EU-Kommissar Johannes Hahn geht hart mit dem EU-Kurs von Kanzler und Parteifreund Sebastian Kurz ins Gericht.

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STANDARD: Der EU-Wiederaufbauplan wurde vor einem Jahr konzipiert, das Budget im vergangenen Sommer fixiert. Aber jetzt erst reichen die Mitgliedsstaaten definitiv ihre Programme ein. Wieso dauert das alles so lang?

Hahn: Die Staats- und Regierungschefs haben in der Tat beim Europäischen Rat im Juli 2020 eine Einigung erzielt, aber die endgültigen Beschlüsse dazu sind erst Ende des Jahres gefasst worden. Es gab dazu Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament, die Diskussion mit Polen und Ungarn über Rechtsstaatlichkeit.

STANDARD: US-Präsident Joe Biden trat im Jänner an, hat bereits ein gigantisches Investitionsprogramm von zwei Billionen Dollar angekündigt. Ist Europa wieder einmal zu langsam und macht mit 800 Milliarden Euro, was den ursprünglichen 750 Milliarden auf Preisbasis 2018 entspricht, auch zu wenig?

Hahn: Es macht wenig Sinn, ein Land wie die USA mit der Union zu vergleichen. Wenn man die Wirtschaftshilfen der 27 Mitgliedsstaaten und die EU-Hilfen zusammenzählt, brauchen wir den Vergleich mit den USA nicht zu scheuen! Ich glaube auch, dass wir mit unserem Aufbau- und Nachhaltigkeitsprogramm etwas auf den Weg gebracht haben, das für die Zukunft Europas entscheidend sein wird, mit den Schwerpunkten Klimawandel und Digitalisierung. Es geht dabei nicht nur darum, dass wir aus der Krise wieder herauskommen, sondern auch darum, dass wir im globalen Wettbewerb besser aufgestellt sind.

STANDARD: Europa scheint aber ganz auf die Pandemie fixiert zu sein, statt auf Impfwende und Konjunkturprogramme. Kein Zeitdruck?

Hahn: Wir sind schneller geworden, wenn man das mit früheren Programmen vergleicht. Aber eines ist auch klar: Um den Wiederaufbau auf den Kapitalmärkten zu finanzieren, wie das vorgesehen ist, brauchen wir noch einen Eigenmittelbeschluss aller 27 Mitgliedsstaaten. Dieser Prozess läuft. Ich gehe davon aus, dass wir planmäßig im Juni fertig sein werden. Beim letzten Mal, als wir so etwas gemacht haben, hat das zwei Jahre gedauert. Vergessen wir jedoch nicht, wir haben auch das reguläre EU-Budget, das seit Jänner in Kraft ist, und dazu noch Strukturfondsmittel aus der vorherigen Periode, die abgearbeitet werden müssen, bzw. das Programm React-EU, das ein "Top-up" zu den Strukturmitteln ist und auch als Brückenfinanzierung dient, bis der Aufbauplan in Kraft tritt. Es ist also genügend Liquidität da, um auf dringende Bedürfnisse in der Krise zu reagieren. Im Spätsommer/Herbst können wir dann an die Umsetzung des Wiederaufbaufonds gehen.

STANDARD: Worum geht es bei diesem Fonds genau?

Hahn: Es geht dabei jedenfalls nicht darum, irgendwelche Budgetlöcher der Mitgliedsstaaten zu stopfen. Wir wollen, dass die Mitgliedsstaaten in die Modernisierung ihrer Gesellschaften und Wirtschaften investieren: einerseits durch gezielte Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung, andererseits durch langfristige Strukturreformen, wie sie in den länderspezifischen Empfehlungen zum sogenannten Europäischen Semester zum Ausdruck kommen.

STANDARD: Das ist eine Art Reformzeugnis der Kommission. Wie beurteilen Sie die bisher vorliegenden Pläne der Regierungen?

