Der Ärger in Steyr über die Werkschließungspläne des deutschen Nutzfahrzeugherstellers MAN ist ebenso verständlich wie die Enttäuschung darüber, dass die Belegschaft des Lkw-Werks gegen Siegfried Wolfs Übernahmeangebot gestimmt hat. Für jeden einzelnen Arbeiter oder Angestellten ist ein Jobverlust ein schwerer persönlicher Schlag; das Aus für MAN Steyr würde die ganze Region hart treffen.

Dennoch: Aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht sind die Ereignisse in Steyr weniger dramatisch, als es scheint. Es gibt gute Gründe, dass der VW-Konzern, zu dem MAN gehört, die Lkw-Produktion von Oberösterreich nach Polen verlagert, wo die Bruttolöhne nur ein Drittel des heimischen Niveaus betragen. Es hat mittelfristig wenig Sinn, in einem Hochlohnland Laster mit ihrem hohen Blech-zu-Software-Verhältnis zusammenzuschrauben, selbst wenn das noch so effizient geschieht.

Konzerne im globalen Wettbewerb müssen für solche Tätigkeiten die kostengünstigsten Standorte suchen, sonst haben sie gegen chinesische Konkurrenten keine Chance. Deshalb wäre auch Wolfs Plan, Lkws für den russischen Hersteller GAZ in Steyr zu produzieren, um auf diese Weise westliche Sanktionen zu umgehen, nur eine temporäre Lösung für den Standort.

Eine Schließung des MAN-Werks in Steyr würde die Region hart treffen, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen wären aber nicht allzu dramatisch.
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Strukturwandel

Die Verlagerung von Produktion in den Osten läuft in Europa seit Jahrzehnten. So schmerzhaft dieser Prozess für die Betroffenen auch ist, hat Österreich von diesem Strukturwandel enorm profitiert. Denn anstelle von Fließbandjobs sind andere Arbeitsplätze entstanden, die mehr Qualifikation erfordern und besser bezahlt sind – auch in der Industrie. Gerade Oberösterreich hat bewiesen, wie man alte Fertigkeiten und innovative Technologie in hochprofitablen Unternehmen verbindet.

Deshalb ist die Politik gut beraten, beim Tauziehen um das Steyr-Werk nur sanft einzugreifen. Großzügige Subventionen oder gar eine Verstaatlichung würde nur veraltete Strukturen festigen. Es ist bezeichnend, dass Parteien hierzulande stets versprechen, dass sie Arbeitsplätze bewahren oder sichern werden. In den USA heißt es hingegen: "Wir schaffen neue Jobs." Kein Wunder, dass die US-Wirtschaft sich immer wieder als dynamischer erweist als die europäische.

Gute neue Arbeitsplätze lassen sich weder per Dekret noch mit Geldspritzen herbeizaubern. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, und die zu schaffen ist die größte Herausforderung für die Politik. Die Voraussetzungen sind gegeben, aber auch die Mängel sind wohlbekannt: Es fehlt an Fachkräften, auch weil die Schulen und das Lehrlingssystem schwächeln. Es fehlt an Kapital, vor allem für erfolgreiche Start-ups und Mittelbetriebe, die weiter wachsen wollen. Die Bürokratie und zahlreiche Vorschriften stehen schnellen unternehmerischen Entscheidungen immer wieder im Weg. Straßen und Brücken sind in gutem Zustand, aber beim Breitband klemmt es allzu oft.

Dass in Steyr seit 102 Jahren Lkws hergestellt werden, ist kein Grund, sich an dieser Tradition festzuklammern. Wenn das Werk doch noch fortgeführt werden kann, dann bringt das einen Zeitgewinn, den die Region bestmöglich nutzen muss. Aber auch eine Schließung könnte Oberösterreich verkraften – um sich dann umso stärker auf eine wirtschaftliche Zukunft zu konzentrieren, in der schwere Brummer kaum noch eine Rolle spielen. (Eric Frey, 9.4.2021)