Cobra-Beamte, reguläre Polizeikräfte und die Justizwache sorgten am Donnerstag vor und im Landesgericht Korneuburg für martialische Bilder.

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Korneuburg – Verteidiger Michael Schnarch ist auf das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Wien nicht gut zu sprechen. "Dessen Ermittlungen sind nicht von Recherche und Professionalität geprägt", erklärt er dem Geschworenengericht in Korneuburg, vor dem sich sein Mandant Ahemed A. wegen Mordversuchs verantworten muss. Die Zeugenaussage eines Abteilungsinspektors in dem Prozess verwundert tatsächlich.

Worum geht es in dem von uniformierten Polizisten, Beamten der Sondereinheit Cobra und Sonderkräften der Justizwache geschützten Prozess? Am 4. Juli des Vorjahres starb in einem Gewerbegebiet in Gerasdorf bei Wien (Bezirk Korneuburg) Martin B., der als Mamichan U. in Tschetschenien geboren wurde. Er soll von einem Landsmann erschossen worden sein – und der nun angeklagte 37-jährige A. soll laut Staatsanwalt wiederum damals versucht haben, den mutmaßlichen Attentäter zu erschießen.

Angeklagter bekennt sich teilweise schuldig

A. bekennt sich nur teilweise schuldig. Er habe durch den Besitz einer Pistole zwar gegen das Waffengesetz verstoßen, aber er habe als Leibwächter von Martin B. agiert und wollte an diesem Sommerabend nur den Flüchtenden durch Schüsse in den Reifen stoppen. Wegen technischer Probleme mit der Waffe beziehungsweise der Munition kam es aber nicht dazu.

Die Hintergründe sollen politisch sein. Martin B. war jahrelanger Informant des LVT Wien, im Februar 2020 begann er in einem Internetblog unter einem Pseudonym massive Angriffe gegen den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow zu verbreiten. Ab Mai kursierten Gerüchte in der Community, dass ein Anschlag auf B. geplant sei. Das LVT bot ihm Personenschutz an, B. lehnte den mehrmals ab. "Wir haben der Familie sogar eine neue Gemeindewohnung organisiert, die von der Wega besser beschützt werden konnte", erklärt der zuständige Abteilungsinspektor des LVT. Polizeischutz außerhalb der eigenen vier Wände habe B. aber mehrmals abgelehnt.

Drei Vorstrafen und alte Pistole

Stattdessen organisierte B. sich den Angeklagten, der in einer schusssicheren Weste mit dem Aufdruck "Gendarmerie" vor Gericht sitzt, als Leibwächter. A. hat in seinen 15 Jahren in Österreich drei Diebstahlsvorstrafen gesammelt und sonst wenig zu tun. B. versorgte den Angeklagten auch mit einer Pistole – einer Tokarev M57 samt 35 Jahre alten Patronen aus verschiedenen Quellen. Am 2. oder 3 .Juli testete A. die Waffe bei der Halle in Gerasdorf, dem späteren Tatort, und schoss auf eine Autobatterie.

Am 4. Juli sollte auf dem Gelände ein Geschäft stattfinden: B. wollte seinen 7er-BMW gegen eine Glock 17 tauschen. Der Handelspartner war Sar-Ali A., ein weiterer Tschetschene. Martin B. hielt diesen für einen "eierlosen Schwächling", der Angeklagte machte sich dagegen Sorgen und riet von einem Treffen ab.

Um 17 Uhr trafen sich der Angeklagte und B. noch mit dem LVT-Abteilungsinspektor auf der Floridsdorfer Brücke. Der Angeklagte lässt übersetzen, es sei um die von ihm vermutete Gefahr für B. gegangen. Der Abteilungsinspektor sagt als Zeuge: "Sie wollten eine Puppe, die sie ins Auto setzen können. Falls es zu Schüssen gekommen wäre, hätten sie den Täter entwaffnet, wir hätten in der Umgebung warten und ihn dann festnehmen sollen. Ich habe gesagt, dass das verrückt ist."

"Ich dachte, ich werde von ihm verarscht"

Man trennte sich, der Polizist fuhr zurück in seine Dienststelle, das Duo nach Gerasdorf. Der Abteilungsinspektor erinnert sich, dass kurz nach seiner Ankunft im Büro A. anrief. "Er hat weinerlich und aufgebracht geklungen und mehrmals gesagt: 'Sie haben ihn geschossen!' Ich dachte, ich werde von ihm verarscht, habe gesagt, ich rufe zurück, und habe aufgelegt."

Die Stimmlage des Angeklagten habe ihn dann aber doch stutzig gemacht, also rief der Polizist A. wieder an. Der teilte neuerlich mit: "Sie haben ihn geschossen" und gab als Tatort die Adresse Brünner Straße 154 an. "Ich habe gedacht, er meint die Brünner Straße in Wien und habe dorthin Einheiten geschickt", schildert der LVT-Beamte. Tatsächlich meinte A. das Gewerbegebiet in Gerasdorf, örtliche Kräfte dirigierten die Wiener Kollegen dann hin.

Dort lag B., der selbst bewaffnet gewesen war, tot auf dem Parkplatz, der Angeklagte berichtete von den Schüssen durch Sar-Ali A., der geflüchtet sei. Er selbst habe sich vor dem geplanten Tauschhandel in einer Halle versteckt und keine Sicht auf die beiden anderen Männer gehabt, sagt A. auch vor Gericht.

Schussversuche aus zwölf Metern

Als er mehrere Schüsse gehört habe, sei er aus seinem Versteck losgesprintet, habe seine alte Pistole repetiert und versucht, aus zwölf Metern den rechten Vorderreifen des langsam anfahrenden Fluchtfahrzeuges zu zerschießen, um ihn zu stoppen. Wie der gerichtliche Schussgutachter Ingo Wieser ausführt, scheiterte der Versuch: Bei der ersten Patrone löste die Zündladung nicht aus, als A. den Schlitten neuerlich zurückschob, verklemmten sich die zweite und die erste Patrone im Lauf.

Wieser verrät noch etwas: In Film und Fernsehen wird gar nicht die Realität gezeigt. Denn ein Schuss mit einem Vollmantelgeschoß Kaliber 7,62 aus einer Tokarev hätte den Wagen selbst bei einem Reifentreffer nicht gestoppt. "Entweder der Reifen verschließt sich von selbst wieder. Oder die Luft entweicht so langsam, dass es mehrere Stunden keinen Einfluss hat", beruft der Experte sich auf Experimente. "Dazu bräuchte man eine Langwaffe mit größerem Kaliber." Für Menschen sei die Pistole dagegen sehr wohl potenziell tödlich.

Verdächtiger auf Westautobahn gefasst

Angeklagter A. rief am Tatabend jedenfalls zunächst den Abteilungsinspektor und dann den Polizeinotruf an und konnte Fabrikat und Kennzeichen des Fluchtfahrzeuges durchgeben. Der Tatverdächtige wurde schließlich in Oberösterreich gefasst, ein möglicher Hintermann ist dagegen untergetaucht.

Die Geschworenen in Korneuburg glauben A. seine Geschichte nicht und verurteilen ihn anklagekonform nicht rechtskräftig wegen Mordversuchs zu 14 Jahren Haft. (Michael Möseneder, 8.4.2021)