Die Razzia im Verfassungsschutz der Republik war ein entscheidender Grund dafür, die Strafprozessordnung zu reformieren.

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Für den Verfassungsjuristen Heinz Mayer ist sie ein "Kopfschuss für den Rechtsstaat", für SPÖ-Vizechef Jörg Leichtfried ein Schritt "in Richtung Ungarn und Polen", und auch die Vertreter der Staatsanwälte wollen ihre Überarbeitung: Die Novelle der Strafprozessordnung (Stpo) hat in den vergangenen Wochen für einigen Wirbel gesorgt.

Angehängt an die vom Innenministerium eingebrachte Reform des Verfassungsschutzes will das Justizministerium mit dem neuen Entwurf präzisieren, wie Ermittlungen gegen andere Behörden oder Amtsträger ablaufen. Vereinfacht gesagt, sollen Unterlagen nicht mehr per Hausdurchsuchung oder Sicherstellung zur Justiz gelangen, sondern über das altbekannte Mittel der Amtshilfe.

Statt in einem Ministerium aufzutauchen, um beispielsweise Diensthandys oder Akten sicherzustellen, sollen Staatsanwälte sich also an den Behördenleiter wenden, der dann die gewünschten Dokumente oder IT-Geräte (zum Beispiel Diensthandys) liefert. So weit, so normal – eigentlich.

Die Opposition befürchtet jedoch, dass dieser Weg der Vertuschung Tür und Tor öffnet. "Das ist ein Angriff auf alle Antikorruptionsermittler, ein Angriff auf den Rechtsstaat und ein Angriff auf die Republik, um türkise Netzwerke zu schützen, türkise Machenschaften und türkise Postenvergaben zu schützen", warnte SPÖ-Klubvize Leichtfried in einer Pressekonferenz. Rasch wurde, auch medial, über etwaige "türkise Seilschaften" spekuliert, die diesen Entwurf ohne Wissen der grünen Ministeriumsspitze lanciert hatten.

Sündenfall BVT-Razzia

Allerdings ist die Angelegenheit um einiges komplizierter – und sie zeigt, wie schnell die Tagespolitik vergisst. Zurück ins Jahr 2018, konkret zum 28. Februar dieses Jahres: Da marschierten Polizisten der Einsatzgruppe für Straßenkriminalität (EGS) unter Leitung eines blauen Gemeinderats im Verfassungsschutz auf, um stundenlang in Staatsgeheimnissen zu wühlen.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hatte die Hausdurchsuchung angeordnet, sie war spätnachts von einem Journalrichter richterlich bewilligt worden. Die Hausdurchsuchung galt der politischen Opposition als Skandal, der die Handlungsfähigkeit des Verfassungsschutzes beschädigt hat.

Auch die WKStA sah sich heftiger Kritik ausgesetzt. Der Abschlussbericht des BVT-U-Ausschusses stellte klar fest, dass sich die Korruptionsstaatsanwaltschaft von der FPÖ und dem Umfeld ihres Innenministers Herbert Kickl beeinflussen ließ; etwa indem man Verdachtsmomente auf Aussagen von Zeugen aufbaute, die von der Ministeriumsspitze übermittelt worden waren.

Die unabhängige Justiz kassierte die Razzia ein: "Braucht das Gericht Akten von Behörden, hat es um Amtshilfe zu ersuchen", stellte das Oberlandesgericht (OLG) Wien in Bezug auf die Hausdurchsuchung beim BVT fest. Die Razzia sei zum Großteil "nicht verhältnismäßig" gewesen.

Amtshilfe als Mittel der Wahl

Also machte sich das Justizministerium mit Blick auf die BVT-Reform an die Arbeit. Unterstützende rechtstheoretische Überlegungen gab es zuhauf: So schrieb beispielsweise die renommierte Rechtsprofessorin Ingeborg Zerbes noch im Jänner 2021, dass der "Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel" gegen Behörden und Beamte sogar "verfassungswidrig" sei.

