Nach Monaten an Gerüchten und einer jahrelangen Abwärtsspirale hat der koreanische Elektronikkonzern LG vor wenigen Tagen bekanntgegeben, was viele Beobachter kaum noch überrascht hat: Das Unternehmen zieht sich aus dem Smartphonemarkt zurück und löst seine Mobile-Abteilung auf.

Damit verabschiedet sich einer der ersten Anbieter von Android-Handys, der lange auch recht erfolgreich unterwegs war. Doch die Smartphone-Geschichte von LG begann – je nachdem, wie man ein Smartphone definiert – schon, bevor Google sein mobiles Betriebssystem ins Rennen schickte. Wir werfen einen Blick zurück auf die wichtigsten und interessantesten Geräte.

Foto: Andrew*/Wikimedia Commons

LG Prada

Als, zugegeben etwas willkürlicher, Einstiegspunkt dient das Jahr 2007. Damals brachte LG sein Modell KE850, vulgo "Prada", in den Handel. Bemerkenswert ist es besonders in einer Hinsicht: Es brachte einen kapazitiven 3-Zoll-Touchscreen mit. Ein Feature, für welches das erste iPhone im gleichen Jahr viel Lob einheimsen sollte. Im Gegenteil zu den bis dahin dominanten resistiven Touchscreens lassen sich solche Bildschirme problemlos mit Fingern nutzen, anstatt hauptsächlich einen Eingabestift verwenden zu müssen. Da volle Potenzial holte man allerdings nicht heraus. Da mangels Multitouch immer nur ein Finger erkannt wurde, mussten Nutzer auf verschiedene praktische Gesten wie Pinch-to-Zoom verzichten.

Die restliche Ausstattung war für damalige Verhältnisse recht gut. Es gab 8 MB Speicher plus Micro-SD-Slot, Bluetooth 2.0 und einen austauschbaren 800-mAh-Akku, der per USB geladen wurde. Dazu gesellte sich eine Kamera mit 2 Megapixel Auflösung und Autofokus. Verzichtet werden musste jedoch auf WLAN, GPS und mobiles Breitband, die Onlineanbindung war nur über 2G (EDGE) möglich. Programme auf Java-Basis waren nachträglich installierbar. Diese Erweiterbarkeit war jedoch nur überschaubar nützlich, da es an Auswahl fehlte, die für Touchscreens optimiert war. Dementsprechend musste man sich hauptsächlich mit der vorinstallierten App-Auswahl begnügen, die auch ein paar Spiele enthielt.

LG Eve / Intouch Max.
Foto: LG

LG Eve

Nach kurzen Experimenten mit der Touch-Ausgabe des lange vorherrschenden Symbian-Systems setzte LG ab November 2009 auf Googles Android. Das erste Handy, das damit ausgerüstet war, war das LG Eve (GW620), das auch unter dem Namen Intouch Max verkauft wurde. Zwar machte man hier einen Rückschritt zu einem resistiven Touchscreen, dafür verfügte das Gerät aber – wie einige der ersten Android-Handys – über eine ausziehbare Tastatur.

Vorinstalliert war Android 1.5 "Eclair", später folgte ein Update auf Version 2.2 "Froyo". Unter der Haube hatte man aufgerüstet. WLAN und 3G waren nun auch an Bord, der Speicher war auf immerhin 150 MB (ebenfalls mit möglicher Micro-SD-Erweiterung) angewachsen. Fotos konnten nunmehr mit 5 Megapixel geschossen werden, und der Akku war mit 1.500 mAh fast doppelt so stark.

Vor allem aber: Nutzer hatten nun Zugriff auf eine stattliche und stetig wachsende Auswahl an Apps aller Art, die Google über seinen Android Market verfügbar machte. Heute kennt man den Service unter dem Namen Play Store.

Das Optimus 7.
Foto: LG

Windows Phone

Im September 2010 versuchte schließlich Microsoft, sich mit einer neuen mobilen Plattform ins Spiel zu bringen. Windows Phone 7 folgte auf Windows Mobile. Bei LG beschloss man, sich darauf einzulassen. Beginnend mit dem Optimus 7 veröffentlichte man vier Modelle (Optimus 7, Optimus 7Q, Jil Sander Mobile, Quantum) – und ließ es dann wieder sein.

