Der Innsbrucker "Ziegelstadl" schnitt bei der Studie zu den Haftbedingungen in Österreich am schlechtesten ab.

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Innsbruck – Die Studienergebnisse, die Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck vergangene Woche veröffentlichten, zeichnen kein gutes Bild von den Zuständen in Österreichs Gefängnissen. Fast drei Viertel – exakt 72 Prozent – aller Inhaftierten erleben Gewalt. Vier von zehn Insassen erfahren körperliche Gewalt, jede beziehungsweise jeder Zehnte sexualisierte Gewalt. Besonders betroffen sind Jugendliche und im Maßnahmenvollzug untergebrachte Personen. Und die Justizanstalt, die mit Abstand am schlechtesten abgeschnitten hat, ist der sogenannte Ziegelstadl in Innsbruck.

Die beiden Wissenschafterinnen haben umfassend die Haftbedingungen und Gewalterfahrungen in zehn österreichischen Justizanstalten erforscht und dafür fast 400 Häftlinge befragt. Ihre Erkenntnisse sind auch in Buchform ("Gewalt in Haft", LIT-Verlag) erschienen. Ein zentrales Ergebnis: Je jünger die Häftlinge sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Opfer psychischer oder körperlicher Gewalt werden. Am Beispiel zeigt sich vor allem, wie sich die chronische Überbelegung veralteter Hafträumlichkeiten auswirkt.

Eklatante Unterschiede zwischen Anstalten

Während österreichweit 72 Prozent der Insassen von Gewalterfahrungen berichteten – davon ein Drittel von schwerer Gewalt –, waren es in Innsbruck 82 Prozent, von denen 47 Prozent schwere Gewalt erfahren mussten. Im direkten Vergleich schneidet Innsbruck besonders schlecht ab. Etwa wenn man den Ziegelstadl mit der modernen Anstalt in Korneuburg vergleicht. Dort sagen fast 90 Prozent der befragten Insassen, sie fühlen sich respektvoll und menschlich behandelt, in Innsbruck sind es nur knapp mehr als die Hälfte. Dass die Anhaltebedingungen schlecht sind, bejahen in Korneuburg nur drei Prozent, in Innsbruck fast jeder zweite Befragte.

"In Innsbruck sagt auch keiner der Befragten, dass er die Haft nicht als Anspannung und Stress empfindet – das ist in den anderen Anstalten nicht so", erklärt Hofinger das Studienergebnis. "Wir haben auch danach gefragt, ob schnell reagiert wird, wenn man den Notfallknopf drückt – da sagt immerhin ein Drittel in Innsbruck, dass gar nicht schnell reagiert werde, und in Korneuburg sagt das niemand – das sind schon sehr große Unterschiede", fasst die Wissenschafterin zusammen.

Sicht der Beamten und der Insassen beachten

Medial sind die Zustände in Innsbruck immer wieder Thema. Allerdings werden die Missstände in der Regel aus dem Blickwinkel der Justizwache beleuchtet. Für Hofinger wäre es wichtig, auch die Sichtweise der Insassen mehr einfließen zu lassen: "Die Bedingungen sind in manchen Anstalten für alle schlecht: für die Justizwache, aber auch für die Insassen. Es leiden beide Seiten darunter, wenn die Einrichtung überfüllt ist." Hofingers Daten zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen respektvollem Umgang und dem Gewaltniveau. "In Innsbruck ist beides schlecht", sagt die Forscherin.

Das Beispiel Korneuburg zeige, wie ein intelligenter Bau, ein gutes Anstaltsklima und eine präsente Anstaltsleitung das Klima in der Haftanstalt deutlich verbessern können. In Haft keine Gewalt zu erfahren spielt auch für die Resozialisierung eine wichtige Rolle, wie die Studienautorin erklärt: "Denn Gewalt führt zu noch mehr Gewalt. Wer etwa als Kind Opfer von Gewalt wurde, hat eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, selbst Gewalt anzuwenden, aber auch in Haft dann erneut Opfer von Gewalt zu werden." Daher sei es wichtig, dass die Justizwache in den Abteilungen präsent sei, um reagieren zu können, wenn Insassen ihre Hilfe brauchen, etwa weil sie in der Zelle von Mithäftlingen gemobbt werden.