Amtshilfe sei das Mittel der Wahl – und wenn gegen die Verpflichtung zur Amtshilfe verstoßen werde, drohen "in letzter Konsequenz" laut Zerbes disziplinarrechtliche, strafrechtliche und staatsrechtliche Folgen für den verantwortlichen Beamten.

Und dann kamen die Causen Pilnacek und Blümel samt anhängigen Verfahren gegen Vertraute – es gilt die Unschuldsvermutung.

Durch die strafrechtlichen Ermittlungen gegen diese hochrangigen Beamten und Minister wurde das Konzept der Amtshilfe schwer beschädigt. Im Raum steht, dass quer über Ministeriumsgrenzen ein "ÖVP-Netzwerk" existiert, angedeutet etwa durch die Rechtsberatung von Justiz-Sektionschef Pilnacek bei Blümels Kabinettschef Clemens-Wolfgang Niedrist. "Das ist ein Putsch", schrieb ihm Pilnacek. Und riet: "Meine Empfehlung wäre: BMF sucht aufgrund der Anordnung das dazu Passende heraus. Wenn das der StA (Staatsanwaltschaft, Anm.) nicht genügt, muss sie sehen, wie sie zu mehr kommt ..."

Keine Aktenlieferung

Auch andere Vorgänge abseits von Amtshilfe irritieren: So verpflichtete der Verfassungsgerichtshof (VfgH) das Finanzministerium, dem Ibiza-U-Ausschuss E-Mails zu übermitteln – bis heute ist das nicht passiert. Vor dem Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz nach dem Ibiza-Video schredderte ein nicht-zuständiger Mitarbeiter unter falschem Namen heimlich Festplatten.

Im U-Ausschuss können Befragte immer wieder nicht klar sagen, wie viele Handys und Laptops sie benutzen; außerdem werde – etwa von Kanzler Kurz – ohnehin regelmäßig "gelöscht". Noch dazu sprachen zahlreiche ÖVP-Granden, darunter etwa Kurz oder Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, von "zahlreichen Verfehlungen" der WKStA, sie mischten sich also aktiv in die Ermittlungen gegen Blümel ein.

Das für Amtshilfe nötige Vertrauen, das die Justiz anderen Behörden entgegenbringen muss, wurde damit massiv beschädigt. Dass Christian Pilnacek als (nun vorläufig suspendierter) Sektionschef der Legistik-Abteilung für die Strafrechtsprozessordnung-Reform verantwortlich war, hilft deren Ansehen auch nicht. Ebenso, dass das Innenministerium statt des grünen Justizministeriums die Novelle als Teil der BVT-Reform eingebracht hat.

Quadratur des Kreises

Wie geht es nun weiter? Justizministerin Alma Zadić kündigte nach den Protesten an, den Gesetzesentwurf mit Expertinnen und Experten besprechen zu wollen. Gegebenenfalls sollen Änderungen vorgenommen werden – wie, ist jedoch noch unklar. Razzien bei Behörden gelten oft als nicht verhältnismäßig; sie zu verbieten ist im derzeitigen politischen Klima nicht möglich.

Es ist also eine Quadratur des Kreises, die Zadić nun bevorsteht. Und möglicherweise ist es auch ein heikles Eingeständnis, das die Justizministerin damit abgibt: nämlich, dass sie versteht, warum man ÖVP-geführten Ministerien nicht vertrauen kann, die von der Justiz gewünschten Akten per Amtshilfe zu liefern. Dann wäre man schon nah an einem "Failed State", raunen Juristen.

Vorerst soll also alles so bleiben, wie es ist: In den allermeisten Fällen, wenn zum Beispiel gegen Beamte wie Lehrer oder Polizisten ermittelt wird, kommt es zur Amtshilfe, in politisch heiklen Causen darf die Justiz auch andere Mittel einsetzen. Und bis die Expertenrunde ihre Vorschläge abgeliefert hat, könnte sich das politische Klima wieder beruhigt haben, so die Hoffnung im Justizministerium – oder endgültig klar sein, dass man in diesem Land nicht auf Razzien in Behörden verzichten kann. (Fabian Schmid, 10.4.2021)