Zum Abriss verurteilte Pfahlhäuser im August 2019. Sie sind größtenteils bereits beseitigt. Die Besitzer mussten die Kosten selbst tragen.

Foto: Gregor Mayer

Der Blick schweift über unansehnliche Stoppelfelder, über hässliche Erdfurchen, gezogen von schwerem Gerät, und über Lacken mit braunem Wasser. Wo einst der Strand war, türmen sich Kiesberge, stehen Lkws aufgereiht auf Abruf bereit. Ein Fahrzeugkran wartet am Ufer auf seinen Einsatz.

Am ungarischen Abschnitt des Neusiedler Sees haben zu Jahresbeginn die Bauarbeiten für die Errichtung eines großangelegten Hotel- und Freizeitareals begonnen. Das Baugelände ist seit Monaten abgesperrt. Das kleine Strandbad und der kleine Hafen, die dem Bauprojekt weichen müssen, dürfen Anwohner und Tagesgäste schon seit zwei Jahren nicht mehr nutzen.

Der Blick über die inzwischen abgemähten Schilffelder, über die neue Baustelle, ist dem Auge einer Drohne geschuldet. Gesteuert hat sie ein junger Mann aus der nahen Stadt Sopron, der hier aus gutem Grund ungenannt bleiben möchte. In Ungarn gilt das Gesetz des populistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Es verbietet, dass Drohnen über die Liegenschaften seiner Oligarchen fliegen.

Zerstörter Kindheitstraum

DER STANDARD sah das Drohnenvideo, und jemand hat es inzwischen in der Facebook-Gruppe "Freunde des Neusiedlersees" gepostet. Er habe seine Kindheitssommer am Ufer des Neusiedler Sees bei Fertörákos verbracht, erzählt der Drohnenpilot. "Sie zerstören meinen Kindheitstraum", stellt er bitter fest. "Sie", das ist die staatliche Entwicklungsgesellschaft Sopron-Fertő Turisztikai Fejlesztő Nonprofit Zrt. (Tourismus-Entwicklungsgesellschaft Sopron – Neusiedler See), die die Bauarbeiten projektiert.

Generalunternehmer ist eine Firma des Oligarchen Lőrinc Mészáros, eines Kindheitsfreundes von Orbán. Seinen sagenhaften Reichtum hat er Aufträgen zu verdanken, die er seit 2010 lukrierte, dem Beginn der Herrschaft Orbáns. Die Gesellschaft hängt wiederum an der Ungarischen Tourismusagentur MTÜ, der Orbáns Tochter Ráhel "beratend" zur Seite steht. Manche glauben, dass die entstehenden Objekte später ihr oder ihrem Ehemann, dem Jung-Oligarchen István Tiborcz, zugespielt werden sollen.

Direkt am Seeufer

Gebaut werden ein Hotel mit 100 Zimmern – den Plänen zufolge ein fantasieloser Betonklotz –, 26 Bungalows, Yachthäfen, Sportanlagen und ein Parkplatz für 880 Autos. Hotel und Bungalows werden unmittelbar am Seeufer stehen. Der Neusiedler See und sein Umland in Ungarn und Österreich gehören zu Nationalparks. Bestimmte Zonen wie das Ufer bei Fertőrákos können mit Bedacht wirtschaftlich genutzt werden.

Béla Kárpáti, der Leiter der Entwicklungsgesellschaft, empfängt unter Berufung auf die Corona-Pandemie keine Journalisten. Stattdessen beantwortet seine Pressestelle Fragen per E-Mail. "Das Entwicklungskonzept folgt dem Muster der benachbarten österreichischen Urlaubs- und Freizeitanlagen", heißt es darin. In Österreich sei das Seeufer über die Jahrzehnte beständig entwickelt worden, in Ungarn sei das nicht der Fall gewesen. Man hole da lediglich gegenüber Österreich auf. In Broschüren und Internet-Auftritten bewirbt die Gesellschaft das Projekt als "Zuhause der Erlebnisse".

Weitflächige Rodungen

Der Umweltexperte Zoltán Kun sagt, dass die angestrebte wirtschaftliche Nutzung weit über das hinausgehen wird, was für einen Nationalpark zulässig wäre: "Man hätte Strand und Hafen modernisieren können." Und er fügt hinzu: "Aber es kann nicht sein, dass man im Inneren eines Nationalparks ein Hotel, Tennisplätze, ein Sportzentrum und einen Parkplatz für 880 Autos errichtet." Schilf, das zum Ökosystem gehört, werde weitflächig gerodet. Läuft die Nutzung der Anlagen an, werde sich das Pkw-Aufkommen zumindest verdreifachen – im Vergleich zum letzten Sommer mit freiem Zugang 2018.

Dem Projekt werden auch die idyllischen strohgedeckten Pfahlhäuser geopfert, die bisher das stimmige Erscheinungsbild des ungarischen Ufers des Neusiedler Sees prägten. Ihre Besitzer sind ungarische Staatsunternehmen und Privatpersonen aus Österreich und Ungarn. Für die Wasserflächen unter den Häusern hatten sie langjährige Pachtverträge mit dem ungarischen Nationalpark. Diese wurden ihnen gekündigt. Doch nicht nur das. Anfang des Jahres flatterten den Privatleuten Schreiben der Stadtverwaltung zu, dass sie ihre Häuser auf eigene Kosten abzureißen hätten.

Ärger ersparen

Die Schreiben waren in herablassendem, drohendem Ton verfasst. Die gesetzte Frist läuft um den 20. April herum ab. Eine Gruppe von österreichischen Pfahlhausbesitzern hat sich bereits gefügt und den Abriss in Auftrag gegeben, andere stehen kurz davor. "Man hat uns das Anbot einer ungarischen Firma zukommen lassen, unser Haus für 100.000 Euro abzutragen", sagt einer von ihnen. "Ich fand eine Firma, die es für 30.000 Euro machen würde." Er neige nun dazu, diese Firma zu beauftragen. Seine Familie wolle weiteren Ärger mit den Anwälten ungarischer Behörden und möglicherweise langwierige und kostspielige Prozesse vermeiden.

Eine andere Pfahlhausbesitzerin, die Sopronerin Andrea Gyuricza, will sich hingegen den Drohungen nicht beugen. Sie und ihre Familie reißen nicht ab. Es könne nicht sein, dass die Potentaten des Landes mit den Staatsbürgern umspringen, wie sie wollen. "Wir stehen das durch", meint sie. "Das ist eine Frage des Anstands." (Gregor Mayer aus Fertőrákos, 8.4.2021)