Die künstlerische Nachstellung des Haiangriffs auf eine junge Seekuh zeigt, wie sich das Räuber-Beute-Verhalten der Meerestiere vor rund 15 Millionen Jahren im Steirischen Becken abgespielt haben könnte.

Illustr.: Universalmuseum Joanneum Graz

Was können wir heute noch sicher über das Leben vor Millionen von Jahren sagen? Während Fossilien vor allem Hinweise auf das Aussehen der Arten liefern, die einst die Erde bevölkerten, verraten sie nur wenig über das Verhalten dieser Lebewesen. Ein erstaunlicher Fossilienfund in der Steiermark trägt nun zu einem lebhafteren Bild des maritimen Alltags bei.

Im tropischen Meer, das sich vor rund 15 Millionen Jahren bis ins heutige Österreich erstreckte, ging es wie zu jeder Zeit ums Fressen und Gefressenwerden. Zu den ansässigen Raubtieren zählten Tigerhaie, die unter anderem Seekühe erlegt haben dürften, wie eine aktuelle Veröffentlichung eines österreichischen Forschungsteams unter Beteiligung des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien und des Universalmuseums Joanneum in Graz zeigt.

Ältester fossiler Beleg

Dabei geht es um den Fund fossiler Knochen einer jungen Seekuh, der dem Hobbypaläontologen Gerhard Wanzenböck 2012 in einem Steinbruch in Retznei (Südsteiermark) gelang. Es zeigen nicht nur die Rippen des Meeressäugetiers Bissspuren eines Raubtiers: Dieses hat auch sieben Zähne an Ort und Stelle verloren, die erhalten geblieben sind.

Diese charakteristischen Zähne verrieten den Räuber, einen Tigerhai der ausgestorbenen Spezies Galeocerdo aduncus. Auch sein Opfer konnte man als Metaxytherium medium identifizieren. Einige verwandte Arten der beiden tummeln sich noch heute in den Weltmeeren. Im Indischen Ozean lassen sich etwa rund um Australien Seekühe beobachten, die noch immer den futtertechnisch wenig wählerischen Tigerhaien zum Opfer fallen.

An den Seekuh-Knochen wurden Spuren von Tigerhai-Zähnen entdeckt und sogar einige der Zähne gefunden.
Bild: NHM Wien

Der Fund ist der älteste fossile Beleg der Räuber-Beute-Beziehung zwischen Tigerhaien und Seekühen, wie die beteiligten Forschenden im Fachblatt "Historical Biology" schreiben. Die Zahnspuren an den Knochen der nicht ausgewachsenen Seekuh dürften beim Verzehr des Kadavers entstanden sein und passen zu den Tigerhai-Zähnen, die – vermutlich von einem Individuum – ebenfalls dabei verloren und neben dem unvollständigen Skelett konserviert wurden.

Darauf deutet auch das durchgeführte Experiment hin, bei dem das Bissmuster in Ton nachgestellt wurde und das zu den Spuren an den Seekuh-Knochen passt. Damit ist gewissermaßen ausgeschlossen, dass die Zähne nur zufällig neben dem Skelett gelandet sind.

Außerdem wurde ein weiterer interessanter Fund im Paper erwähnt, der unabhängig von diesem Fossil ist, aber auch mit Haizähnen zu tun hat: Durch einen Zahnfund 2019 wurde erstmals ein Engelhai (Squatina, auch Meerengel genannt) im Steirischen Becken nachgewiesen.

Ausstellung in Graz

"Der Tigerhai hat sich die Zähne an der jungen Seekuh ausgebissen", sagt Iris Feichtinger, Paläontologin und Haispezialistin am Naturhistorischen Museum Wien. Sie leitete gemeinsam mit Ursula Göhlich die Fossilienanalyse am Naturhistorischen Museum, nachdem Norbert Winkler am Grazer Joanneum das Skelett aus dem Gestein präparierte.

Der langfristig dokumentierte Tod der Seekuh sei gleichzeitig ein Glücksfall für die Forschung: Solcherlei Funde "bieten einen seltenen Einblick in eine längst vergangene Welt und helfen dadurch, die Lebensweise ausgestorbener Tiere zu beschreiben und zu verstehen", so Feichtinger. Dieser Einblick wird Interessierten im kommenden Jahr vor Ort gewährt: Eine Sonderausstellung im Grazer Universalmuseum lädt zur Besichtigung dieser Fossilien ein. (red, 7.4.2021)