Dass man sich überlegen sollte, was man von sich im Internet preisgibt, ist auch schon wieder ein alter Hut. Aber auch die Gründe zu einer durchaus überlegt erteilten Zustimmung können mit der Zeit von geänderten Umständen überholt werden. Eine 25-jährige Frau hatte einem Fotografen Aktaufnahmen gestattet und ihm die Veröffentlichungsrechte unwiderruflich und uneingeschränkt übertragen. Später jedoch untersagte sie die weitere Veröffentlichung der Fotos. Nacktfotos, so der Oberste Gerichtshof (OGH), betreffen regelmäßig den Kern der Persönlichkeit. Und da tut sich ein Konflikt auf: Einerseits gibt es das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person, und andererseits: Vertrag ist Vertrag, oder? In diesem höchstpersönlichen Intimbereich gibt der OGH ungeachtet einer einmal erteilten Veröffentlichungsermächtigung den Interessen der abgebildeten Person, auch wenn diese einem Berufsfotografen Modell gestanden ist, den Vorrang. Anders als bei sonstigen Fotos ist hier der Änderung in den Verhältnissen der Abgebildeten (die nun in einem "ganz normalen" Beruf in verantwortungsvoller Position arbeitete) Rechnung zu tragen.

Aber wir hatten ja in den letzten Blogbeiträgen über den Tod im Internet und dessen Rechtsfolgen gesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob auch nahe Angehörige des Aktmodells, wäre es verstorben, die weitere Veröffentlichung untersagen könnten. Eine Rechtsgrundlage dafür, dass Nachkommen das Lebensbild ihrer verstorbenen Vorfahren nach Belieben korrigieren könnten, gibt es nicht, mag ihnen einiges davon auch peinlich, vielleicht sogar hinderlich für ihr eigenes Fortkommen sein (beim Vorstellungsgespräch: "Echt, Ihre Mutter war Pornomodel?"). Nur dann, wenn bereits der Verstorbene Schritte unternommen hat, die eindeutig in Richtung eines Widerrufs einer erteilten Zustimmung gehen, und dessen Interessen überwiegend waren, wird auch den Nachkommen ein Recht auf Untersagung derartiger Veröffentlichungen zustehen.

Zustimmungen zu Nacktaufnahmen können in bestimmten Fällen widerrufen werden.
Foto: APA/AFP/GEOFFROY VAN DER HASSELT

Postmortale Persönlichkeitsrechte

Anders, wenn das Foto des Verstorbenen per se eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt. Ein Rechtsanwalt war verschwunden, erst später fand man seine Leiche, eine Website brachte ein Porträtfoto des Ermordeten in einer Fotomontage mit leicht bekleideten Frauen in lasziven Posen unter der Überschrift: "Dubiose Geschäfte. Russen-Anwalt: Spur ins Rotlicht." In den Ermittlungen der Polizei hatte es keine Hinweise auf eine Verbindung des Anwalts zum Rotlicht-Milieu gegeben. Der Vater klagte in allen drei Instanzen erfolgreich auf Unterlassung. Die Veröffentlichung wäre auch zu Lebzeiten des Toten rechtswidrig gewesen.

Hier geht es um das "postmortale Persönlichkeitsrecht". Das Persönlichkeitsrecht ist als höchstpersönliches Recht nicht übertragbar und unvererblich, dennoch kann es von nahen Angehörigen wahrgenommen werden. So beispielsweise auch von der Mutter des verstorbenen Marcus O., über den Jörg Haider im "Mittagsjournal"-Interview gesagt hatte: "Ich hätte mir gewünscht, dass ein Regierungsmitglied mal die Frage gestellt hätte, was hat denn dieser Drogenhändler, der da ums Leben gekommen ist, alles an unseren Kindern verbrochen, denen er die Drogen verabreicht hat? Denen er das Leben ruiniert hat." Eine Behauptung, die durch nichts erwiesen war. Dass mit dieser Äußerung über den Toten "sein Lebensbild nachhaltig negativ entstellt wurde", so der OGH, war offensichtlich, die Mutter machte zu Recht Ansprüche auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs geltend.

