Die Abwägung zwischen der Bedrohung des Virus selbst und den Auswirkungen der Schutzmaßnahmen ist auch in Gefängnissen nicht leicht.

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Auch Gefängnisse sind keine geschlossenen Systeme. Tagtäglich gehen Freigänger, Justizwachebeamte und Anwältinnen ein und aus. Seit Beginn der Pandemie standen die Haftanstalten daher vor besonderen Herausforderungen. Die Befürchtung: Infektionscluster könnten sich aufgrund der beengten Platzverhältnisse besonders rasch ausbreiten. Im sogenannten "Felsen", der Justizanstalt Stein, wurden im März rund 30 Insassen positiv auf das Coronavirus getestet.

Der betroffene Bereich wurde isoliert und darf ausschließlich mit Schutzausrüstung betreten werden. Besuche und das sonstige Anstaltsleben reduzierte die Gefängnisleitung auf das notwendige Minimum. Die Volksanwaltschaft leitete mittlerweile ein Prüfverfahren ein. Man wolle "sicherstellen, dass ausreichend Maßnahmen gesetzt wurden, um eine weitere Ausbreitung des Clusters zu verhindern".

Strikte Maßnahmen

Dass Meldungen von Infektionen in Haftanstalten bisher eher rar waren, verwundert, zumal nur an wenigen anderen Orten des Landes derart viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Laut Justizministerium konnte das Virus bislang weitestgehend aus dem Straf- und Maßnahmenvollzug ferngehalten werden – nicht zuletzt auch aufgrund strikter Maßnahmen, die Clusterbildungen in Gefängnissen verhindern sollen.

Ausgänge sind grundsätzlich untersagt. Freigänge für berufliche Tätigkeiten außerhalb der Justizanstalt sind nur dann zulässig, wenn das Infektionsrisiko durch Hygienemaßnahmen reduziert werden kann. Ausnahmen gibt es außerdem dann, wenn Insassen die Anstalt zur Erledigung unaufschiebbarer persönlicher Angelegenheiten verlassen müssen. Auch Besuche sind derzeit nur eingeschränkt und hinter einer Glasscheibe möglich. Treten im Gefängnis Fälle auf, werden sie ganz untersagt.

Schlägerei wegen Telefons

Insbesondere in Zeiten, in denen gar keine Besuche möglich sind, sei es wichtig, Insassen dennoch die Möglichkeit zu geben, mit ihren Angehörigen zu kommunizieren, sagt Christina Ratz, Mediensprecherin im Justizministerium. Deshalb habe man das Angebot von Telefonen erhöht und ermögliche seit Ausbruch der Pandemie auch Videotelefonie.

Laut Strafverteidiger Nikolaus Rast reiche das aber nicht aus: "Es gibt definitiv nicht genug Infrastruktur, die die fehlenden Besuche kompensiert. In einem Besucherraum können normalerweise etwa zehn Leute gleichzeitig sitzen. Oft steht aber nur ein Telefon zur Verfügung. Das kann sich nicht ausgehen." Rast habe erst kürzlich einen Fall vertreten, in dem eine Schlägerei losging, weil Häftlinge um das Telefon stritten.

Besonders schwierig sei die Situation für Untersuchungshäftlinge, betont Rechtsanwalt Leonhard Kregcjk. Wird man einer strafbaren Handlung verdächtigt und festgenommen, werde man zunächst einmal für 14 Tage allein oder zu zweit in einer Zelle isoliert. In dieser Zeit sei aktuell auch kein Besuch möglich. "Die zwei Wochen Isolation bedeuten für den Häftling, dass er abgesehen von Justizpersonal und seinem Anwalt niemanden sieht."

Ähnliche Probleme wie "draußen"

"Die Lebensräume wurden noch enger, da Hafträume und ganze Trakte für etwaige Notmaßnahmen freigehalten werden müssen", erzählt Markus Fellinger, evangelischer Gefängnisseelsorger. "Die Ansteckungsgefahr muss durch die Reduzierung der Kontakte in Grenzen gehalten werden. Gleichzeitig sind aber auch Gesprächsangebote wichtig." Auch die Seelsorge sei daher ambivalent bewertet worden: Als potenzielle Gefahr von außen und als Unterstützung in der schwierigen Zeit von innen. Man müsse hier zwischen der Bedrohung des Virus selbst und den Auswirkungen der Schutzmaßnahmen abwägen. So, wie das auch "draußen" der Fall sei, wie der Seelsorger betont.

Am schwierigsten ist die Situation laut Fellinger aber für jene, die aufgrund psychischer Erkrankungen im Maßnahmenvollzug untergebracht sind. "Die brauchen einfach Sozialausgänge und anbahnende Maßnahmen für die Entlassung. Die Sicherheitsmaßnahmen bedeuten für Untergebrachte unter Umständen mehrere Monate oder sogar Jahre längere Aufenthaltsdauer." Das Justizministerium will das aber nicht bestätigen. Ausgänge aus therapeutischen Gründen seien weiterhin möglich. Die Entlassungsvorbereitungen untergebrachter Personen werden laut Christina Ratz nicht verzögert oder verhindert.

Aufgeschobene Haftantritte

Insgesamt sei die Anzahl der Häftlinge in Österreichs Gefängnissen sogar gesunken. Die aktuelle Rechtslage sehe nämlich vor, dass der Strafantritt in vielen Fällen aufzuschieben ist. Das ist nur dann ausgeschlossen, wenn die begangene Straftat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht ist oder ein Sexualdelikt vorliegt. Die Gesamtauslastung der Strafanstalten konnte so von 94 auf 86 Prozent reduziert werden.

Bei Strafverteidiger Rast führte das zu Erstaunen: "Im ersten Lockdown haben Mandanten von mir Delikte begangen, wo ich nicht einmal nachdenken musste, ob die in Untersuchungshaft kommen. Aber sie sind wider Erwarten nicht eingesperrt worden."

Impfungen nach Plan

Laut Justizministerium wolle man allen impfwilligen Bediensteten sowie Insassinnen und Insassen eine Covid-19-Impfung zur Verfügung stellen. Vorgezogen, wie aufgrund der beengten Platzverhältnisse teilweise gefordert, werden Häftlinge aber nicht. "Die Zeitpunkte der Impfung richten sich nach dem Phasenplan der Bundesregierung", sagt Pressesprecherin Ratz.

Seelsorger Fellinger betont, dass Strafgefangene jedenfalls nicht die Hauptleidtragenden der Krise sind. "Die sind schon alle eingesperrt. Da kommen jetzt noch zusätzlich Einschränkungen dazu, aber die existenzielle Not, die andere haben, oder die psychische Belastung durch familiäre Situationen fallen oft weg." Gefangene seien immerhin die "Experten des Eingesperrtseins". (Jakob Pflügl, 11.4.2021)