dabei zentral, erklärt Daniel Zimmermann von 3:0 Landschaftsarchitektur.

3. Bäume allein reichen nicht: Gesamte Stadt bei Hitzebekämpfung im Fokus haben

Ob die schon erwähnte Neugestaltung der Thaliastraße, des Pratersterns samt geplanten "grüne Rings" oder die Pflanzung von Bäumen am Neuen Markt: Sicherlich lohnt es sich, einzelne Straßen oder Plätze zu Grünzonen umzugestalten. Bei Stadterweiterungsgebieten wird durchaus auch Wert darauf gelegt, von vornherein klimafreundlich zu bauen und den öffentlichen Raum hitzereduzierend zu gestalten.

Klimaexperten warnen aber davor, neue Bäume als Allheilmittel zu sehen. Denn sie können die Luftzirkulation behindern und Windschneisen, die positiv für die Durchlüftung mancher Gebiete sind, im Weg stehen. Bei der Frage der künftigen Nutzung des Westbahnareals spielt das Thema der Frischluftschneise beispielsweise eine Rolle. Denn die kühle Luft aus dem Wienerwald wird auf diesem Weg bis in die inneren Bezirke transportiert. Eine Initiative setzt sich daher für die Errichtung eines Parks statt eines neuen Wohngebiets ein.

Wo Wien Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung quer über die ganze Stadt leben kann, ist bei Gebäudesanierungen. Durch thermische Sanierung gelingt es, Heizkosten zu sparen und den CO2-Ausstoß zu verringern. Die Stadtregierung hat im Koalitionsprogramm angekündigt, für Bauvorhaben wie diese weiterhin Förderungen zu vergeben.

4. Raus aus der Komfortzone und Experimente wagen

Mehr Grün in die Stadt zu bringen kann mitunter auch zu Verteilungskämpfen führen. Denn wenn weniger Beton und Asphalt zur Verfügung stehen, gibt es auch weniger Platz für motorisierten Individualverkehr. Doch die Regierenden dürfen vor diesen Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken. Um hochgesteckte Ziele wie etwa die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 50 Prozent bis 2030 zu erreichen, müssen auch entsprechende Maßnahmen gesetzt werden. Ulli Simas Vorgängerin als Planungsstadträtin, die ehemalige Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne), hatte mit Pop-up-Radwegen, also temporären Fahrradstreifen, versucht, einen Stimmungsumschwung in der Verkehrsnutzung zu erreichen. Eine Fortsetzung wird es 2021 nicht geben, obwohl eine neue Studie zeigt, dass aufgrund von Pop-up-Radwegen in ganz Europa mehr Menschen aufs Auto verzichten.

Platz da. Straßen können auch anders genutzt werden als für Autoverkehr.
Foto: Standard/Cremer

Doch nicht nur im Straßenverkehr ist Mut gefragt. Installationen wie eine in Graz geplante könnte auch in Wien zu einem Umdenken oder zumindest Aha-Erlebnissen führen. Im Mai wird in der steirischen Landeshauptstadt ein Klima-Kultur-Pavillon eröffnet, der den Wald in die Stadt bringt. Auf 100 Quadratmetern werden Bäume gepflanzt, ein kühles Waldklima wird mitten in der Stadt nachempfunden, um die Aufenthaltsqualität in der versiegelten Innenstadt zu verbessern und zum Nachdenken anzuregen. Die Initiatoren sehen in der temporären Installation ein künftiges Modell zur Kühlung von Stadträumen in heißen Sommern.

5. Stadt mit ökologischer Vorbildfunktion

Ein wichtiges Vehikel, um Grün in die Stadt zu bringen, ist die Bepflanzung von Fassaden und Dächern. Experten wie Gerold Steinbauer vom Innovationslabor GrünstattGrau sehen ein Potenzial von bis zu einem Viertel aller Gebäudefassaden in Wien, die begrünt werden könnten. Gerade diese Anwendungsform zeige, dass die Stadt bei der Begrünung mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Fast alle Fassaden der mehr als 2.000 Gemeindebauten könnten etwa von Pflanzen bewachsen werden. Die Umsetzung erscheint relativ unkompliziert. Auf dem Gehsteig werden Tröge platziert, die Pflanzen klettern von dort nach oben. Voraussetzung ist die ausreichende Breite des Gehsteigs.

Fassaden zu bepflanzen ist eine Möglichkeit, um Grün in die Stadt zu bringen.
Foto: Standard/Youssef

Der bürokratische Aufwand, wenn man eine solche Fassadenbegrünung initiieren will, soll ab sofort vereinfacht werden. Präsentiert wurde kürzlich eine All-in-one-Lösung namens BeRTA. Die Stadt unterstützt bei der Beantragung, Installierung und Finanzierung der Grünfassadenmodule. Bleibt noch die Frage, wer das Gießen übernimmt. Aber auch hier hat die Stadt eine Lösung parat. Wer nicht selbst zu Schlauch oder Gießkanne greift, kann ein Bewässerungssystem installieren. Der soziale Charakter fällt dann allerdings weg. Das wäre schade, denn er ist schon beim Urban Gardening der Weg zum Erfolg. (Rosa Winkler-Hermaden, 8.4.2021)