Schauen wir uns noch einen Foto-Fall an. Die Zeitung "Die Welt" und das Magazin "Focus" hatten Rezensionen eines Buchs über die Liebesaffäre Marlene Dietrichs mit dem Schriftsteller Erich Maria Remarque mit einem Nacktbild der Dietrich illustriert. Dietrich war zu diesem Zeitpunkt schon neun Jahre tot. Ihre Tochter erklärte, ihre Mutter habe Nacktaufnahmen stets abgelehnt – und klagte. Das Oberlandesgericht München sah in den Veröffentlichungen einen "schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht" des toten Filmstars und gab der Unterlassungsklage recht.

Korrekturbedürftige Online-Archive

Und wie ist das mit Nachrichten in Online-Archiven, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung korrekt waren, dies aber im Lichte nachfolgender Ereignisse nun nicht mehr sind? Dabei ist es ganz egal, ob von diesem Bericht eine noch lebende oder bereits verstorbene Person betroffen ist. Ein Beispiel: Der spätere Kläger war des Mordversuchs angeklagt, das beklagte Medium berichtete am Prozesstag und veröffentlichte dabei auch ein Lichtbild des Klägers, das ihn im Gerichtssaal in Handschellen anlässlich seiner Vorführung durch zwei Exekutivbeamte zeigt. Schon am darauffolgenden Tag wurde der Kläger freigesprochen – gute Nachrichten für ihn, keine für das Medium, das über den Freispruch nicht berichtete. Auch nicht in der Online-Ausgabe, in der der Artikel samt Foto in gleicher Art wie in der Printversion nach wie vor zum Abruf bereitgehalten wurde. Der OGH stellte klar, dass das passive Bereithalten von Berichten in Online-Archiven immer noch als Veröffentlichung zu werten sei, da jedermann zu diesem Archiv Zugang hat, "sofern er in der Lage ist, sich des Internets zu bedienen". Was, wie der Gerichtshof durchaus richtig erkennt, "auf einen stetig größer werdenden Anteil der Gesamtbevölkerung zutrifft".

Durch die fortlaufende Bereithaltung der seinerzeitigen Berichterstattung wird nicht nur an einen historischen Sachverhalt erinnert, sondern ein inzwischen unrichtig gewordener Eindruck aufrechterhalten – der dem tatsächlichen (nicht nur ausschnittsweisen) historischen Sachverhalt nicht entspricht! Weder sah der OGH ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse des Mediums, noch einen unzumutbaren Aufwand für dieses. Es müsse ja nur den zeitnahen Abschluss eines begonnenen Verfahrens beobachten. Hätte also das Medium diese Veröffentlichung überhaupt nicht weiter bereithalten dürfen? Doch, so der OGH, aber nur, wenn gleich und räumlich verbunden auf den Freispruch von der Mordanklage hingewiesen würde. Mit seinem Unterlassungsbegehren war der Kläger daher ebenso erfolgreich wie mit seinem Begehren auf Urteilsveröffentlichung.

Was bedeutet dies nun für den postmortalen Persönlichkeitsschutz im Internet? Dargestellt werden muss der komplette historische Sachverhalt, also das, was sich zeitnah zusammengehörig ereignet hat, wozu in unserem Beispiel Beginn und Ende der Hauptverhandlung gehörten. Nicht verpflichtet ist das Medium zur darüber hinausgehenden Recherche. Was aber die Frage aufwirft: Wenn es zwar nicht zur Recherche verpflichtet ist, muss es auf entsprechende Hinweise reagieren? Ja, wenn durch solche die Veröffentlichung einer historischen Teilwahrheit im obigen Sinn korrigiert werden soll. (Thomas Höhne, 8.4.2021)