Immer wieder kam es zu Versuchen, die Sperrketten zu durchbrechen.

Foto: Christian Fischer

Manche argumentierten für die Gastro-Öffnung.

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Die Impfung wurde nicht nur mit Diktatur, sondern auch mit Genozid in Verbindung gebracht.

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Dreißig Jahre lang habe sie die Grünen gewählt, sagt eine Frau, und ist sichtlich empört: Das sei gewesen, noch bevor ein grüner Gesundheitsminister beschlossen habe, alle ein- und den Rest zuzusperren. "Wir befinden uns im Weltuntergang", sagt sie, "aber nicht wegen dem Virus, sondern wegen den Maßnahmen." Sie will anonym bleiben, nicht nur gegenüber dem STANDARD, sondern auch auf der Kundgebung – denn nicht jeder müsse über ihre Ansichten Bescheid wissen. Das sei auch der Grund, wieso sie eine schwarze Perücke trage. Wählen werde sie künftig jedenfalls nicht mehr gehen, sagt sie, und lockert ihre FFP2-Maske. Denn damit kriege man "einfach keine Luft".

Ob es ihr denn keine Sorgen bereite, dass die Intensivstationen in den Krankenhäusern bereits am Anschlag sind? Was darüber berichtet werde, glaube sie nicht, entgegnet sie. Dass es Corona gibt, zweifle sie nicht an. Aber weder kenne sie jemanden, der sich mit dem Virus angesteckt hätte, und schon gar nicht jemanden, der deshalb im Krankenhaus gelandet wäre. "Ich bin kein Nazi, und ich hab auch keinen Aluhut", stellt sie außerdem klar. Auch ein Schild, auf dem ebendies festgehalten wird, hat sie mitgebracht.

DER STANDARD

Luftballons und Bier

Die Frau ist am Samstag dem erneuten Ruf zum Protest gegen die Corona-Maßnahmen gefolgt, zu dem verschiedene Gruppierungen aufgerufen haben, darunter auch wieder jene um Ex-Politiker und Rechtsaußen-Aktivist Martin Rutter. Dieses Mal mit Treffpunkt im Schweizergarten und unklarem Plan, wohin und in welcher Form demonstriert werden soll. Im Aufruf war sowohl von Kinderschminke und Luftballons als auch dem "Gefühl purer Freiheit" die Rede.

Vor Ort gibt es dann schlussendlich keine Schminke, wenig Luftballons, aber dafür einiges an Bier. Aus Lautsprechern tönt Austropop, dazwischen auch immer wieder Nazirap und Rechtsrock. Eine Frauenstimme fordert über Tonband: "Knast für Drosten! Nehmt Politiker zum Impfen, keine Versuchskaninchen!" Viele Gruppen sind mit Österreichfahnen unterwegs, hin und wieder sind auch Symbole der antisemitischen Verschwörungsbewegung "QAnon" zu sehen. Auf unzähligen Plakaten wird vor einer vermeintlichen Zwangsimpfung und einer Diktatur gewarnt. Die Polizei stellt zunächst vereinzelt und dann großflächiger Identitäten fest, der Zustrom zur Kundgebung wird zuerst nicht kontrolliert.

Versuch, Polizeisperren zu durchbrechen

Im Vorfeld der Demo kam es zu einer Spaltung unter den Organisatoren, dahinter dürften Meinungsverschiedenheiten um Fragen von gewalttätigem Widerstand stehen. Einige Proponenten der Demo-Szene haben sich jedoch auch an diesem Samstag wieder versammelt. Ebenso Gesichter des organisierten Rechtsextremismus, darunter der mehrfach verurteilte Neonazi Gottfried Küssel und Identitären-Sprecher Martin Sellner. Auch eine beachtliche Anzahl an gewaltbereiten Hooligans ist anwesend und gibt zeitweise immer wieder den Ton an. Vereinzelt sind Personen mit FPÖ-Masken zu sehen, auch Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch ist vor Ort.