Windows Phone 8.1 gab man 2015 mit dem Einsteigerhandy LG Lancet eine Chance. Das Modell wurde drei Monate später aber schließlich auch als Android-Version veröffentlicht. Windows 10 Mobile ließ man ganz aus.

LG Optimus G.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Die Optimus-Reihe

Apropos Optimus: Unter diesem Namen vermarktete LG seine erste Android-Handy-Reihe, die im Massenmarkt relevant wurde. Neben "Mainstream"-Handys mit solider Ausstattung führte man unter diesem Label auch Highend-Geräte. Das Optimus 2X (2011) war etwa das erste Smartphone überhaupt, das einen Dualcore-Prozessor mitbrachte. Das mag nach heutigen Gesichtspunkten, in denen selbst die günstigen Einsteigerhandys zumindest mit vier Rechenkernen arbeiten, mickrig wirken, doch der Schritt von Single-Core-Plattformen zu Multicore-Architektur ist auf technischer Ebene durchaus sehr signifikant. Und das Optimus 3D lieferte ein namensgebendes 3D-Display. Dieses Gimmick sollte sich auf Smartphones ebensowenig durchsetzen wie auf Fernsehern.

Auch das erste Quadcore-Smartphone (Optimus 4X HD, 2012) kam aus dem Hause LG. Es bereitete den Weg für ein Handy, das seinerseits den Startschuss zu LGs größten Erfolgen, aber auch schmerzlichen Fehlschlägen geben sollte: das Optimus G. Ausgerüstet mit Qualcomms Snapdragon S4 Pro, dem Vorläufer der heutigen Snapdragon-800-Serie, bot es nicht nur ordentliche Performance, sondern auch Softwarefeatures wie Q Slide, eine der ersten fensterbasierten Multitasking-Möglichkeiten unter Android.

Nexus 4.
Foto: DER STANDARD/Proschofsky

Das Handy fand viel Beachtung und erntete gute Rezensionen. Und es eröffnete auch den Beginn der Kooperation mit Google, denn der Gutteil der Hardware des Optimus G landete auch im Nexus 4. Die Nexus-Reihe diente Google einst als Vorzeigeprojekt für die Kapazitäten von Android und war bei vielen beliebt, weil sie neben "purem" Android und regelmäßigen Updates starke Hardware für wenig Geld brachte. Bloß mit der Verfügbarkeit sah es außerhalb der USA oft mau aus.

Erfolge mit der G-Serie

Der Erfolg des Optimus G schien LG zu einem Rebranding ermutigt zu haben, denn der Nachfolger kam als LG G2 auf den Markt – und begründete damit eine Serie, die dem Unternehmen zunächst seine größten Erfolge im Smartphone-Geschäft bescheren sollte. Das G2, ausgerüstet mit dem Snapdragon 800, vereinte starke Hardware mit einem eher gewöhnungsbedürftigen Interface, das mit Bedienelementen überladen war und ein Mischmasch aus grafischen Stilen bot. Dennoch stieß auch dieses Handy auf positive Resonanz und durfte abermals für eine Google-Adaption in Form des Nexus 5 Modell stehen.

Es folgten das G3 (2014), erneut ein starkes Smartphone, das die eigene Performance aber mit unter damaligen Gesichtspunkten enorm hoher Quad-HD-Auflösung (2560 x 1440 Pixel) gelegentlich etwas überforderte. Immerhin begann man, sich mit Oberflächenanpassungen wieder stärker zurückzuhalten. Und in Summe war es wieder ein gutes Paket. Das gilt auch für das G4 (2015), das sich noch stärker auf die Kamera fokussierte und vom STANDARD gar zum Foto-Champion seiner Generation gekürt wurde. Im gleichen Jahr folgte die letzte Kooperation mit Google in Form des Nexus 5X.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Nebenbei versuchte man sich immer wieder an Experimenten, etwa dem G Flex, einem gebogenen Smartphone mit "selbstheilender" Rückseite. Ein weiterer, durchaus lobenswerter Versuch zur Innovation entwickelte sich allerdings zu einem nachhaltigen Fehlschlag.

