Natürlich könnte ich auch diese Woche wieder eine Sport-und-Corona-Debatte vom Zaun brechen. Und – zum Beispiel – Wiens Bürgermeister Michael Ludwig fragen, ob er die Verordnungen seiner eigenen Landesbehörden liest, bevor er sich dazu äußert. Denn unabhängig davon, wie man zur FFP2-Masken-Pflicht in diversen Wiener Freiluftzonen steht, ist es zumindest verwunderlich, wenn der Landeschef zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Maßnahmen (inklusive ihrer in §2 klar ausgewiesenen Ausnahmen) im ORF und in anderen Medien verkündet, dass diese Ausnahmen – auf die in der Landesverordnung ausdrücklich hingewiesen wird – nicht gelten.

Kennt der Mann die von ihm selbst – mit durchaus plausiblen Gründen – initiierten Regeln etwa nicht? Ignoriert er sie einfach? Oder glaubt er, sein Wort wiege mehr als niedergeschriebenes Recht? Hatten wir derlei nicht schon im ersten Lockdown, da allerdings vom Innenminister und vom Kanzler?

Foto: screenshot

Egal. Denn auch wenn mich ein paar Erzählungen über polizeiliches Einschreiten erreichten, bei denen die Exekutive behauptete, die im Gesetz festgeschriebenen Ausnahmen seien ungültig, ist meine persönliche Erfahrung eine ganz andere: Die paar Mal, in denen ich – freilich nicht zu Party-Stoßzeiten – in den letzten Tagen am Donaukanal gelaufen oder Rad gefahren bin, trug dort so gut wie niemand Maske. Nicht nur die durch Ausnahmeregeln de jure "Privilegierten", sondern auch sonst niemand: SpaziergängerInnen, Kinderwagenpersonal, Ufersitzer, Bäumeumarmer und Wasserbetrachterinnen, Trankler und Junkies, Pärchen, Picknick-"WG"s, und so weiter …

Muss man nicht verstehen. Und ganz ehrlich? Ich habe aufgegeben, hinter Maßnahmen, deren Sinn und Absicht ich ja wirklich nachvollziehen kann, angesichts der willkürlichen Nicht- oder Exzessiv-Exekutierung noch Logik oder System zu suchen.

Foto: thomas rottenberg

Stattdessen ziehe ich mich ins private Sport-Biedermeier zurück. Versuche, den Frühling, so gut es geht, zu genießen – und denke lieber nicht darüber nach, was dieser Sommer wohl bringen wird, wenn schon zu Frühlingsbeginn Menschenmassen abstandslos überall …

Aber: Stopp. Focus on the Good.

Denn sogar wenn man sich an die Regeln hält, kann man aus dem, was sportlich möglich ist, ein feines Maximum herausholen. Und erkennen, dass Schönes tatsächlich noch schöner wird, wenn man es teilt.

Und auch wenn mich Bekannte letzte Woche deshalb fragten, ob ich ein bisserl den Verstand verloren hätte, einen absoluten, aber noch nicht überlaufenen Lieblingsort gerade jetzt, wo er am allerschönsten ist, öffentlich zu besingen: Ja, das tue ich mit voller Absicht.

Foto: Barbara Strolz

Denn dass mir in den Tagen danach etliche Leute schrieben, (oder mich auf ihren Bildern von ebendort taggten), macht mich schon auch ein bisserl stolz: Die Kirschblüte bei der Friedenspagode am rechten Donauufer ist allem Anschein nach eben doch nicht nur für mich ein "Herzausreißeranblick". Gerade weil man solche Bilder nicht kaufen kann – genau solche Momente und Augenblicke aber so unendlich wichtig sind, um in Zeiten wie diesen nicht den Verstand zu verlieren. Nicht nur, weil man dann doch beginnt, über Verordnungen und ihre Anwendung nachzudenken, sondern auch aus 1.000 anderen Gründen.

Laufen, Bewegung ist für mich ein Antidot. Der Weg das Ziel. Aber wenn am Ende des Weges oder auf halber Strecke – dann noch ein Extraziel wartet, ist es umso feiner.

Foto: screenshot

Derlei zu teilen tut nicht weh. Ganz im Gegenteil.

Wobei mich da immer wieder erstaunt, wie viele Menschen Orte wie diesen noch nicht einmal bemerkt haben – obwohl sie alles andere als versteckt liegen.

So fragte mich eine Laufbekannte angesichts der Pagodenbilder, wo ich gerade Urlaub mache. Genauer: Wohin ich denn geflohen sei – und wie ich es geschafft hätte, in so kurzer Zeit (wir waren uns am Tag davor über den Weg gelaufen), so weit zu reisen: Ihr Bedarf "nach Traumorten wie diesem" sei größer denn je. Sie tippte, wenig überraschend, auf Japan.

Als ich ihr antwortete, dass sie auf ihren Prater-Medium- und -Longruns wohl schon tausende Mal nur ein paar hundert Meter an "Japan" vorbeigelaufen sei, kam ein "Verarsch mich nicht". Tags darauf ein staunendes Mail: "I owe you. Big." Nein, tust du nicht.

Foto: thomas rottenberg

Denn vom Teilen hat auch der Tippgeber – oder die Tippgeberin – etwas: Wer anderen ein Eck "seiner" Welt zeigt, muss dabei selbst hinschauen. Oft genug bedeutet das: wieder hinschauen. Und wenn man die Freude anderer Menschen spürt, passiert auch in einem selbst etwas. Zumindest geht es mir so.

Wenn die andere Person – früher bin ich hier gern mit Gruppen vorbeigekommen, das geht halt grad nicht – strahlt, dann gilt: "Mission accomplished." Erst recht, wenn die von mir "Angestifteten" dann Dinge und Details sehen, die ich bisher übersehen – oder schon vergessen – habe.

