Dass die Welt ungerecht ist beziehungsweise Macht, Vermögen, Einkommen und Einfluss ungleich und deutlich ungerecht verteilt sind, kann man an allen Statistiken ablesen. Die derzeitige Pandemie, vor allem aber die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen tragen noch weiter zur Ungleichheit bei. Hinzu kommt – global gesehen – eine sehr ungleiche Versorgung mit Impfstoff. Da hätte man sich als Europäer angesichts der europäischen Werte und Grundsätze gewünscht, dass die Europäische Union für sich selbst, aber vor allem für die Ärmeren dieser Welt für mehr Gerechtigkeit sorgt. Aber war das überhaupt möglich?

Ein deutlicher Mangel an Impfstoff

Das erste Hindernis für mehr Gerechtigkeit war und ist noch immer der Mangel an Impfstoff. Es ist eine Hochleistung der Wissenschaft gewesen, dass sie schnell einen beziehungsweise mehrere taugliche Impfstoffe entwickelt und hergestellt hat. Das ist keineswegs selbstverständlich und beruht nicht zuletzt auf internationaler Zusammenarbeit der Forschenden. Diesbezüglich hat die globale Zusammenarbeit funktioniert. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass es weltweit zu wenig Impfstoff gibt. Und je weniger es von einem dringend gebrauchten Gut gibt, desto schwieriger ist es, einen Teil der Menschen vom Verzicht im Interesse einer gerechten Verteilung zu überzeugen. Diese Nichtverfügbarkeit von Impfstoffen wird oft übersehen, wenn in einzelnen Ländern die Beschleunigung des Impfens gefordert wird. Jeder zusätzliche Impfstoff in einem Land oder für eine Bevölkerungsgruppe geht auf Kosten anderer Länder oder anderer Bevölkerungsgruppen.

Der Mangel an Impfstoffen ist vor allem durch die Pharmafirmen verursacht, die wissen, dass sie nicht so viel verdienen können, wie sie wollen, wenn sie viel produzieren. Um Abhilfe zu schaffen, gibt es den Vorschlag, den Markt zwar nicht auszuhebeln, aber neu zu organisieren. Mittels eines – öffentlich und privat – finanzierten Fonds sollten die Firmen mit einem einheitlichen Preis pro Impfstoff vergütet werden. Sie würden dann umso mehr bekommen, je mehr sie produzieren. Diese Vergütung würde die tatsächlichen Kosten der Produktion ersetzen. Zusätzlich würden sie eine Prämie bekommen, je wirksamer sich der Impfstoff erweist. Das wäre dann ein Anreiz, sich bei der Erforschung des Impfstoffs besonders zu bemühen. Und damit würde der besondere Forschungsaufwand abgegolten werden. Viele meinen – meiner Meinung nach zu Recht –, dass dies wirksamer wäre als die Freigabe von Patenten, die gerade den ärmeren Ländern angesichts des komplizierten Produktionsprozesses nicht viel helfen würde. Was wir generell brauchen, sind jedenfalls Anreize zu vermehrter globaler Produktion von Impfstoffen. Zugegeben, das erleichtert zwar die Erreichung der Verteilungsgerechtigkeit, löst sie aber noch nicht.

Hat die EU versagt – im Vergleich mit den USA und England?

Sicher fällt die Verfügung von Impfstoffen gemessen an der Bevölkerungszahl in der EU hinter der in den USA und Großbritannien eindeutig zurück. Betrachtet man die Forschungstätigkeit, so ist sie innerhalb der EU durchaus eine aktive. Das betrifft insbesondere Deutschland. Der Pfizer-Wirkstoff beruht auf Forschungen der Firma Biontech, die von türkischstämmigen Eigentümern in Mainz geführt wird. Aber Biontech ist nicht die einzige deutsche Pharmafirma, wenn auch sicher die erfolgreichste. Aber die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen ist nicht genug. Man braucht auch Produktionsstätten, allerdings gibt es die auch in Europa. Aber sie sind von Mutterkonzernen außerhalb der EU abhängig. Und genau das ist das Problem.

Hinzu kommt, dass die EU – und das sicher auf Druck der Mitgliedsländer – besonders sparsam agiert hat und die Kosten gedrückt hat beziehungsweise stark auf den kostengünstigen Impfstoff, den von Astra Zeneca, gesetzt hat – so wie übrigens auch Österreich. Dieses Unternehmen hat den Hauptsitz in Großbritannien und hat mit der Oxford University zusammengearbeitet. Darüber hinaus ist viel Geld seitens der britischen Regierung geflossen, und die hat überdies eine rasche beziehungsweise frühe Bestellung abgegeben. Und natürlich kann sich Premierminister Boris Johnson schneller entscheiden als die EU-Kommission, die 27 Mitgliedsländer konsultieren muss.

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Sparsamkeit rächt sich bei der Impfstrategie der EU.
Foto: REUTERS/Yves Herman/File Photo

Was den Spitzenreiter im Impfen betrifft, haben die USA – nachdem sie lange Zeit Spitzenreiter bei den Todesfällen waren – viel Geld seitens der Regierung zur Verfügung gestellt. Auch der Erfolg der amerikanischen Konzerne Pfizer und Moderna hat den USA einen Vorteil verschafft. Darüber hinaus hat auch die US-Regierung, so träge Trump hinsichtlich der Anti-Corona-Maßnahmen war, rasch ihre Ankaufsentscheidung getroffen. In der Ära Trump wurde sogar gegen die FDA, also gegen die Genehmigungsbehörde, gearbeitet, was risikoreich ist, aber in diesem Fall geholfen hat. Interessant ist auch, dass zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Blogbeitrags der britische Impfstoff Astra Zeneca noch immer keine Zulassung in den USA hat. Grotesk ist, dass sich die USA geweigert haben, diesen von ihnen weder zugelassenen noch verwendeten Impfstoff, der aber in den USA produziert wird, zu exportieren. Man könnte ihn ja irgendwann einmal brauchen.