Tiefer Fall nach dem G5

Google hatte ehrgeizige Pläne zur Entwicklung eines modularen Smartphones ("Project Ara") ausgerufen und seit 2014 einen veritablen Hype um das Konzept losgetreten. Einige Hersteller überlegten den Einstieg oder reichten einschlägige Patente ein. LG versuchte gleich, Nägel mit Köpfen zu machen, und verpasste dem G5 einen Moduleinschub. Mit entsprechenden Steckmodulen sollte das Handy sich etwa wie eine Kompaktkamera verwenden lassen oder zu einem vollwertigen Lautsprecher werden. Außerdem ließ sich der Akku wieder tauschen. Das theoretische Potenzial realisierte man aber bei weitem nicht, die Module wurden teils erst verspätet oder gar nicht verfügbar – und Dritthersteller zeigten kein Interesse. Dazu schwächelte das Handy in Sachen Akkulaufzeit.

Das Timing war außerdem ungünstig, denn just um diese Zeit herum fiel Project Ara in sich zusammen. Zu einem geplanten Testlauf eines modularen Handys kam es nicht und intern, so verrieten später Insider, wurde die weitere Entwicklung auf Eis gelegt. Der Traum vom vollmodularen und aufrüstbaren Handy versank ähnlich schnell, ebenso wie die Verkaufszahlen für das LG G5, die übereinstimmenden Berichten nach enorm schwach waren.

Mit dem G6 kehrte man wieder zu einem "traditionellen" Konzept zurück, doch nachhaltige Erholung sollte nicht gelingen. Dazu trugen auch strategische Fehlentscheidungen bei. Das G6 war zwar insgesamt ein gutes Smartphone, der direkten Konkurrenz von Samsung und Co aber immer einen Schritt hinten nach – kostete aber trotzdem gleich viel. Ähnliches lässt sich dem G7 und G8 attestieren, denen auch der "Thinq"-Zusatz zur Signalisierung von KI-gestützten Features nicht aus der Patsche helfen sollte. Dass man sich auch noch zu Recht den Ruf einhandelte, bei Updates langsam und unzuverlässig zu sein, half dem Streben nach größeren Marktanteilen auch nicht.

LG G5.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Parallel führte man schließlich die V-Reihe ein, deren relevantes Alleinstellungsmerkmal bis heute nicht zu sehen ist. Dass man die G-Serie als einstiges Zugpferd im vergangenen Jahr offiziell beerdigte, darf rückblickend als deutliches Omen für das nahende Ende der LG-Smartphone-Entwicklung gesehen werden.

Das letzte große Experiment: LG Wing.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Bis zuletzt allerdings versuchte man Optimismus zu versprühen. Als LG etwa in Österreich das Wing mit seinen zwei Displays und dem 90-Grad-Ausziehmechanismus vorstellte, hieß es noch, dass man sich langfristig den Experimenten mit neuen Formaten verschrieben habe, um sich für eine erfolgreichere Zukunft zu rüsten. Im Test erwies sich das Handy als spannend, aber definitiv noch nicht massenkompatibel. Kurz davor hatte LG auch ein ausrollbares Handy patentiert und soll auch an einem eigenen, faltbaren Handy gearbeitet haben.

LGs neuere Flaggschiffe waren durchaus gut. Aber nicht so herausragend, dass man – speziell mit einem deutlich geringeren Marketingbudget, als es etwa der ebenfalls koreanische Branchenriese Samsung hat – damit in einem gesättigten Markt scharenweise Nutzer von anderen Anbietern weglocken konnte. Auch im Mittelklassesegment wurde man überrollt, sowohl von Samsung als auch von erstarkender chinesischer Konkurrenz. Selbst am eigenen Heimatmarkt büßte man immer weiter Marktanteile ein, was die Konzernführung nun die Reißleine ziehen lies. Man sucht sein Heil nun in Bereichen, in denen man in den vergangenen Jahren wachsen konnte. In Sachen Innovationsbereitschaft hinterlässt das eine Lücke in der Android-Welt, die hoffentlich bald von anderen Anbietern gefüllt werden kann. (Georg Pichler, 10.4.2021)

Update, 14:10 Uhr: Das "V" in der V-Serie von LG steht nicht für "Velvet". Das LG Velvet ist ein separates Modell. Der Text wurde an der entsprechenden Stelle berichtigt.