Hahn: Im investiven Bereich sind wir auf einem guten Weg, also bei den Schwerpunkten Green Deal und Digitalisierung. Aufholbedarf sehe ich in den Vorlagen der Mitgliedsstaaten vor allem bei der Reformbereitschaft. Ohne Reformen werden viele Investitionen nicht nachhaltig sein. Es muss deshalb zwischen Aufbauinvestitionen und den strukturellen Reformen eine gute Balance geben.

STANDARD: Bis Ende April müssen die Mitgliedsstaaten ihre Projektanträge bei der Kommission eingereicht haben. Was sind die Vorgaben?

Hahn: Grundsätzlich gilt, dass zumindest 37 Prozent der Mittel für Maßnahmen zum Klimawandel aufzuwenden sind und mindestens 20 Prozent für Digitalisierungsmaßnahmen. Da sind die Länder sehr dahinter. Diskussions- und Nachbesserungsbedarf gibt es bei den notwendigen begleitenden Reformmaßnahmen.

STANDARD: Nennen Sie uns doch ein paar Beispiele.

Hahn: Wir sehen gerade in der Pandemie, dass wir im Bereich des Digitalen einen großen Aufholbedarf haben, ob es um die Ausstattungen im Bildungsbereich geht oder um die sogenannten Soft Skills, also die Ausbildung, damit die Menschen digitale Technologien auch voll nützen können.

STANDARD: Die nicht rückzahlbaren Zuschüsse im Wiederaufbaufonds machen 312 Milliarden Euro aus. Wenn rund zwei Drittel inhaltlich in Klimamaßnahmen und Digitalagenden gehen, wofür kann das restliche Geld verwendet werden?

Hahn: Es soll zum Beispiel in Forschung und Innovation gehen. Dieser Aufteilungsschlüssel gilt nicht nur bei den Zuschüssen, sondern auch bei Krediten, also über die vollen 800 Milliarden Euro des Fonds.

STANDARD: Wenn Sie die bisher eingereichten Anträge anschauen, was sind da die zentralen Projekte, was wird die Wirtschaft ankurbeln?

Hahn: Ein Bereich ist zum Beispiel die thermische Gebäudesanierung, beginnend bei öffentlichen Gebäuden. Derzeit wird nur rund ein Prozent des Gebäudebestandes in Europa thermisch saniert. Wenn man davon ausgeht, dass 80 bis 90 Prozent der heute existierenden Gebäude auch noch im Jahr 2050 da sein werden, sehen Sie, wie groß das Potenzial ist und welche Effekte wir damit erzielen könnten. Deswegen ist unser Ziel, in diesem Bereich die Schlagzahl zu verdoppeln. Wir wollen eine Renovierungswelle zur Erhöhung der Energieeffizienz der Gebäude.

STANDARD: Ein zweites Beispiel?

Hahn: Smart Cities, intelligente Städte. Das lässt sich ideal mit der Gebäudesanierung verbinden. Wenn wir digitale Technologien einsetzen, um etwa Verkehrsflüsse zu steuern, und damit Energieeffizienzmaßnahmen durchführen können, lässt sich viel gewinnen, mit positivem Effekt auch für die Umwelt. Wir wollen die Wirtschaft motivieren, mehr in Zukunftstechnologien zu investieren.

STANDARD: Das klingt nach Billionensummen. Gleichzeitig heißt es, die EU-Staaten hätten Probleme, bis Ende April ausreichend Projekte einzureichen. Österreich hat noch gar nichts vorgelegt. Wie gibt es das?

Hahn: Es ist richtig, dass die österreichische Regierung noch nichts Schriftliches vorgelegt hat, aber es laufen Gespräche auf technischer Ebene zur Vorababklärung. Bei den Investitionen haben wir wenig Sorgen. Es ist schon durch die Regierungskonstellation klar, dass in grüne Maßnahmen und Digitales ausreichend investiert werden wird. Der entscheidende Punkt ist, wie es mit der Reformbereitschaft aussieht. Es hat sich in der Krise etwa deutlich gezeigt, dass wir die Tragfähigkeit des Gesundheits- und Pflegesystems verbessern müssen. In Österreich steht bei den länderspezifischen Empfehlungen der gleichberechtigte Zugang zu Bildung gleich an erster Stelle, weiters die Sicherstellung digitalen Lernens.