Sonderfall Israel

Was nun den viel- und ohne nachzudenken zitierten Fall Israel betrifft, so waren dort neun Millionen Einwohner zu versorgen, das steht in keinem Verhältnis zur europäischen Bevölkerung. Israel hat eindeutig mehr bezahlt und hat Daten der Geimpften der Erzeugerfirma Pfizer/Biontech zur Verfügung gestellt. Das hätte innerhalb der EU zu einem Aufschrei geführt. Aber unabhängig davon: Es gab unter diesen Bedingungen einen Impfstoff für neun Millionen Einwohner, aber nicht für 450 Millionen. Und was die Gerechtigkeit betrifft, so hat Israel den Palästinensern zuerst gar keinen Impfstoff geliefert und dann nach nationaler und internationaler Kritik nur denjenigen, die in Israel arbeiteten, und dem Gesundheitspersonal. Israel kann also, was das Impfen betrifft, kein Beispiel für Europa darstellen, so sehr ich jedem Einzelnen die Impfung gönne – vor allem da Israel auch viele Tote aufzuweisen hatte.

China und Russland

Auch China und Russland haben schnell Impfstoffe entwickelt und waren diesbezüglich sehr erfolgreich. Obwohl sie in den eigenen Ländern relativ wenig impfen, haben sie bestimmten Ländern ihren Impfstoff angeboten. Sie haben eine sehr bewusste und gezielte bilaterale Impfdiplomatie entwickelt. Das ist auch ihr gutes Recht. Selbst wenn man diese Impfstoffmengen in Betracht zieht, gibt es für eine globale Versorgung nicht genügend Impfstoff. Und das erschwert wieder die gerechte Verteilung. Zu betonen ist, dass beide Länder ihre Angebote nicht über die multilaterale Strukturen angeboten haben, sondern sich auf ausgewählte Länder konzentriert haben.

Es wäre jedenfalls sinnvoll gewesen, hätte man von Anbeginn über politische und ideologische Grenzen hinweg zusammengearbeitet. Doch sowohl der Westen als auch Russland und China glaubten als Sieger im Wettbewerb um die Erforschung und Erzeugung von Impfstoff hervorzugehen. Kurzfristig gibt es verschiedene Sieger, wenngleich die Europäische Union nicht dazugehört. Aber es gibt vor allem Verlierer. Das sind diejenigen, die noch lange auf eine Impfung warten müssen, weil man global zu wenig auf die Erzeugung der notwendigen Menge geachtet hat. Das Rennen um die ersten Plätze war wichtiger als die Vorsorge für eine ausreichende globale Versorgung.

Aber auch noch jetzt braucht man eine internationale Zusammenarbeit, wenn es zum Beispiel um die digitalen Impfpässe geht. So sollte gewährleistet sein, dass alle anerkannten Impfungen eingetragen werden können und dem Träger des Passes die gleichen Vorteile daraus erwachsen. Wenn sich jemand in Serbien mit dem Impfstoff Sputnik V impfen lässt, sollte das auch in der EU anerkannt werden, wenn der Impfstoff als solcher eine EU-Genehmigung erhalten hat. Am besten wäre natürlich eine global einvernehmliche Lösung im Rahmen der WHO.

Wege zu mehr Gerechtigkeit

Insgesamt kann man sicher nicht von einer gerechten Verteilung der Wirkstoffe gegen die Corona-Pandemie sprechen. Was aber besonders ärgerlich ist, ist, dass einige Pharmakonzerne von den ärmeren Ländern höhere Preise verlangen als von den reicheren Ländern. Auch diesbezüglich würde eine Lösung über einen globalen Fonds, der die Pharmafirmen angemessen vergüten würde, Abhilfe und mehr Gerechtigkeit schaffen. Grundsätzlich könnte man dann über einen solchen Fonds mithilfe der Weltgesundheitsorganisation WHO eine geordnete globale Impfkampagne organisieren.

Würde man gerecht vorgehen, so müsste man dabei zuerst die Risikogruppen aller Länder je nach Schwere ihrer Erkrankung beziehungsweise Vorerkrankungen impfen und dann die Älteren et cetera. Aber das global festzustellen und einzuteilen, ist schier unmöglich. Haben wir doch schon auf nationaler Ebene Schwierigkeiten, eine überzeugende und geordnete Impffolge zu definieren und einzuhalten. So schwierig es ist, muss doch die Produktion von Impfstoffen – unabhängig vom Herkunftsland der Erforschung und Erstproduktion – ausgebaut werden. Da darf es keine ideologischen Schranken geben. Entscheidend muss die Wirksamkeit sein. Und da wir mit mehreren Mutationen des gegenwärtigen Virus rechnen müssen und neue Viren auf uns zukommen werden, ist der Ausbau der Produktionskapazitäten kein verlorener Aufwand. (Hannes Swoboda, 15.4.2021)