Elfriede Gerstl: "manche kommen aus dem staunen nicht heraus / manche nie hinein".

Foto: Herbert J. Wimmer

Elfriede Gerstl (1932–2009) und Erni Mangold – das ist ein Match. Der Schriftstellerin eignete wie auch der Schauspielerin ein maliziöser Wiener Schmäh. Gerstl bündelte ihn im geschriebenen Wort, und Mangold intoniert ihn nun als Grit aus dem Roman Spielräume mit allen nötigen teufelaustreiberischen Zischlauten im Theater Drachengasse. Wenn sie "geküsssst" sagt, dann schießt eine Kugel durch die Luft.

Der Verein Beseder würdigt im kleinen Wiener Innenstadttheater die viel zu selten rezipierte Dichterin, die lange Zeit auf einen Randplatz in der Wiener Schriftstellerszene der 1950er- und 60er-Jahre verwiesen blieb. Der Droschl-Verlag, der die fünfbändige Werkausgabe ediert hat, wirbt für sie mit dem passenden Zitat "manche kommen aus dem staunen nicht heraus / manche nie hinein". Das lässt sich auch für den von Tania Golden als szenische Lesung eingerichteten Premierenabend im Bar&Co-Raum der Drachengasse sagen. Er hätte bereits im Dezember stattfinden sollen und läuft nun online über den Kanal Eventbrite.

Partynächte, Nachbarschaft

Hier findet man ins Staunen nicht immer hinein. Mangold ist per Videobild auf die Bühne zugeschaltet, wo Golden, Shlomit Butbul und Anna Starzinger am Cello rezitationsbereit vor ihren Notenständern sitzen. Allerdings bleibt Mangold dort als abgefilmtes Filmbild fern und dementsprechend ungesehen, was bedauerlich ist und verschwenderisch erscheint. Nur wenige Male zeigt der Stream direkt das Gesicht einer Frau in Nahaufnahme, die sich mit gehobenen Brauen an denkwürdigen Erlebnissen im Berliner Exil der Sixties festbeißt und sie in deklinatorischen Lyrikformen kommentiert: Partynächte, Nachbarschaft, Kaffeehausbesuche, politische Demonstrationen. Vier, fünf Mal wird diese Atmosphäre auch mit Schwarz-Weiß-Bildern illustriert.

Corona-Bedingungen lassen an diesem zurückgenommenen Abend grüßen. Umgekehrt legt die (etwas überprononcierte) Rezitation von Golden und Butbul Lunte genug, um die Texte auflodern zu lassen. Wer nämlich Worte wie "Hirnederl" oder "Seicherl" ganz unangestrengt auf Wienerisch aussprechen kann, hat schon gewonnen.

Menschenförmig

Dort, wo es zombiehaft wird, erweist sich Elfriede Gerstl als eine Wegbereiterin für nachkommende Autorinnen wie Lydia Haider. Da heißt es etwa, dass "Passanten doch über Nacht blutgefüllte menschenförmige Säcke aus dünner Plastikhaut geworden" sind (Textfassung: Susanne Höhne).

Möge Gerstls experimentierfreudige Literatur, ihre unprätentiöse Poesie öfter von Bühnen entdeckt werden. Sie trägt performative Gene in sich. (Margarete Affenzeller, 9.4.2021)