STANDARD: Soll der Bildungsminister alle Programme zur besseren digitalen Erziehung vorlegen, und die EU zahlt dafür?

Hahn: Sie müssen sich das so vorstellen, dass es am Ende für jedes Land einen speziellen Reformplan gibt, der von der Kommission genehmigt wird und auch von den anderen EU-Staaten zu genehmigen ist, das war die Forderung der Regierungschefs. Und ein solcher länderspezifischer Reformplan besteht dann aus mehreren Teilen. Die sukzessive Bereitstellung von EU-Geldern ist an die Erreichung von Zielen geknüpft, die gemeinsam vereinbart wurden. Zum Start erhält jedes Land 13 Prozent Anzahlung, im Fall von Österreich also 13 Prozent von 3,5 Milliarden Euro, und die restlichen 87 Prozent fließen nach und nach je nach Fortschrittserfolg. In den ersten drei Jahren müssen die Staaten mit Projekten darlegen, wie sie die Gelder verwenden. Sie haben sechs Jahre Zeit, die Gelder abzurufen. Und ab 2026/27 beginnt spätestens die Rückzahlungsphase mittels neuer Eigenmittel, die sich über 30 Jahre erstreckt.

STANDARD: Also wird die Regierung die 3,5 Milliarden Euro an zugesagten Zuschüssen nicht liegenlassen?

Hahn: Nein. Ich gehe davon aus, dass die Pläne vor Ende April kommen, schließlich ist es ja in Österreichs Eigeninteresse! Die Regionen, Unternehmen, Projektbetreiber brauchen die finanzielle Unterstützung in der Krise! Je früher die Pläne eingereicht werden, desto besser kann man sie gemeinsam optimieren.

STANDARD: Es hat beim Beschluss des Wiederaufbaufonds viel Kritik an den frugalen vier EU-Staaten gegeben, weil sie die Regeln zur Mittelvergabe präzisieren wollten. War es, im Nachhinein gesehen, sinnvoll, das zu fordern?

Hahn: Wir hatten dieses Erfordernis in unserem Konzept von Anfang an mitgedacht und genau deshalb die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der Staaten, als tragendes Element eingebaut. Dieser Punkt war mir ein wichtiges Anliegen. Die "Sparsamen Vier" haben diesen Aspekt, neben anderen Staaten, stark unterstützt. Die Bedingungen orientieren sich an den länderspezifischen Empfehlungen, die sich schon bisher bewährt haben. Sie haben den Vorteil, dass sie mit den Regierungen der Staaten entwickelt werden, ihnen also nicht aufs Auge gedrückt werden. Das steigert die Akzeptanz.

STANDARD: Kleine gegen große Staaten: So ähnlich war das gerade bei der Impfstoffverteilung. Kanzler Sebastian Kurz hat sie als Basar kritisiert. Dafür wurde er vor allem aus Deutschland hart attackiert. Wien sei nun in Brüssel isoliert, heißt es. Stimmt das?

Hahn: Es hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt, dass einzelne Mitgliedsstaaten selbstbewusster geworden sind, nicht länger bereit sind zu akzeptieren, was sich etwa Berlin und Paris untereinander ausmachen. Ich würde das als eine positive Entwicklung sehen. Das gilt für Österreich, für Dänemark, für Finnland, es gilt für die mittel- und osteuropäischen wie auch die baltischen Staaten. Jedes einzelne Mitgliedsland ist nach der Beitrittswelle 2004 selbstbewusster geworden. Ich sehe das als einen natürlichen Prozess an.

STANDARD: Was naturgemäß vor allem für die kleinen Länder gilt.

Hahn: Natürlich. Man muss auch sagen, nach dem Abgang der Briten ist ein gewisses Vakuum entstanden, auch gesellschaftspolitisch, das es aufzufüllen gilt. Im Dreieck London/Paris/Berlin hat es unterschiedliche gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Konzepte gegeben. Man hatte den Eindruck, die frugalen vier, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich, wollen das ein bisschen übernehmen.