Nach einem kleinen im Schweizergarten entzündeten Feuerwerk beginnt sich am frühen Nachmittag die versammelte Gruppe schließlich zu einem Demonstrationszug zu formieren, zuerst zögerlich und chaotisch. Nach und nach wird der "Kurz muss weg"-Stimmchor lauter. Die vorderen Reihen des Demozugs steuern diesen schließlich gezielt auf eine Polizeiabsperrung. Mit Gewalt versuchen die Demonstranten diesen zu durchbrechen, scheitern nur knapp und aufgrund massiven Pfeffersprayeinsatzes der Polizei.

Zu diesem Zeitpunkt kommt es von Hooligans zu Angriffen auf Fotografinnen und Fotografen, wie diese dem STANDARD berichten. Auch der freie Journalist Michael Bonvalot berichtet auf Twitter von physischen Angriffen.

Kurze Zeit später trifft eine antifaschistische Gegendemonstration ein. Etwa 1.000 Personen folgten dem Aufruf "Gegen Rechtsextremismus und Mitläufer:innen" zu demonstrieren. Für einige Zeit stehen sich die beiden Gruppen gegenüber, werden jedoch durch Sperrgitter und Polizeiketten getrennt.

Immer wieder kommt es zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei, auch Gegenstände werden geworfen. Die Stimmung ist über weite Strecken aggressiv. Beamten wird "Verräter!" hinterhergerufen. Versuche seitens der Demonstranten, die Polizei zu "umwerben", wie es bei vergangenen Protesten zu beobachten war, waren keine mehr zu sehen. "Die Polizei, dein Freund und Helfer, heißt es doch immer", ruft eine Frau, die offenbar Lehrerin ist, Polizisten zu. "Das werd' ich meinen Kindern künftig nicht mehr sagen können!"

Die anfängliche Euphorie weicht dann im Laufe des Nachmittags einer zunehmenden Resigniertheit: Nachdem mehrere Versuche im großen Stil Polizeiketten zu durchbrechen scheitern, ziehen sich nach und nach immer mehr Personen wieder in den Schweizergarten zurück. Der Demozug zieht im eingekesselten Bereich immer wieder im Kreis. Mehrere Male verkündet die Polizei die Auflösung der Versammlung. Der Gürtel bleibt aber für Stunden blockiert und der Schweizergarten gefüllt mit Demonstranten.

Vorerst 15 bestätigte Festnahmen

3.000 Teilnehmer waren laut Einschätzung der Polizei zu Höchstzeiten in und rund um den Schweizergarten. Das sind deutlich weniger als bei den Großdemos im Jänner und Februar. Insgesamt wurden 15 Personen festgenommen.

Ein Teil davon erfolgte aufgrund von Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Sachbeschädigungen. Eine Festnahme gab es im Zusammenhang mit dem Verbotsgesetz. Die Polizei berichtete am Sonntag von insgesamt 649 Anzeigen, 36 davon wegen strafrechtlicher Vergehen, 130 verwaltungsrechtlicher Natur und fast 500 Anzeigen gab es wegen Verstößen der Covid-Verordnung. Außerdem wurden vier Polizisten verletzt und zwei Dienstfahrzeuge beschädigt. Das Gerücht, dass sich auch Rädelsführer Martin Rutter unter den Festgenommenen befindet, wird in internen Polizeikreisen dementiert.

Am frühen Abend hat sich die Kundgebung schließlich merklich ausgedünnt, es kommt nur mehr zu vereinzelten Scharmüzeln mit der Polizei. Kleinere Gruppen sitzen noch im Schweizergarten. Die Stimmung ist gedrückt. "Damals, beim Kickl, waren viel mehr Leute", sagt ein Mann und nimmt einen Schluck von seinem Dosenbier. "Und die Stimmung war auch besser." Doch dieses Mal hatte die FPÖ im Vorfeld nicht offiziell zum Protest gerufen. (Vanessa Gaigg, red, 10.4.2021)