Gesprächsangebot der Wissenschaft an die Justizwache

Hofinger hofft, dass ihre Studienergebnisse auch aufseiten der Belegschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema führen: "Unsere Untersuchungen zeichnen ein sehr differenziertes Bild, und wir sind sehr gern bereit, diese Ergebnisse mit der Personalvertretung zu diskutieren." Ein Angebot, das ankommt, wie Martin Schöpf, Vorsitzender der Tiroler Justizwachegewerkschaft, im Gespräch mit dem STANDARD bestätigt: "Wir sind froh, dass die Wissenschaft uns beleuchtet."

Für Schöpf ist es wichtig zu betonen, dass man seitens der Justizwache an einem guten Anstaltsklima interessiert ist: "Aber wir wehren uns dagegen, als Verursacher gesehen zu werden. Auch wir leiden unter den Umständen und schlechter Infrastruktur." Die Beamten fühlen sich ungehört von der Politik, wie Schöpf erklärt: "Die Ministerin sollte das Thema ernster nehmen, auch ihre Vorgänger haben das verabsäumt." Die Beamten wollen "nicht als Verhinderer dargestellt" werden, sie seien selbst an Verbesserungen interessiert.

Justizwache fühlt sich ungehört

Dass die Justizanstalt Innsbruck, in der auch Schöpf Dienst tut, in Hofingers Studie so schlecht abschneidet, stimme ihn "bedenklich". Daher würde er das Gesprächsangebot der Wissenschafterinnen gerne annehmen, wie er sagt: "Eine Klärung der Ursachen für dieses Ergebnis wäre gut." Die in der Studie genannten Gründe wie Überbelegung und schlechte Infrastruktur könne er sehr gut nachvollziehen. "Der Schlüssel zu Lösungen und Verbesserungen wären moderne Gefängnisse und mehr Ressourcen", glaubt Schöpf.

Dass im Umgangston in der Innsbruck Justizanstalt "tendenziell die Gewaltposaune vorherrscht", habe er persönlich bisher nicht so empfunden, sagt der Gewerkschafter. Grundsätzlich herrsche im Gefängnis eben ein rauerer Ton. Doch grundsätzlich weise der Strafvollzug eine "massive menschenrechtliche Komponente" auf, weshalb es wichtig sei, dass gewisse Standards eingehalten werden.

Politik zeigt zu wenig Interesse am Thema

Schöpf pflichtet den Studienautorinnen uneingeschränkt bei, wenn es um mangelnde Mittel und mangelnden politischen Willen geht, die Zustände zu verbessern. "Es ist immer ein schlechter Zeitpunkt, wenn wir etwas wollen", zeigt sich Schöpf enttäuscht. Hofinger bestätigt das: "Politisch ist mit dem Thema Strafvollzug wenig zu gewinnen, daher gibt es kaum jemanden, der sich des Themas annimmt. Der Strafvollzug kostet viel Geld, sich um gute Anhaltebedingungen zu kümmern, bringt aber wenig Prestige." Daher sei der Vorschlag der Ministerin für eine Strafrechtsreform zu begrüßen.

Wobei Gewerkschafter Schöpf darauf verweist, dass es zum Beispiel seit 1975 ein verbrieftes Recht für U-Häftlinge gibt, wonach ihnen ein Einzelhaftraum zustehe. Ein Recht, das mangels Räumlichkeiten schlichtweg nicht umsetzbar sei: "In der Realität werden sie zu dritt oder zu viert untergebracht." Auch die Anliegen der Beamten würden ignoriert, beklagt Schöpf: "Seit 2005 fordern wir, unter die Schwerarbeiteregelung zu fallen, wie auch die Polizei. Denn kaum einer von uns schafft es in diesem Job, bis er 65 ist."

Eine Forderung, die bis heute kein Gehör fand. Daher wünsche man sich von der Politik "mehr Mut und Interesse", den Strafvollzug endlich anzugehen, sagt Gewerkschafter Schöpf. Auch Studienautorin Hofinger schließt sich dem an: "Unser Wunsch wäre, dass unsere Studie dazu beiträgt, dass es künftig mehr Ressourcen für Personal und Insassen in den Haftanstalten gibt." (Steffen Arora, 9.4.2021)