STANDARD: Beim Streit um die Impfstoffe standen die Dänen und Niederländer gegen Österreich, dafür ging Kurz mit den Osteuropäern. Welche Fehler hat der Kanzler gemacht?

Hahn: Eine gewisse Irritation ist in der Tat entstanden, weil ja die flexible Verteilung der Restmengen eine Entscheidung der Mitgliedsstaaten war, einschließlich Österreichs. Der Vorwurf eines Basars oder von Geheimabsprachen war offensichtlich nicht zutreffend. Aber ich würde nicht sagen, dass Österreich da nachhaltig Schaden genommen hat. Es wäre nur in Zukunft wichtig, Initiativen bereits im Entscheidungsprozess einzubringen, statt hintennach zu kritisieren.

STANDARD: Kurz hat sich für die Osteuropäer und den Westbalkan engagiert. Zeigt sich am Impfstreit nicht auch, wie sehr die EU geistig noch immer in West und Ost gespalten ist?

Hahn: Dass sich Österreich für die ost- und südosteuropäischen Länder einsetzt, entspricht auch den Schwerpunkten seiner Außenpolitik. Da versucht Österreich seiner Aufgabe gerecht zu werden. Das ist vom Grundansatz her richtig, und ich bin als ehemaliger Erweiterungskommissar, der die Region sehr gut kennt, dankbar dafür. Denn unsere unmittelbare Nachbarschaft ist ja für unsere Sicherheit bzw. Kooperation in wichtigen Fragen wie Klimaschutz, Migration, Pandemiebekämpfung etc. äußerst wichtig. Vielleicht kann man das noch besser kommunizieren.

STANDARD: Was würden Sie der österreichischen Europapolitik für die Zukunft empfehlen?

Hahn: Es gibt immer Verbesserungspotenzial. Wichtig ist eine solide Kommunikation, was die Absichten und die Ziele sind, und ein strategischer Ansatz, nicht punktuelle Aktionen. Grundsätzlich begrüße ich es, wenn sich Kanzler und Minister europapolitisch stärker engagieren, weil es letztlich dem Land hilft. Es sollte jedoch in einer konstruktiven Art und Weise geschehen, sodass bei den europäischen Partnern Verständnis für die österreichischen Anliegen bzw. Initiativen geweckt wird, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist.

STANDARD: Die Corona-Krise ist jetzt ein Jahr alt. Was hat das aus Europa gemacht?

Hahn: Alle Teile der Gesellschaft haben in der einen oder anderen Form ganz neue Erfahrungen gemacht. Wir haben in der Kommission innerhalb einer Woche 32.000 Mitarbeiter auf Teleworking umgestellt. Das war nur möglich, weil jeder mit Equipment ausgestattet war. Aber es gibt auch große Akzeptanzprobleme, psychologischer Natur, viele Menschen fühlen sich isoliert. Die Bereitschaft, in digitale Fertigkeiten und Bildung zu investieren, hat dramatisch zugenommen. Wir werden in vielen Bereichen eine ganz neue Form des Arbeitens nachhaltig entwickelt haben. Es wird eine Kombination aus Teleworking und Arbeiten im Büro geben.

STANDARD: Was ist die Auswirkung auf das gesamte Leben?

Hahn: Das alles wird große Auswirkungen etwa auf die Stadtplanung haben. Die Preise für Häuser im Grünen, Wohnungen mit Terrassen steigen. Gleichzeitig gehen die Büroflächen zurück, oder sie werden umgewidmet. Das hat Auswirkungen auf die öffentliche Infrastruktur. Wir werden weniger Dienstreisen haben, nicht nur auf europäischer Ebene. Es gibt sehr viele positive Aspekte. In den Städten leidet normalerweise jeder unter dem täglichen Verkehrsstau. Jetzt fällt dieser Stress beim Weg zur Arbeit für viele an manchen Tagen weg, und dies hilft der Umwelt. Wir müssen neue gesetzliche Rahmenbedingungen für die Arbeit schaffen.