Foto: thomas rottenberg

Und wenn dann Bilder von mir vollkommen Unbekannten auftauchen, zu denen die UrheberInnen – hier das Musikerpaar Veronika Vitazkova und Joen Mikkel – anmerken, dass die Idee zu diesem Spaziergang … aber ich glaube, das hatten wir schon.

Foto: @joen mikkel

Natürlich können Sie jetzt anmerken, dass derlei mit Laufen an sich doch eigentlich nichts zu tun hat. Das stimmt natürlich.

Aber da ist noch etwas: Ziele motivieren. Und gerade bei AnfängerInnen oder WiedereinsteigerInnen ins Laufen, Radfahren oder Spazierengehen zieht der oben schon erwähnte Satz vom Weg, der das Ziel ist, nur bedingt: Wenn Sie da bei kaltwindigem Wetter – egal wie dramatisch-schön Sonne und Wolken miteinander spielen – einen Zwölf-Kilometer-Lauf vorschlagen, hat das durchaus auch Drohpotenzial: Das ist nicht nix.

Legen Sie aber ein Bild von der Kirschblüte an der Donau bei, schaut die Sache gleich ganz anders aus.

Foto: thomas rottenberg

Als Motivations-Boost würden bei vielen Menschen auch schon Bilder der Pagode an sich genügen. Nur sind wir alle Meister und Meisterinnen im Aufschieben von Unbequemem: Newtons Trägheitsgesetz ("Ein Körper, auf den keine Kraft wirkt, hat eine gleichbleibende Geschwindigkeit. Das heißt, ein kräftefreier Körper, der in Ruhe ist, bleibt in Ruhe") gilt auch für das Verlassen der Komfortzone: "Ja eh, voll gern. Bald. Mañana. Weißt, ich …" (Setzen Sie hier eine Ausrede Ihrer Wahl ein.) Die Kirschblüte aber ist ein guter Hebel: Die dauert nur ein paar Tage. Und wenn man sie versäumt, ist es wieder einmal für ein ganzes Jahr vorbei.

Und auch wenn der Weg hin oder zurück nicht ausschließlich "Kindergeburtstag" ist, ist das in der Regel ziemlich wurscht, sobald das Ziel erreicht ist.

Und: Ja, Pagode, Kirschblüte und Laufen sind hier – wieder einmal – Metaphern.

(Anmerkung: Danke an Isabella Lenk für dieses Bild ihrer Freundinnen-Osterrunde)

Foto: ©Isabella Lenk

Denn danach, beim legitimen Stolzdraufsein, beim Erzählen und Schwärmen, ist alles, was einen oder eine hätte bremsen, hindern oder abhalten können, kein Faktor mehr. Falsch. Es ist natürlich sehr wohl ein Faktor: All das macht die Freude, den eigenen Hintern in Bewegung gesetzt zu haben, umso größer.

Natürlich können Sie jetzt einwerfen, dass die Pagode, die Kirschblüte – und praktisch jedes andere Lauf-, Rad-, Spazier- oder Wanderziel in unseren Breiten – weder der Mount Everest noch ein Saturnmond sind. Dass das Erreichen solcher Ziele keine Großtat ist.

Stimmt. Aber: Na und? Darf man sich über Kleines, Nahes nicht auch freuen? Vor alle aber: Ersticken wir gerade wirklich an Möglichkeiten und Gelegenheiten, zu jauchzen und zu frohlocken? Falls das bei Ihnen so ist, gratuliere ich Ihnen von Herzen, beneide Sie – und bitte um sachdienliche Hinweise.

Foto: thomas rottenberg

Meiner – mein Hinweis für ein bisserl Freude – ist diese Woche eben die Kirschblüte bei der Pagode.

Dass er aufgegriffen wurde, ehrt und freut mich nicht nur – es erweitert auch meinen Horizont. Etwa weil da in einem Posting zu lesen war, dass die Kirschblüte hier wohl auch bedeute, dass es im Setagayapark wohl auch schon so aussehen müsse: Ich war – obwohl lebenslang Wiener – noch nie im "Japanischen Garten". Aber er steht schon lange auf meiner Liste. Mit der Bequemlichkeitsanmerkung "Irgendwann" – ich bin da nicht anders als viele andere.

Doch als ein paar Tage später bei einer Facebook-Bekannten, die ich allem Anschein nach zum Besuch der Pagode "angestiftet" hatte, Bilder des kleinen Döblinger Parks auftauchten, war klar, wo mich einer meiner nächsten Läufe hinführen wird.

Dafür bin ich dankbar. Weil Schönes schöner wird, wenn man es teilt – und Motivation zum Glück keine Einbahnstraße ist.

Foto: Dorn

Falls Sie noch nie bei der Friedenspagode waren, Lust bekommen haben, dort vorbeizuschauen, aber nicht wissen, wo sie ist: Wenn Sie auf der Tangentenbrücke nicht den Rad-, sondern den flussabwärts liegenden Fußweg nehmen, sehen Sie den Stupa. Etwa auf halbem Weg zum Kraftwerk.

Die Pagode ist mit dem Rad kinderleicht, zu Fuß immer noch angenehm zu erreichen. Pfeift der Wind so wie in den letzten Tagen knackig flussabwärts, empfehle ich den Hinweg auf dem Treppelweg, den Rückweg dann aber – über die kleine Brücke über die Bahngleise – durch den unteren Prater.

Eine Bitte noch: Die Pagode ist nicht nur ein schöner, sondern vor allem ein religiöser Ort. Benehmen und verhalten Sie sich bitte dementsprechend respektvoll.

(Tom Rottenberg, 6.4.2021)

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Foto: thomas rottenberg