Beliebt und voller Leidenschaft: Tänzer und Choreograf Ismael Ivo.

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Wien – Er war aufgeschlossen und freundlich im persönlichen Umgang, aber wenn es um Ungerechtigkeiten oder politische Destruktivität ging, konnte er auch richtig laut werden. Menschen waren Ismael Ivo wirklich wichtig. Donnerstagabend ist der international hoch angesehene Tänzer, Choreograf und Pädagoge Ismael Ivo in São Paulo an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben.

Ein großer Verlust – nicht nur für die Tanzwelt, denn der charismatische Afrobrasilianer war ein durch nichts zu demotivierender Kämpfer für die Emanzipation als übergreifende politische Idee. Besonders bitter ist Ivos Tod für das Wiener Impulstanz-Festival, das er in den 1980er-Jahren zusammen mit Karl Regensburger gegründet hat.

Ohne die Begeisterung, die der damals dreißigjährige brillante Tänzer seit seinem ersten Wiener Auftritt am 18. August 1983 in den Sofiensälen ausgelöst hat, wäre dieses Festival wohl nie zustande gekommen. Damals war Ivo gerade frischgebackenes Mitglied des New Yorker Alvin Ailey American Dance Theater. Im Jänner des folgenden Jahres glänzte er im Wiener Metropol, zwei Monate später zeigte er sein erstes Stück Creatures oft the Night im Serapionstheater am Wallensteinplatz.

Gefüllte Stadthalle

Das Publikum stürmte Ivos Aufführungen. Wochenlang waren sie ausverkauft, und 1985 reichte die Begeisterung schon so weit, dass die Wiener auch die Stadthalle füllten, wenn Ismael Ivo tanzte. Auch in Deutschland wurde er zu einer Berühmtheit, nachdem er dort mit Soloarbeiten wie Phoenix, Under Skin und Delirium of a Childhood Aufsehen erregt hatte.

Dort lernte er auch den aus Kärnten stammenden Tanztheatermacher Johann Kresnik (1939 – 2019) kennen und produzierte 1993 mit ihm Francis Bacon. Das Stück wurde zu einem Welterfolg. Als sein "Hauptanliegen" sah Ivo damals, "meine Zuschauer mit der dunklen, verdrängten Seite ihrer selbst schonungslos zu konfrontieren".

Mitte der Achtziger war der Künstler nach Berlin übersiedelt. 1987 zog er sich bei einem Autounfall schwere Verletzungen zu. Zwei gebrochene und zwei gequetschte Wirbel hätten das Ende seiner Karriere bedeuten können. Doch Ivo zog seine Rehabilitation mit eiserner Disziplin durch und erholte sich wieder.

"Überlebensmonster"

In den 1990er-Jahren übernahm er die Leitung des Tanztheaters Weimar und stand ab 2005 sieben Jahre lang der Biennale Danza in Venedig vor. In Wien, wo er bis vor Ausbruch der Pandemie alljährlich an "seinem" Impulstanz-Festival mitarbeitete, wurde er 2013 Gastprofessor am Max-Reinhardt-Seminar. 2017 fällte Ismael Ivo eine folgenschwere Entscheidung: Er zog in seine Geburts- und Heimatstadt São Paulo und übernahm dort die Leitung des Balé da Cidade de São Paulo.

Diese Compagnie stellte er den Wienern bei Impulstanz 2019 im Burgtheater vor – mit dem Stück Um Jeito de Corpo in der Choreografie der ehemaligen Pina-Bausch-Tänzerin Morena Nascimento. Es sollte seine letzte Reise in diese Stadt sein. Brasilien wurde ab März des Vorjahres voll von der Pandemie getroffen.

Als Ivo dann im Juni zwei Schlaganfälle erlitt, erholte er sich prächtig. Er arbeitete an seiner Genesung mit der gleichen Konsequenz, die ihm geholfen hatte, die Folgen seines Autounfalls zu überwinden, erzählte Karl Regensburger dem STANDARD im Herbst – und fügte bewundernd an: "Er ist ein wahres Überlebensmonster." Ivo hatte seinen Humor wieder und arbeitete von zu Hause aus, während sich Covid-19 um ihn herum zum Massenkiller auswuchs.

Opfer ultrarechter Politik

Seit März ist die Seuche, auch infolge der Politik von Präsident Jair Bolsonaro, der einen Lockdown kategorisch ablehnt, außer Kontrolle. Das Gesundheitssystem kollabiert: Am 6. April hat die Zahl der Corona-Todesfälle die Marke von 4.000 in 24 Stunden überstiegen. So ist der viel zu frühe Tod des Ismael Ivo nicht einfach als Schicksal zu verstehen. Er, das "Überlebensmonster", ist auch das Opfer einer ultrarechten Politik geworden, für die Menschenleben nicht zu zählen scheinen.

Die "dunklen Seiten" am Menschen, mit denen Ivo sein Publikum konfrontierte, haben einen Künstler mit starkem Willen, der den Gedanken einer positiven Aufklärung nie aufgegeben hat, eingeholt. Was bleibt, ist die Erinnerung an Ismael Ivos beeindruckende Biografie, an seine Zusammenarbeit mit Persönlichkeiten wie Heiner Müller, George Tabori oder Marina Abramović, an mehr als fünfzig abendfüllende Stücke und an seine 36 Jahre währende Präsenz in Wien.

Ivo hat nicht nur die Herzen von Tanzbegeisterten erobert, sondern auch viele fasziniert, die dem Tanz eher misstrauisch gegenüberstanden. Und wer von dem einen oder anderen seiner Stücke vielleicht nicht ganz überzeugt war, bewunderte doch den sprühenden Geist dieses Mannes, seine Leidenschaft für Kritik und seine ungekünstelte Warmherzigkeit, die sich immer auch in seinen Tanztheaterstücken zeigten. (Helmut Ploebst, 9.4.2021)