Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, dass etwa Lottowerbung Nichtspieler zum Glücksspiel verleitet.

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Kann durch die Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen die "schwarze" Serie im Glücksspielsektor beendet werden? Geht es nach dem für die Legistik im "Monopolwesen" zuständigen Finanzministerium, sollen neue Regelungen ab Herbst Verbesserungen bringen. Im Zuge einer von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) vorgestellten Glücksspielreform sollen im Herbst 2021 einige Änderungen über Aufsicht, Konzessionserteilung und Ausübung dieses Erwerbszweigs beschlossen werden. Als Kernstück gilt dabei eine neue unabhängige Konzessionsbehörde mit zwei Geschäftsführern; die Unabhängigkeit bei der Konzessionsvergabe soll künftig eine Art Richtersenat oder Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag sichern. Zwar bestehen auch gegen ein solches Organ Bedenken, weil richterliche Organe – so wie das derzeit zuständige Bundesverwaltungsgericht – Kontrolle ausüben und nicht Konzessionen in erster Instanz erteilen sollen. Aber hier fehlen noch die genauen Konturen der neuen Behörde, um sich eine abschließende Meinung zu bilden.

Umfassendes Werbeverbot droht

In einem Punkt scheint aber eine gewisse Glücksspielphobie durchzuschlagen, die zu einem – EU-rechtlich nicht verlangten – absoluten Werbeverbot führen könnte. Davon wären auch die jetzigen und künftigen Konzessionäre im Bereich Spielbanken und Lotterien betroffen. Aber auch die Werbewirtschaft und die Medien könnte ein Totalwerbeverbot im Glücksspielgesetz empfindlich treffen.

Eine derartige Regelung wäre aber in mehrfacher Hinsicht problematisch. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Rechtsprechung nicht verlangt, dass Werbung für Glücksspiele auf ein Minimum eingeschränkt oder ganz verboten werden soll, sondern stets darauf verwiesen, dass maßvolle Werbung sogar wichtig dafür ist, den "Spieltrieb in legale Bahnen zu lenken".

So wird man nicht zum Spieler

Anders als im Tabaksektor, wo eine eigene Werberichtlinie schrittweise die Marktkommunikation unterband, gibt es zudem für eine derartig rigide Maßnahme keine unionsrechtlichen Vorgaben. Spielsuchtexperten bezweifeln auch, ob Botschaften über einen Lotto-Jackpot oder Slogans wie "Glaub ans Glück!" wirklich geeignet sind, Menschen, die sonst nicht spielen würden, zu Spielern zu machen. Es besteht keine wissenschaftliche Evidenz darüber, dass der Hinweis auf ein Spielangebot, der mit werbetypischen Aussagen verbrämt wird, im Adressaten den Wunsch weckt, an einem Glücksspiel teilzunehmen.

Suchtexperten sehen aber plötzlich aufpoppende Internetangebote und die Kombination aus Lichtreizen, Akustik und Ambiente von Automaten als gefährlich an. In der Untersuchung von Werkzeugen für verantwortungsvolles Glücksspiel (Responsible Gaming Tools, also Werkzeuge für verantwortungsbewusstes Spiel) haben Psychologen von der Kent University dargelegt, dass die Gefährdung vor allem vor Ort in Spielsalons oder im Web besteht. Hier gibt es Anreizmodelle wie zum Beispiel Algorithmen, die bei Automatenspielern klimpernde Gewinne am Beginn ausspielen und auch andere Teilnehmer als den "Gewinner" motivieren sollen. Dagegen haben mediale Werbebotschaften keine nennenswerte Auswirkung auf Nichtspieler. Lotterien gelten überhaupt als harmloses Freizeitvergnügen, bei denen es in aller Regel nicht um nennenswerte Einsätze geht. Zudem weiß jeder Schüler, wie niedrig die Gewinnchance ist, einen "Sechser" zu tippen.

Absolutes Verbot wäre verfassungswidrig

Aus diesen Rahmenbedingungen lassen sich Schlüsse auf die sinnvolle Gestaltung von Werberegulativen – so diese überhaupt nötig sind – ziehen; ein absolutes Verbot wäre hingegen verfassungswidrig, da es sowohl Erwerbs- als auch Kommunikationsfreiheit unverhältnismäßig einschränkt. Zudem ist die mangelnde Erforderlichkeit hervorzuheben: Fehlt für ein Werbeverbot die Grundlage im EU-Recht, so fragt es sich, von welchen Beweggründen sich der nationale Gesetzgeber leiten lässt, um das anerkannte öffentliche Interesse am Schutz der Spieler und an der Einschränkung des gefährlichen Spielverhaltens (Eindämmung von Spielsucht) zu erreichen.