STANDARD: Droht uns der Aufstieg der Ego-Europäer, die vor allem von eigenen Problemen getrieben sind und nicht mehr über die Grenzen und den Tellerrand schauen?

Hahn: Was ich von politischer Führung erwarte, ist eine Perspektive. Es zeichnet sich ein Ende der Pandemie ab. Jetzt muss man den Menschen zeigen, was danach möglich sein wird. Da ist die Politik gefordert. Es ist nicht so, dass es diese Divergenzen nur zwischen Nationalstaaten und EU-Institutionen gibt. Es gibt sie zwischen den Regionen und den Ländern, den Gemeinden. Jeder versucht sein Heil in sehr lokalen Maßnahmen zu finden. Aber am Ende müssen wir immer verstehen, dass wir aus dieser Krise nur herauskommen, wenn wir das Gemeinsame vor das Einzelne, den EU- bzw. globalen Ansatz vor das Lokale stellen. Denn das Management einer Krise dieser Dimension kann nur auf einer übergeordneten Ebene und in umfassender Weise koordiniert werden.

STANDARD: Oder die bessere Vernetzung ausbauen, auch digital?

Hahn: Korrekt. Wir müssen begreifen, dass wir nur sicher sind, wenn alle aus der Krise herauskommen. Auch gesellschaftlich. Wir haben einen Binnenmarkt, wir profitieren davon, Österreich sogar überproportional. Aber damit der Binnenmarkt funktionieren kann, müssen alle Teile des Marktes Beiträge liefern. Die Versorgungsketten machen nicht vor gemeinsamen Grenzen halt. Das gilt natürlich auch für die globale Ebene. Auch die grünen Zertifikate sind dazu nötig. Das muss alles funktionieren.

STANDARD: Wenn die Pandemie vorbeigeht, könnte sogar ein Boom entstehen, weil viele Menschen dann wieder Geld für Konsum, für Reisen etc. ausgeben können, welches sie seit einem Jahr nicht ausgeben konnten. Aber es wird auch viel mehr Menschen geben, denen es schlechter geht als vorher, die zurückbleiben, die es noch schwerer haben. Wie sehen Sie das?

Hahn: Ich würde das zu hundert Prozent unterschreiben. Die Stärkung des sozialen Zusammenhalts ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie, wie wir gemeinsam aus der Krise wieder herauskommen. Und es wird auch eine der größten Herausforderungen sein, nach der Pandemie wieder zu Regeln und Strukturen zurückzukehren, wenn auch adaptiert. Ein Beispiel: Die Kommission hat rund 400 Beihilfenregeln ausgesetzt oder auch Regeln bei der Vergabe von Strukturfondsgeldern. Gelder konnten auch in bessergestellten Regionen verwendet werden, was früher ein No-Go gewesen wäre. Viele haben sich an diesen Zustand gewöhnt. Es wird schwierig werden, zur Ordnung zurückzufinden.

STANDARD: Also zu dem, was man bisher eine geregelte Marktwirtschaft genannt hat?

Hahn: So ist es, wobei ich sie, insbesondere in Hinblick auf die Zukunft Europas, als ökosoziale Marktwirtschaft definieren würde. Eine Wirtschaft, in deren Zentrum der Mensch steht, wie wir es auch in unseren politischen Leitlinien definiert haben. Wir haben derzeit eine sprunghafte Verschuldung der Staatshaushalte. Diese war auch notwendig. Österreich hat Gutes geleistet, was die Bereitstellung staatlicher Hilfe für die Wirtschaft betrifft, laut IWF steht es an zweiter Stelle. Da wieder zur Marktwirtschaft zurückzukehren, die Haushalte zu sanieren, die Schulden wieder abzubauen, das wird eine echte Herausforderung. Und es ist nötig, denn Leistungen für die Allgemeinheit wie zum Beispiel im sozialen und Gesundheitsbereich können nur aufrechterhalten werden, wenn die Überschuldung in Grenzen gehalten wird. (Thomas Mayer, Langfassung, 9.4.2021)