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"Achtung, Scharfschütze" – ein Kämpfer der "Volksrepublik Donezk an der Frontlinie.

Foto: REUTERS/ALEXANDER ERMOCHENKO

Die Kriegskakofonie wird lauter – auf beiden Seiten der Konfliktlinie: 14 Waffenstillstandsverletzungen durch die Separatisten und zwei Tote vermeldete das ukrainische Verteidigungsministerium am Mittwoch in seinem Frontbericht für die vergangenen 24 Stunden. Die eigenen Truppen seien aus großkalibrigen Waffen beschossen worden, darunter aus Minen- und panzerbrechenden Granatwerfern. Ein ukrainischer Soldat sei durch den Beschuss ums Leben gekommen, ein weiterer durch eine Sprengfalle getötet worden, so die Pressemitteilung.

Auf der Gegenseite klagte auch der Chef der selbsternannten "Donezker Volksrepublik" (DVR), Denis Puschilin, über die wachsende Anzahl der Beschüsse. Seit Jahresbeginn habe sich die Zahl der Waffenstillstandsverstöße gegenüber dem letzten Quartal 2020 verdoppelt, sagte er.

Berichte über angebliche Drohne

Zusätzlichen Zündstoff bietet der Tod eines Fünfjährigen aus der Ortschaft Alexandrowski auf dem Gebiet der DVR. Der Bub kam beim Spielen im Garten durch eine Explosion ums Leben. Die Versionen über die Ursache gehen auseinander. Während ukrainische Medien darüber spekulieren, dass das Kind beim Spielen mit Munition, die in der Garage seines Großvaters lagerte, tödlich verunglückt sei, wird in russischen Medien die von der Separatistenführung in Donezk vorgegebene Version verbreitet: Demnach wurde der Bub Opfer einer Drohne, die gezielt Sprengstoff abwarf.

Zwar haben die OSZE-Beobachter das Vorhandensein einer Drohne nicht bestätigt, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Geschichte trotzdem glaubwürdig.

Diese emotionale Komponente birgt massive Gefahren – zumal beide Seiten einander vorwerfen, massiv Truppen im oder nahe dem Konfliktgebiet zu konzentrieren. Laut Puschilin habe die Ukraine so viel Technik an der Frontlinie aufgefahren, dass alles auf einen bevorstehenden Großangriff hindeute.

Panzer an der Grenze

Das russische Außenministerium sprach von einer Provokation vonseiten Kiews und seiner "westlichen Protektoren". Auch Deutschland und Frankreich nahm Außenminister Sergej Lawrow aus seiner Kritik nicht aus. Diese müssten schon energischer auf die ukrainische Führung einwirken, um sie zur Vernunft zu bringen, forderte der russische Chefdiplomat.

Dabei gibt es auch Vorwürfe gegen Moskau. Videoschnipsel und Augenzeugenberichte belegen eine massive Verlegung von Panzern und Soldaten an die russisch-ukrainische Grenze. Unter anderem wurde dort die schon öfter in solchen Krisen eingesetzte Fallschirmdivision aus dem nordwestrussischen Pskow gesichtet. Investigativjournalisten des Conflict Intelligence Teams sprechen von der höchsten Truppenkonzentration der Russen in dem Gebiet seit 2015.

Höchste Zeit für Verhandlungen

Eigentlich wäre es unter diesen Umständen allerhöchste Zeit für Verhandlungen. Doch zumindest in Minsk will die Ukraine nicht mehr weiterreden. In der Hauptstadt von Belarus (Weißrussland) wurden 2014 und 2015 die Abkommen geschlossen, die zu einer politischen Lösung des Konflikts führen sollen, bislang allerdings stets an der unterschiedlichen Lesart der Kriegsparteien scheiterten.

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko, der sich damals als "ehrlicher Makler" versuchte, wird von seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj inzwischen nicht mehr in dieser Rolle gesehen. Die Beziehungen zwischen Minsk und Kiew haben sich nach der Niederschlagung der Proteste in Belarus 2020 stark verschlechtert.

Seither hat sich der vorher stets zwischen Ost und West mäandernde Lukaschenko eindeutig auf die Seite Moskaus geschlagen und bezichtigte unter anderem die Ukraine, die Proteste in Belarus provoziert zu haben. Kiew sieht daher in Minsk keine unparteiische Plattform mehr. Nur: Moskau wird einer Änderung des Formats nicht zustimmen. (André Ballin aus Moskau, 7.4.2021)