Im Labor des Wiener Startups Pregenerate wird an einer personalisierten Behandlungsmethode von Arthritis geforscht.
Foto: Pregenerate/Markus Pasztorek

Die menschlichen Zellen, die in einem Inkubator im Vienna Biocenter gezüchtet werden, müssen konstant 37 Grad haben, damit sie wie im menschlichen Körper leben können. Markus Pasztorek zieht sich blaue Gummihandschuhe über, öffnet den großen grauen Kasten und holt die Knorpelzellen, also die Chondrozyten, wie er erklärt, heraus. Nur für kurze Zeit können sie die simulierte Körperumgebung verlassen. Der Molekularbiologe hält nun einen transparenten Plastikchip in der Hand, in dem die Zellen in eine 3D-Matrix eingebettet sind, die wie kleinen Schiffchen aussehen.

Seine Kollegin Johanna Fischer zeigt auf einen runden Punkt: "Hier sind die Zellen, und da drunter", sie deutet auf die zwei langen, dünnen Kanäle, die zu dem Pünktchen führen, "da kommt das Medium rein." Fischer fügt hinzu: "Man muss die Zellen ja schließlich füttern." Pro Chip haben 32 Proben Platz. In jedem der Schiffchen liegt eine Zellprobe, die die Forscher unterschiedlich behandeln.

"Organ-on-a-Chip"-Technologie

Mit dieser "Organ-on-a-Chip"-Technologie will das Team in St. Marx in Wien eine neue Diagnose und Behandlung gegen Osteoarthritis, die häufigste Form von Arthritis, entwickeln. Weltweit leiden über 300 Millionen Menschen an entzündlichen Gelenken, nur ein Teil der Patienten spricht auf die gängigen Behandlungen an. Die neue Methode soll alte Verfahrensmuster hinter sich lassen. Wer bisher etwa mit Knieschmerzen zum Arzt ging, wurde direkt am erkrankten Knie behandelt.

Das Team in St. Marx will den Prozess umdrehen. Anstatt an der erkrankten Körperstelle zu behandeln, sollen in Zukunft Zellproben entnommen und diese dann außerhalb des Körpers in dem Chip getestet werden, und zwar mit unterschiedlichen Medikamenten. Nur das Medikament, das am besten anspricht, soll dann tatsächlich dem Patienten verabreicht werden. Noch tüfteln die Forscher daran, die Analysen zu perfektionieren.

Mittels eines Chips könnte zukünftig getestet werden, welche Behandlungsmethode am erfolgsversprechenden ist.
Foto: Pregenerate/Markus Pasztorek

Künstlich eingefärbte Zellen

Pasztorek zieht vorsichtig, mit zwei Fingern, die Schutzfolie von dem flachen Chip, bevor er die Zellen unter das Fluoreszenzmikroskop legt. Der Raum im Vienna Biocenter ist mit Rollos abgedunkelt. An das Mikroskop ist ein Monitor angehängt, auf dem nun große Kreise in verschiedenen Farben erscheinen. Das fluoreszierende Licht kann Dinge in den winzigen Zellen darstellen, die dem Auge normalerweise verborgen bleiben.

Grün erscheinen die lebenden Zellen, weil diese mit einem Stoff versehen sind, der sich nur bei lebenden Zellen "verstoffwechselt ... also eindringen kann", versucht der Biologe verständlich zu bleiben. Rot markiert tote Zellen. Hier kann der induzierte Stoff in den Zellkern eindringen, weil die Zellwand löchrig geworden ist. "Das ist eine Pseudocolor", stellt Pasztorek noch mal klar. Eigentlich haben diese Zellen überhaupt keine Farben. Die Stoffe, die er in den Chip eingepflanzt hat, reagieren bloß auf die Fluoreszenz. Ob das menschliche Auge das nun als rot, grün oder pink sieht – das kann er alles am Computer einstellen.

Zellen mit Ecken und Kanten

Während sich der Forscher über das Mikroskop beugt, klickt er am Bildschirm einige Kreise weg. Normalerweise sind die Zellen in dem Gel rund. Doch manche bilden Ausläufer, Ecken und Kanten, setzen sich am Boden ab und haften an der Oberfläche an. Etwa bei Arthritis verändern sich Zellen derartig.

Sechs Tage lang lässt er die Zellproben wachsen, dann behandelt er sie und lässt sie weitere sechs Tage im Inkubator. Im nächsten Schritt gehen die Proben an die Kollegen, die mit eigenen Tests eruieren, welche Behandlung am besten angesprochen hat.

Vom Prototyp zur Massentauglichkeit

Eben weil die Erkrankungen der Zellen so individuell sind, gäbe es bisher keine Heilung für Arthritis, sagt Julie Rosser, die Gründerin des Start-ups. Die gelernte Pferdechirurgin aus Arizona ist über Umwege in Wien und in der Arthritis-Forschung gelandet. Schon für ihren PhD hat sie einen Prototyp des Chips entwickelt, um die Krankheit bei Pferden zu behandeln. Nach rund 20 Jahren hat sie den OP-Kittel an den Nagel gehängt und Pregenerate gegründet, weil sie das System auch für Menschen nutzbar machen will.

"Wir Chirurgen sind Mechaniker. Wir verfolgen simple Ansätze und schauen einfach, was funktioniert", erklärt sie. Mit ihrem Team hat sie unter anderem Förderungen des Austria Wirtschaftsservice AWS und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG erhalten. Ihre Vision ist, in Zukunft nach vier bis sechs Wochen die beste Behandlung für die Patienten eruieren zu können. Auf dem Weg vom Prototyp hin zur Massentauglichkeit gibt es aber noch einige Hürden.

Julie Rosser war Pferdechirurgin bevor sie begann im Bereich der Arthritis zu forschen.
Foto: Pregenerate/Markus Pasztorek

Präzise Behandlung mittels KI

"Die Methode ist ja eigentlich nicht neu", sagt Zsuzsanna Zagyva, die Datenanalystin im Team. Oft sind die Probleme mechanischer Natur. Aktuell beschäftigt die Forscher, wie sie die Zellen wieder aus dem Chip herausbekommen, ohne die Probe zu zerstören. Hinein ging sie per Injektion leicht, aber wie kommt sie wieder heraus? Auch der Hammer war im Gespräch, erinnern sich die Forscher lachend.

Die Ziele des Teams sind hochgesteckt. Am Ende wollen sie nicht nur die beste Behandlung für eine Person finden, sondern insgesamt zielgerichtetere Behandlungen vorhersagen, und zwar mittels künstlicher Intelligenz. Frauen zum Beispiel gehen anders als Männer, sagt Fischer, die Auswirkungen von Arthritis sind andere. Genau untersucht wurde das bisher kaum. Mit einem detaillierten Datensatz könnte man bessere Vorhersagen über effiziente Therapien machen, sagt Zagyva.

Eine Hoffnung von Pferdeliebhaberin Rosser ist außerdem, dass diese Art der Behandlung in Zukunft Tierversuche reduzieren könne. Medikamente müssten nicht mehr an Tieren getestet werden, sondern direkt am erkrankten menschlichen Gewebe.

Das ist aber noch Zukunftsmusik. 2024 soll das Verfahren marktreif sein. Einstweilen heißt es für die Forscher: daran tüfteln, wie man die Zellen wieder aus dem Chip herausbekommt. (Anna Sawerthal, 13.4.2021)