Vor der Trafik in Wien, in der eine 35-Jährige angezündet wurde, werden nun Trauer und Wut bekundet. Die Frau erlag ihren Verletzungen.

Foto: Urban

Schon wieder wurde eine Frau getötet. Am Mittwoch um 8.40 Uhr betrat ein 43-Jähriger – der mutmaßliche Täter – eine Polizeiinspektion in Graz und gestand, er habe gerade seine Frau umgebracht. Kurz darauf wurde ihre Leiche gefunden. Sie lag in der Wohnung der Familie im Stadtteil Gries. Die vier Kinder des Paares sollen zum Zeitpunkt des Verbrechens bereits in der Schule gewesen sein. Die mutmaßliche Tatwaffe: ein Messer mit Holzgriff. So gibt es die Polizei zu Protokoll.

Ersten Erhebungen zufolge handle es sich bei dem Opfer um eine 38 Jahre alte Frau afghanischer Herkunft. Der Verdächtige, ihr Ehemann, ist fünf Jahre älter und sei ebenfalls Afghane. Viel mehr weiß man noch nicht. Die Kinder werden nun von einem Kriseninterventionsteam betreut. Zum Motiv des Mannes könne die Polizei noch nichts sagen. Dafür seien weitere Ermittlungen notwendig. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Österreich hat ein Problem

Fakt ist: Es handelt sich bereits um den siebenten entdeckten Frauenmord in Österreich seit Anfang des Jahres. Oder anders gesagt: um den siebenten Femizid. Der Begriff soll ausdrücken, dass hinter solchen Morden oft keine individuellen, sondern gesamtgesellschaftliche Probleme stecken – etwa patriarchale Rollenbilder. Denn Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen und Familienverhältnissen.

Jede fünfte Frau in Österreich ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt – oder beidem. Das ergab eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Monatlich werden in Österreich im langjährigen Schnitt drei Frauen ermordet, zählt der Verein Autonome Frauenhäuser (AÖF). Ein erkennbares Muster ist dabei: Die Täter stehen häufig in einem Beziehungs- oder Familienverhältnis zum Opfer.

Frau erlag ihren Brandwunden

So war es – nach allem, was bisher bekannt ist – auch, als am 5. März in Wien eine 35-jährige Trafikantin in ihrem Geschäft in Wien-Alsergrund mit brennbarer Flüssigkeit übergossen, angezündet und dann eingesperrt wurde. Der mutmaßliche Täter war offenbar ihr Exfreund.

Aus der Trafik befreit wurde die Frau von Anrainern und Passanten, die den Rauch bemerkt hatten und mit einem Einkaufswagen die Eingangstüre zertrümmerten. Sanitäter, die zufällig in der Nähe waren, löschten das in Flammen stehende Opfer mit Decken.

Mutmaßlicher Täter im Fall der Wiener Trafikantin ist ihr Expartner, der die Tat gesteht, aber eine Tötungsabsicht bestreitet.
Foto: Urban

Den Hergang konnte die Frau noch Polizisten schildern, bevor sie mit schweren Brandwunden ins Krankenhaus gebracht wurde. Einen Monat später, am 5. April, erlag sie ihren Verletzungen. Ihr 47-jähriger Exfreund sitzt in U-Haft. Der Österreicher gesteht die Tat, bestreitet aber die Tötungsabsicht.

Ein Drittel mehr Frauenmorde

Statistisch betrachtet ist das Jahr 2021 damit die Fortsetzung einer traurigen Reihe: Im Vorjahr wurden 31 Femizide angezeigt. Eine – für österreichische Verhältnisse – noch recht geringe Zahl. Denn Frauenmorde nahmen zuletzt stetig zu: 19 waren es 2014, 41 wurden 2018 verzeichnet – die Zahl stieg also um ein Drittel. In nur einem dieser Jahre war die Anzahl getöteter Frauen kleiner als jene getöteter Männer. Anders formuliert: Bei jedem Mord, der in Österreich passiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Opfer eine Frau ist, größer, als dass ein Mann umgebracht wurde.

Dennoch: Frauenmorde als Beziehungstaten abzustempeln wird der Sache nicht gerecht. Gerade bei Morden innerhalb von Partnerschaften ist oft nicht klar, was konkret dahintersteckt. Wäre ein Opfer noch am Leben, wenn es keine Frau wäre? In Österreich gibt es dazu keine Erhebungen.

Im Jahr 2018, als sich innerhalb nur weniger Wochen die Schlagzeilen zu immer weiteren Femiziden regelrecht überschlugen, rief das den damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auf den Plan. Er installierte eine Taskforce, die die einzelnen Fälle prüfen sollte. Deren Ergebnis: In 92 Prozent der Fälle kannten sich Opfer und Täter, 54 Prozent waren verwandt oder bekannt, 38 Prozent lebten in einer Beziehung oder in Trennung. Dazu kam ein Gewaltschutz-Gesetzespaket, das Verschärfungen im Strafrecht vorsah.

Schutz statt höherer Strafen

Für Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie ist das der falsche Ansatz. Bevor die Strafen erhöht werden, sollte der Schutz verstärkt werden, meint sie. Helfen würden dabei Fallkonferenzen, in denen sich Institutionen und Behörden zusammensetzen und schwierige Einzelfälle durchsprechen.

Früher, so sagt Logar, habe man 80 Fälle im Jahr durchgesprochen. In den vergangenen beiden Jahren sei ihre Interventionsstelle nur auf einer derartigen Fallkonferenz gewesen. Logar fordert eine dauerhafte Kommission, in der sich mehrere Institutionen permanent mit potenziellen Opfern und Tätern auseinandersetzen. "Wir haben Fälle, da hoffen wir jeden Tag aufs Neue, dass nichts passiert", sagt sie.

Größere Gefahr durch Pandemie

Die Pandemie verschärft die Situation in zweierlei Hinsicht noch weiter: Einerseits ist die Polizei mit der Kontrolle der Verordnungen auf der Straße gefordert – Logar ist in Sorge, dass dadurch der Blick auf Gewalt in der Familie verlorengehen könnte. Andererseits können Lockdowns Gefahrensituationen auch erst entstehen lassen.

Das andauernde Zuhausebleiben, Sorgen, Ängste, das Eingesperrtsein, womöglich mit dem potenziellen Täter – all das verstärkt das Problem der Gewalt gegen Frauen: Fälle, in denen die Polizei gerufen wurde und ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde, stiegen im ersten Lockdown rapide an. Seit Mitte April flacht die Kurve langsam wieder ab. In Städten stiegen die Fälle häuslicher Gewalt noch drastischer als auf dem Land: nämlich gar um ein Viertel, wenn man die Betretungsverbote vor dem Lockdown mit jenen danach vergleicht.

Eine Analyse des OGM-Instituts im Auftrag des Innenministeriums zeigt: Vier Prozent von 811 befragten Personen aus allen Bevölkerungsschichten gaben an, dass ihnen ein konkreter Fall bekannt ist, wo es während des Lockdowns zu Gewalt in der Familie kam. In drei Viertel dieser Fälle seien die Gewaltvorfälle auf die vermehrte Zeit, die man zu Hause verbringt, zurückzuführen. Und: In nur der Hälfte der Fälle wurde die Polizei gerufen. (Katharina Mittelstaedt, Gabriele Scherndl, 7.4.2021)