Die Rechtsprechung von EuGH oder nationalen Höchstgerichten ist es jedenfalls nicht, die eine Einschränkung verlangt. Im Gegenteil, der EuGH hat, wie zum Beispiel das Urteil vom 15.9.2011, Dickinger und Ömer, C-347/09, zeigt, den Mitgliedsstaaten eine monopolartige Struktur erlaubt und räumt in der Zielverfolgung eines "besonders hohen Schutzniveaus" (Rz 48) den Staaten ein, Maßnahmen gegen allzu hohe Spielausgaben oder Suchtanreize zu treffen. Eine solche, höchst effiziente Maßnahme liegt in der Limitierung von täglichen Einsätzen, die aber auch nicht in eine lächerliche Grenze gefasst werden dürfen, da sich sonst nach der Meinung der Experten für Responsible Gaming Tools die Spieler in den illegalen Bereich abdrängen lassen, weil sie ihrer Neigung legal nicht nachgehen können.

"Legales Angebot" laut EuGH wichtig zur Spielreduktion

Und hier ist ein weiterer Aspekt der EuGH-Judikatur von Bedeutung. Der EuGH ist nämlich sogar der Ansicht, dass es zulässig ist, das Augenmerk der Spieler auf legale Angebote zu lenken (EuGH 8.9.2009, C-42/07). Daher sollt ein Mitgliedsstaat Glücksspiele bewerben lassen, um Spieler auf diese Angebote hinzuweisen – und so das Spiel zu regulieren; ein Verbot an die Konzessionäre wäre demnach kontraproduktiv, weil im Internet dann nur mehr illegale, konzessionslose Anbieter mit raffinierten Mitteln ihre "links" anbieten würden. Dass diese Gefahr manifest ist, zeigt der kriminologisch fachkundige Autor G. Burkert im Frühlingsheft des Periodikums "Öffentliche Sicherheit" unter dem Titel "Millionen ohne Konzessionen (ÖS 3-4/2021, 13 ff); demnach beträgt der Bruttospielertrag illegaler Anbieter fünfmal so hohe Summe wie jener des einzigen in Österreich konzessionierten Anbieters Win2day (dort circa 95 Millionen Euro, bei anderen Anbietern der Grauzone aber über 300 Millionen Euro).

Zwar können IP-Blocking und andere Maßnahmen helfen, dass das Recht zur Ausspielung dem Konzessionär (hier die Österreichischen Lotterien) auch wirklich vorbehalten bleibt; aber es wird niemals gelingen, das "schrankenlose" Internet und das düstere "Darknet" wie das Lebendspiel zu reglementieren. Zu bedenken ist auch, dass die eher harmlosen Botschaften heimischer Anbieter (früher etwa "Casinos – das Erlebnis"; Marktkommunikation Glücksmomente für Pferdeflüsterer und so weiter im Zusammenhang mit sozialen Engagements der Österreichischen Lotterien heute) der heimischen Werbewirtschaft und den Printmedien zugutekommen.

Opfer wären Medien und Werbeagenturen

Die wahren Opfer eines Werbeverbots wären vor allem die Medien und die Werbeagenturen sowie sonstige Angehörige der Wirtschaftskammer-Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation; diese Fachgruppe hat übrigens eine (auf Studien dieses Autors von 2001 zurückgehende) Übersicht über hunderte Beschränkungen der Werbung veröffentlicht, die schon jetzt größtenteils fragwürdig oder sogar verfassungswidrig ist, da Werbung für legale Angebote, zum Beispiel für Kontaktlinsen durch Optiker, nicht verboten werden darf (siehe schon VfSlg 10.417/1985). Im Lichte dieser Judikatur stünde das Verbot an legale Anbieter, ihre Spiele zu bewerben, im Spannungsverhältnis zur Erwerbsfreiheit des Art 6 StGG. Anderes gilt allenfalls für verbotenes Inverkehrbringen von Produkten oder den Versandhandel, der partiell (zum Beispiel rezeptpflichtige Arzneimittel) nicht beworben werden darf (8VfSlg 14.963/1997; Mand, wrp 2003, 47).

Es gibt zwar Stimmen, die behaupten, dass die Dienstleistungsfreiheit des Unionsvertrags (AEUV) schon jetzt wegen der angeblich "exzessiven Werbung" der heimischen Anbieter bewirkt, dass Regelungen des GSpG 1989 unanwendbar blieben (Kletečka, ecolex 2021/131); allein für diese Auffassung liefert die Rechtssprechung keine Anhaltspunkte (siehe zum Beispiel OGH 22.11.2016, 4Ob 162/1a).

Daher sollte verantwortungsbewusste Werbung für legale Glücksspiele nicht verboten oder eingeschränkt werden. Diese Restriktionen treffen die Falschen, nämlich Tageszeitungen, Printmedien und den Sport- und Kulturbereich, ohne suchtkranken Spielern zu helfen. (Gerhard Strejcek, 8.4.2021)