Heinrich Himmler, Chef der Polizei und der SS im sogenannten "Dritten Reich".

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Der ehemalige SS-General und Gestapo-Chef von Wien, Franz Josef Huber, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Dies belegen am Montag veröffentlichte Recherchen der "New York Times" und des BR-Politmagazins "Report München". Der aus München stammende Huber war als Leiter der sogenannten Zentralstelle für jüdische Auswanderung für die Massendeportation der jüdischen Bevölkerung Wiens zuständig. Diese SS-Dienststelle wurde von Adolf Eichmann aufgebaut, der 1962 in Israel wegen seiner Verbrechen hingerichtet wurde.

Huber hingegen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Vorläufer des BND, der "Organisation Gehlen", als Agent angeworben – und war damit keine Ausnahme. Meist reichte es aus, ein strammer Antikommunist zu sein und über ein Netzwerk aus dem Krieg zu verfügen. Die Taten während des Krieges spielten kaum eine Rolle. Die Recherchen von "Report München" belegen, dass der BND Huber im Dezember 1955 anwarb, obwohl der Behörde die NS-Vergangenheit Hubers in allen Einzelheiten bekannt war. Er war bis mindestens 1967 beim BND. Unmittelbar nach dem Krieg war Huber den US-Amerikanern zu Diensten. Das war nicht ungewöhnlich, viele Nationalsozialisten hofften, so der Strafverfolgung oder kommunistischen und jüdischen Racheeinheiten zu entkommen. Eine Strategie, die funktionierte.

Wiener Polizist verhaftete Anne Frank

Für den BND beziehungsweise die Organisation Gehlen arbeitete auch der Wiener Polizist Karl Josef Silberbauer, der 1944 Anne Frank verhaftete.

Fotos von Anne Frank.
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Der SS-Mann galt als Verhörspezialist und wurde 1943 in die Niederlande versetzt. Das Mädchen hatte sich mit ihrer Familie und weiteren Juden und Jüdinnen in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt und dort ihr weltberühmtes Tagebuch geschrieben. Die Franks wurden 1944 verraten und in ein Konzentrationslager gebracht. Anne Frank starb im März 1945, kurz vor der Befreiung des KZ Bergen-Belsen, an Typhus.

Reinhard Gehlen wurde 1945 von den Amerikanern festgenommen. Der BND war ein Ableger der Organisation Gehlen, und diese entstand wiederum aus der von Gehlen geführten Wehrmachts-Spionage- Einrichtung "Fremde Heere Ost", die Erkenntnisse auch durch Folter von sowjetischen Kriegsgefangenen gewann.
Foto: Reinhard Gehlen, 1945 (vom United States Army Signal Corps angefertigte Fotos aus Gehlens Kriegsgefangenenakte)

Nach dem Krieg war der ehemalige SS-Oberscharführer Silberbauer in Wien wieder als Polizist tätig. Er wurde vom "Nazijäger" Simon Wiesenthal 1963 in der Hauptstadt aufgespürt. Ein gegen Silberbauer eröffnetes Verfahren wurde aber 1964 eingestellt, da er laut dem zuständigen Gericht auf Befehl gehandelt hatte. Silberbauer verstarb 1972. Von der Organisation Gehlen wurde er als bedeutende "Sonderverbindung" geführt. Silberbauer fungierte als Werber potenzieller Nachrichtendienstler in österreichischen NS-Kreisen.

Innenministerium arbeitet Geschichte auf

Der Fall Silberbauer sollte wohl auch das Innenministerium in Wien in den kommenden Monaten beschäftigen. Dort wird gerade damit begonnen, die Rolle der österreichischen Polizei im sogenannten "Dritten Reich" aufzuarbeiten. Bisher gibt es dazu kaum Forschungsergebnisse, so ist etwa die aktive Rolle des Wiener Polizeibataillons 322 am Holocaust nicht besonders ausführlich erforscht. Bei dieser Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im vergangenen Jahr angekündigt hat, soll auch die Rolle von NS-Polizisten nach 1945 berücksichtigt werden. In Deutschland arbeitet eine 2011 gestartete Historikerkommission die Geschichte des BND auf.

Kaum bekannt ist auch, wie viele ehemalige NS-Verbrecher für den BVT-Vorgänger Staatspolizei (Stapo) gearbeitet haben. Lediglich ein Fall ist bisher ansatzweise dokumentiert. Als der ehemalige Ex-Sturmbannführer der flämischen SS, Robert Jan Verbelen, im Jahr 1965 von einem Gericht in Wien freigesprochen wurde, gingen ehemalige Widerstandskämpfer und junge Antifaschisten zornig in der Wiener Innenstadt auf die Straße. Bei einer Demonstration in Antwerpen gingen Fensterscheiben des österreichischen Konsulats zu Bruch, die belgische Regierung berief den österreichischen Botschafter ein, und Zeitungen erklärten Österreich zu einem "Paradies für Kriegsverbrecher".

Informant und tief in der rechtsextremen Szene verwurzelt

Verbelen war nämlich 1947 von einem belgischen Gericht in Abwesenheit wegen 101-fachen Mordes zum Tode verurteilt worden. Er war bei der Ermordung von Angehörigen des Widerstands dabei. Verbelen tauchte 1945 in Österreich, wo er 1959 auch die Staatsbürgerschaft erhielt, auf und unter. Im April 1962 übermittelte Wiesenthal Informationen darüber an die Staatsanwaltschaft, und Verbelen wurde umgehend verhaftet. Belgien beantragte seine Auslieferung. Der Ex-Sturmbannführer verwies mit Erfolg auf seine österreichische Staatsangehörigkeit, und so musste er sich im November 1965 vor einem österreichischen Gericht verantworten. Das Gericht hielt ihn mehrerer Taten für schuldig, sprach ihn jedoch frei, da er auf Befehl gehandelt habe. Das oberste Gericht nahm den Freispruch zurück, jedoch musste Verbelen nie wieder vor Gericht erscheinen.

Bereits 1947 wurde Verbelen in den amerikanischen Geheimdienst CIC aufgenommen. Für die US-Amerikaner war er bis mindestens 1955 tätig. Später arbeitete er auch als Informant für die Staatspolizei. Verbelen galt als unverzichtbarer Informant über rechtsextreme Aktivitäten. Dabei half ihm wohl, dass er selbst tief im rechtsextremen Milieu verwurzelt war und Vorträge bei der FPÖ oder der 1988 verbotenen NDP hielt. (Markus Sulzbacher, 9.4.2021)