Obwohl sie seit Urzeiten zum engeren Haustierinventar der Menschheit zählen, haben Ziegen und Schafe nicht unbedingt das beste Image unter den Huftieren, zumindest was ihre Intelligenz betrifft – völlig zu Unrecht, wie bereits einige Untersuchungen zeigten. Ließe man die beiden beim Lösen von Problemen gegeneinander antreten, würde man freilich eher auf die Ziege wetten – und vermutlich nicht zum eigenen Schaden: Wenn es darum geht, sich auf neue Situationen einzulassen, haben Ziegen tatsächlich die Nase vorn. Im Vergleich zu den Schafen können sie sich deutlich schneller auf veränderte Begebenheiten einstellen und so zum Beispiel zu Nahrungsquellen gelangen, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Der Blick alleine sagt wenig über die Intelligenz seines Gegenübers.
Foto: AFP/DENIS LOVROVIC

Nahe Verwandte

Schafe und Ziegen haben viele Gemeinsamkeiten: Sie sind genetisch gesehen enge Verwandte, etwa gleich groß, haben ähnliche soziale Strukturen und werden beide vom Menschen als Nutztiere gehalten. Große Unterschiede gibt es aber bei der Nahrungssuche: "Während Schafe eher Weidetiere sind, streifen Ziegen umher und bevorzugen Knospen und frische Triebe", sagt Camille Raoult Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), die die Studie gemeinsam mit Christian Nawroth vom Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) geleitet hat.

"Die Fähigkeit, auf eine sich verändernde Umwelt zu reagieren, ist lebenswichtig, denn so können Tiere neue Nahrungsquellen erschließen", sagt Nawroth. Das Team wollte deshalb untersuchen, wie beide Tierarten auf neue räumliche Hindernisse reagieren. Der Versuchsaufbau der Studie war dabei relativ einfach: Jeweils ein Tier wurde an das Ende eines kleinen Geheges geführt. Am anderen Ende befand sich eine Person, die Futter anbot. Dazwischen war ein Zaun mit einer Lücke – der direkte Weg war jeweils versperrt.

Schneller ist auch clever

Die ForscherInnen beobachteten das Verhalten der Tiere, also ob sie direkt in Richtung der Lücke liefen, und stoppten die Zeit, die sie brauchten, um zu ihrem Futter zu gelangen. Nach einigen Durchläufen wurde die Position der Lücke im Zaun verändert. Anschließend sollten die Tiere den Versuch wiederholen. Insgesamt absolvierten 21 Ziegen und 28 Schafe das Experiment.

Bei dem Versuchsaufbau waren die Schafe vielleicht nicht die flexibelsten, in vertrauter Umgebung sind sie im Durchschnitt trotzdem schneller.
Foto: Katrina Rosenberger

Die im Fachjournal "Royal Society Open Science" erschienenen Ergebnisse: Den Ziegen gelang es im ersten Durchlauf mit der neuen Lücke deutlich besser und auch schneller, das Hindernis zu umlaufen, obwohl die Schafe bei vertrautem Parcours im Durchschnitt schneller ans Ziel gelangten. Sowohl Schafe als auch Ziegen waren aber von der neuen Position der Lücke zunächst irritiert und brauchten einige Versuche, um sich auf die neue Situation einzustellen. Anschließend machten sie weniger Fehler.

Mental flexibler

Die Versuche konnten nicht unter exakt identischen Bedingungen an beiden Standorten durchgeführt werden, sie zeigen aber trotzdem deutlich: "Ziegen können sich offensichtlich besser und genauer auf neue Situationen einstellen und die korrekte Richtung einschlagen, um das Hindernis zu umlaufen. Das spricht dafür, dass sie mental flexibler als Schafe sind", sagt Ko-Autorin Dr. Britta Osthaus von der Canterbury Christ Church University zusammenfassend. Ein möglicher Grund für die Unterschiede könnten die unterschiedlichen Strategien bei der Nahrungssuche sein, so die Forscherin. (red, 6.4.2021)