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Die "Queen Idia Mask" stammt aus dem Beutegut des britischen Kolonialkriegs gegen das Königreich Benin. Das British Museum verweigert seit 1977 die Rückgabe an Nigeria. Die Elfenbeinschnitzerei aus dem 16. Jahrhundert wurde daher zu einem wichtigen Symbol der panafrikanischen Bewegung.

Picturedesk / British Museum

In der Debatte um die Rückgabe kolonial belasteter Kulturgüter in die Herkunftsregionen hält sich ein Mythos vehement: nämlich der, dass es sich bei dem Thema um eine neue, gewissermaßen aus postkolonialer Political Correctness heraus entstandene "Modeerscheinung" handeln würde. "Die Provenienz völkerkundlicher Bestände ist ein relativ neues Thema", sagte etwa der deutsche Archäologe und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, noch im Jahr 2017. Als einer der drei Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums stand Parzinger mit im Zentrum der Debatte der letzten Jahre. Und er hätte es eigentlich besser wissen müssen.

Denn "fast jedes Gespräch, das wir heute über die Restitution von Kulturgütern nach Afrika führen, fand vor 40 Jahren schon einmal statt", schreibt Bénédicte Savoy in ihrem neuen Buch Afrikas Kampf um seine Kunst – Geschichte einer postkolonialen Niederlage (C. H. Beck). Die französische Kunsthistorikerin, die an der TU Berlin und am Collège de France in Paris lehrt, gilt als wichtigste Gegenspielerin zu in Restitutionsfragen unnachgiebigen Direktoren ethnologischer Museen.

2017 verließ Savoy den Beirat des Humboldt-Forums aus Protest gegen den dortigen Umgang mit dem Kolonialismus. 2018 verfasste sie mit dem senegalesischen Ökonomen und Philosophen Felwine Sarr im Auftrag von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron eine vielbeachtete Studie über kolonial belastetes Kulturgut und die Möglichkeit von Restitutionen. Seither ist die Debatte in aller Munde. Wieder wohlgemerkt, denn wie Savoy in ihrem akribisch in Zeitungs-, Museums- und Staatsarchiven recherchierten Buch darlegt, wurde die Debatte in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht nur schon einmal geführt, sondern war teilweise bereits weiter fortgeschritten als heute.

Bis vor die Uno und zurück

Von Beginn an stand im Dekolonisierungsprozess afrikanischer Länder das Wiederanknüpfen an abgeschnittene kulturelle Traditionen auf der Agenda. Und das in einem noch immer rassistisch durchdrungenen gesellschaftlichen Klima, in dem bis in die 1970er-Jahre medial von "Neger-Kongressen" geschrieben und die "Existenz einer ‚schwarzen Kultur‘" unter Apostrophierung angezweifelt werden konnte. Dennoch lagen den Europäern schon damals selbstbewusste Rückforderungsgesuche zahlreicher Staaten, darunter Nigeria, Zaire, Ghana, Kongo, Madagaskar, Kamerun, Mali oder Äthiopien, vor. Mehrfach landete das Thema vor der Uno und Unesco – 1973 kam es sogar zur Vorlage einer entsprechenden Resolution, die aber von allen ehemaligen Kolonialmächten sowie jenen, die mittelbar über den Kunstmarkt zulangten, darunter Österreich, abgelehnt wurde.

Großbritannien, größter Profiteur der kolonialen Aneignung, stellte sich von Anfang an weitgehend taub – und tut das bis heute. Museen in Frankreich, Deutschland, Belgien, Nordamerika und das Wiener Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum) spielten vor allem auf Zeit, wohlwissend, dass die Afrikaner irgendwann resignieren würden. Was schließlich auch geschah – tragischerweise gerade zu dem Zeitpunkt, als ihnen mit Griechenland in den 1980er-Jahren europäische Unterstützung zuteil wurde. Athen forderte aber auch seinerseits Rückgaben griechischer Antiken und lenkte die Debatte so unbeabsichtigt weg vom afrikanischen Sonderfall hin zum innereuropäischen Klein-klein.

Gezielte Falschinformation und Untätigkeit

Wie Savoy aufzeigt, wurde aber auch gezielt falsch gespielt: Museen verweigerten sich bewusst der umfassenden Inventarisierung und Provenienzerforschung, behielten lieber 90 Prozent "ihrer" Objekte im dunklen Depot, um nur keine Begehrlichkeiten zu wecken. Zum Einsatz kamen auch klassische Fake News: So wurde bei jeder Gelegenheit behauptet, es drohe der Verlust ganzer Sammlungen. Dabei bezogen sich die Forderungen damals wie heute in Wahrheit auf einige wenige Objekte, die von soziokulturellem Wert für die Ursprungsgesellschaften sind. Nie waren Forderungen überzogen oder hitzköpfig.

In Deutschland spitzte sich die Debatte schließlich auf ein Duell zwischen Direktoren mit prominenter NS-Vergangenheit, die Rückgaben vehement verhindern wollten, und einem jüngeren Kollegen, der 1968 sozialisiert wurde, zu: Herbert Ganslmayer, von 1975 bis 1990 Leiter des Bremer Überseemuseums, sah schon damals kaum belastbare Argumente, Restitutionen rundum zu verweigern, und setzte sich dafür ein. Von seinen Kollegen wurde er über Jahre hinweg regelrecht mundtot gemacht, indem man ihn etwa von wichtigen Kongressen fernhielt.

Bénédicte Savoy hingegen verließ selbst zur richtigen Zeit die falschen Gremien. Den Mund machte sie nicht zu, sondern weit auf. So weit, dass mittlerweile auch der eingangs zitierte Hermann Parzinger seinen "Willen zu Rückgaben" bekundete. "Nicht überstürzt", wie er freilich betont. Als ob man in 50 Jahren je etwas übers Knie gebrochen hätte. (Stefan Weiss, 7.4.2021)