Die SMS zwischen Strache und Kurz beschäftigte den Presserat.

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Wien – Die Veröffentlichung von SMS-Chatprotokollen zwischen mehreren Spitzenpolitikern der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung in einem Artikel auf derStandard.at ist nach Ansicht des Pressrats zulässig. Sie seien von eindeutigem öffentlichem Interesse und verstoßen damit nicht gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse, teilte das Selbstkontrollorgan am Donnerstag mit.

Im Artikel "SMS von Kanzler Kurz an Vizekanzler Strache: 'Verkauf mich nicht für deppert!'" vom 9. März 2021 finden sich mehrere Zitate aus verschiedenen Chatnachrichten von Mitgliedern der damaligen Bundesregierung – darunter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der ehemalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer, Herbert Kickl (beide FPÖ) und Gernot Blümel (ÖVP). Sie behandeln Themen wie die Mindestpension oder ein geplantes ORF-Gesetz. Auch Auszüge aus Chats zwischen Strache und Kurz zu rechtsextremen Vorfällen und dem Ibiza-Video sind enthalten. Aus manchen Nachrichten lässt sich das private Verhältnis der ehemaligen Regierungsmitglieder zueinander ableiten.

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die Veröffentlichung der Chatnachrichten. Seiner Meinung nach sei auch Politikern in Regierungsämtern ein gewisses Maß an Privatsphäre zuzugestehen. Der Presserat musste das schutzwürdige Interesse an der Nichtveröffentlichung gegen ein allfälliges Interesse der Öffentlichkeit abwägen (Punkt 10 des Ehrenkodex).

Relevant für den eingesetzten Ibiza-Untersuchungsausschuss

Der Presserat hielt fest, dass Politikerinnen und Politiker grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als Privatpersonen genießen und die Kontrolle der staatlichen Gewalten eine der Kernaufgaben der Medien sei. Außerdem gebe es aufgrund von Korruptionsvorwürfen gegen einige der zitierten (ehemaligen) Regierungsmitglieder strafrechtliche Ermittlungen. Bei derartigen Verdachtsfällen sei die Presse- und Meinungsfreiheit von vornherein weit auszulegen.

Ebenfalls für eine Entscheidung im Sinne des STANDARD spreche, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die veröffentlichten Nachrichten als relevant für den eingesetzten Ibiza-Untersuchungsausschuss bewertete. Der Senat 1 erachtet sie daher auch für den öffentlichen politischen Diskurs als wichtig.

Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass die zitierten Personen während ihrer Amtszeit regelmäßig in der Öffentlichkeit auf das gute Koalitionsklima hinwiesen und einen "neuen Stil" des positiven Miteinanders hervorhoben. Die mit ihren Chatnachrichten zitierten Personen müssen sich ihre politischen Aktivitäten und öffentlichen Äußerungen grundsätzlich zurechnen lassen.

Berechtigtes Interesse

Die vorliegenden Nachrichten würden aufzeigen, dass in der damaligen Koalition nicht alles so rund lief, wie es nach außen dargestellt wurde. "Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, über solche Widersprüche in Wort und Bild aufgeklärt zu werden", so der Presserat. Der Senat weist auch darauf hin, "dass die Inhalte der Nachrichten verhältnismäßig harmlos sind und – wenn überhaupt – die Privatsphäre lediglich berühren."

Außerdem merkt der Senat an, dass am Ende des Artikels festgehalten wird, dass das Medium die Erwähnten um Stellungnahme gebeten habe. "Insgesamt betrachtet überwiegen im vorliegenden Fall eindeutig die Veröffentlichungsinteressen gegenüber den Schutzinteressen der Zitierten", so der Presserat. (APA, red, 8.4.2021)